Wirtschaft: Handarbeit, natürlich linksgestrickt

Sticken, stricken, häkeln: Handarbeit ist wieder in. Mit der neuen Lust am Selbstgemachten verdienen Businessfrauen und Internetfirmen ihr Geld. Beispiele sind der Handarbeitsladen von Tanja Lay oder der Vertrieb DaWanda.

Mongolischer Kaschmir, handgefärbt. Alpaka aus Peru. Und das hier ist … Moment, da muss ich nachsehen." Michael Schindler braucht noch einen Spickzettel, um das Sortiment seines Garnladens zu überblicken. Die zwei lang gezogenen Räume in der Auguststraße sind voller Stränge und Knäuel. In unzähligen Acrylboxen und Schachteln stecken Ökoseidengarne aus Kalifornien, solide Strickwolle aus Frankreich, Papiergarn aus Japan. Ganz geheuer ist das dem frischgebackenen Mitgeschäftsführer des Handarbeitladens "Handmade Berlin" noch nicht. "Ich bemühe mich, in die Materie einzusteigen", sagt er etwas kleinlaut. "Aber vielleicht warten Sie besser auf die Chefin.

"Die Chefin, Schindlers Lebensgefährtin Tanja Lay, kommt gerade von der Arbeit. Hauptberuflich ist die 40-jährige Inhaberin einer Medienagentur und nur zweimal die Woche in ihrem neuen Laden. "Leider", seufzt sie, langfristig will sie mehr Zeit zwischen Häkelgarnen verbringen. Denn Handarbeit ist ihre Passion, besonders das Häkeln. Ein Jahr lang bereiste sie Messen und Manufakturen, bestellte Garnproben, die herkömmliche deutsche Handarbeitsläden bisher nicht im Sortiment hatten. Beim Befühlen eines besonders weichen Garns kann Tanja Lay richtig ins Schwärmen kommen. "Die Arbeit mit den Händen hat etwas Meditatives und zutiefst Befriedigendes", sagt die Geschäftsfrau, die als Ausgleich zum Büroalltag abends gern mal ein Oberteil häkelt. Aus Bambus-Soja, wie sie betont.

"Das sieht dann nicht so topflappenmäßig aus wie Baumwolle."Mit Topflappen und anderen Erzeugnissen biederer Hausfrauenkunst will Lay nichts zu tun haben. Darum liegen im Zeitschriftenregal von "Handmade" vor allem englischsprachige Handarbeitshefte. Die heißen Vogue Knitting oder Sensual Crochet und bieten deutlich modernere Schnitte und Modelle an als die deutsche Konkurrenz. Lea, Sabina und Diana, die Tanja Lay der Vollständigkeit halber auch vorrätig hat, werden von den Kundinnen kaum nachgefragt. Die kommen schließlich zu "Handmade", weil sie Handarbeit ohne Mief suchen. "Aktuelle Farben und hochwertige Materialien, aber weder Oma noch Öko", fasst Tanja Lay zusammen.

Über gleichgesinnte Kundschaft kann sie sich nicht beschweren - Handarbeit ist wieder in. Landauf, landab wird gehäkelt, gestrickt und genäht wie zuletzt in den Sechzigerjahren. Nicht etwa aus wirtschaftlicher Not - bei einem Knäuelpreis von 35 Euro kann ein selbst gestrickter Pullover locker auf 100 Euro kommen. Die neuen Handarbeiterinnen treibt vor allem die Lust am Selbermachen, an der eigenen Kreativität. Die Welle schwappte aus den USA herüber, wo sich derzeit Hollywood-Berühmtheiten und Neofeministinnen zu exklusiven und subversiven Nähkränzchen treffen. Tanja Lay betrachtet diese "Craftivism"-Bewegung mit Sympathie, auch zur Berliner Ortsgruppe des weltweiten "revolutionären" Stitch-n-Bitch-Netzwerks hat sie Kontakt.

Manche Kundin, so vermutet sie, verhäkle ihr Garn vielleicht zu Totenkopfkissen, Dildos oder politischen Parolen. Ihr eigenes Interesse gilt aber, ganz altmodisch, den Farben, Materialien und Mustern der Haute Couture. Während des Kunstgeschichte- und Designstudiums begann sie, ihre eigenen Jacken zu nähen. Die Eigenkreationen erregten Bewunderung bei Kommilitoninnen.

Ihre Freude am Häkeln aber lebte Tanja Lay heimlich aus. "Ich wollte auf keinen Fall zu den Strickmuttis gehören." Erst als erfolgreiche Geschäftsfrau fand sie den Mut, zu ihrer Leidenschaft zu stehen und den Laden zu eröffnen. Ihre Stammkundinnen sind andere Geschäftsfrauen, Hausfrauen oder Studentinnen, die sich über das ungewöhnliche und moderne Sortiment freuen. Auch Männer sind darunter, wie der bekannte Journalist, der seine Frau mit einem Schal überraschen wollte. Bald will Tanja Lay auch Kurse anbieten.

Und eine Strickerin einstellen, die der Kundschaft zeigt, was Handarbeit alles kann - wenn man sich traut.Auch Claudia Helming ist ganz tief drin in der neuen Häkel- und Strickszene. Die 34-Jährige ist Mitgeschäftsführerin des Onlineportals DaWanda. Auf den Internetseiten wird in unzähligen kleinen Shops Handgemachtes angeboten, von der Schlaghose bis zur Perlenkette. Dem Firmensitz merkt man das nicht an: Helming empfängt im nüchternen "Konfi" der Büroetage in Mitte.

Nebenan, im Großraum, sitzen 13 junge Männer und Frauen am Computer und betreuen ihre Community online bei Problemen mit dem Zahlungssystem und anderen technischen Fragen. Kein Häkeldeckchen weit und breit: Hier geht es nicht um Heimeligkeit, sondern ums Geschäft. Seit der Gründung im Dezember 2006 hat DaWanda rund 150.000 Nutzer gewonnen. Die Mitgliedschaft ist kostenlos, jeder kann einen eigenen Online-Shop im fertigen DaWanda-Design eröffnen. Die Geschäfte wickeln die Mitglieder untereinander ab, die Firma kassiert 5 Prozent Provision pro verkauftem Artikel. Wie hoch der Umsatz ist, darüber schweigt die Geschäftsführerin. Doch langfristig, lässt sie durchblicken, sei "locker das Zehnfache drin".Höchstens 30 Prozent aller Verkäufer verdienen ihren Lebensunterhalt mit der Handarbeit, schätzt Helming. Für die anderen ist es Nebenverdienst oder Hobby. "Viele wollen einfach ihre Freude an besonderen Einfällen mit anderen teilen", sagt sie. "Von Amigurumis zu leben wäre auch praktisch unmöglich".

Die japanische Amigurumi-Häkeltechnik ist äußerst aufwändig. Dafür kann man mit ihr fast alles herstellen: Fische, Blumen, Kuchenstücke und Donuts. "Manches, was auf DaWanda verkauft wird, ist weder sinnvoll noch nützlich", gibt Helming zu. Was soll man auch mit einem gehäkelten Hamburger anfangen? Und wer braucht schon ein 22 Zentimeter langes Stoffmonster namens Franz-Josef? Immerhin 79 Menschen orderten sich das Tier für 22,22 Euro plus 2,50 Euro Versandkosten nach Hause.Bei DaWanda denkt man schon über europaweite Expansion nach. Der angloamerikanische Markt ist mit der Mutter aller Handarbeitscommunitys, etsy.com, schon flächendeckend versorgt. Aber in Osteuropa werde sehr viel gestrickt und gebastelt, sagt Claudia Helming. Ob das vor allem Hausfrauen seien? Die Handarbeitsmanagerin schnaubt ungeduldig. "Das Hausmütterchenimage ist ja wohl hoffentlich bald passé."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.