Gemeinschaftsschule: Gemeinsam wollen sie klasse werden

Seit Schuljahresbeginn wachsen in Moabit eine Grund- und eine Oberschule zusammen. Das Projekt Gemeinschaftsschule sorgt für pädagogischen Schwung. Doch nicht alle Lehrer ziehen bei der neuen Schule mit.

Das Projekt Gemeinschaftsschule sorgt im Unterricht für Schwung. Bild: AP

Umstritten war das vor allem von der Linkspartei vorangetriebene Modellprojekt Gemeinschaftsschule der rot-roten Koalition von Anfang an. Dabei sollte mit dem Plan, die bisher vorhandenen verschiedenen Schulformen Hauptschule, Realschule und Gymnasium zu einer Schulform zusammenzufassen, in der Kinder dann länger gemeinsam lernen, vor allem der durch PISA aufgedeckten sozialen Ungerechtigkeit des Bildungssystems entgegengewirkt werden. Elf Gemeinschaftsschulen gibt es seit Beginn des Schuljahres in Berlin, vier weitere werden nach der zweiten Bewerbungsrunde, die Mitte November endete, nächstes Jahr dazukommen. Dazu gehört die erste staatliche Reformpädagogische Gemeinschaftsschule, die in Charlottenburg-Wilmersdorf derzeit aufgebaut wird. In Moabit entsteht seit diesem Schuljahr die erste Gemeinschaftsschule aus der Kooperation der James-Krüss-Grundschule und der Moses-Mendelssohn-Gesamtschule. awi

Zeinab weiß genau, ob sie Clown oder Papagei ist - oder was sie noch tun muss, um das zu werden. Eifrig erklärt die Achtjährige die Arbeitspläne, die an der Wand ihres Klassenraums in der Moabiter James-Krüss-Grundschule hängen: Jede SchülerIn kann hier sehen, welche Aufgaben noch zu erledigen, wie viele Punkte in welchem Fach bisher erreicht und wo noch Verbesserungen drin sind. Die umfangreichen Tabellen und das dahinter steckende Lernsystem würden die Eltern ihrer SchülerInnen anfangs oft überfordern, erklärt Zeinabs Klassenlehrerin Inge Schnöring: "Aber die Kinder haben das ganz schnell raus!"

Ihr ausgeklügeltes Unterrichtssystem, das es ihr ermöglicht, Kinder individuell zu fördern, hat Schnöring, Lehrerin seit 1971, selbst entwickelt. Ihm verdankt Zeinab, dass sie mit acht Jahren schon in der vierten Klasse ist. In vier unterschiedliche Gruppen teilt die Lehrerin ihre SchülerInnen in allen Fächern ein: Denn wer in Mathe bei den Schnellsten - also ein Papagei - ist, ist noch lange kein Clown, also sehr gut in Deutsch. Für die Lehrerin heißt das: Je vier verschiedene Aufgabenstellungen für jedes Fach und tägliche Korrekturarbeiten zu Hause, um die Arbeitsbögen, die die Kinder in den Freiarbeitsphasen füllen, zu kontrollieren. Doch der Aufwand lohnt sich, findet Schnöring: "Wöchentlich" erlebe sie Überraschungen mit Leistungsveränderungen der Kinder: "Es ist unglaublich, was dabei herauskommt, wenn man Kindern einfach ein bisschen Zeit lässt."

Mit dem auf individuelle Begabung und Geschwindigkeit abgestimmten Lernen war es für die SchülerInnen der James-Krüss-Schule bisher vorbei, wenn sie auf die Oberschule kamen. Das ändert sich jetzt, denn die Grundschule fusioniert grade mit der benachbarten Moses-Mendelssohn-Gesamtschule zu einer Gemeinschaftsschule. Für Zeinab und ihre Mitschüler bedeutet das auch, sich nach der Grundschule nicht von Mitschülern trennen zu müssen. Sind die Eltern gewillt, kann die Klasse als Ganze zur Oberschule wechseln. Und dort auch ihr Prinzip der individuellen Förderung fortsetzen: "Wir haben auch Erfahrung mit Binnendifferenzierung", sagt Hartmut Blees, Leiter der Moses-Mendelssohn-Schule. Denn an der Schule, die bislang bis zur zehnten Klasse geht, lernen SchülerInnen mit und ohne Behinderungen. Den Unterricht gestalten deshalb Sonderpädagogen, Haupt- und RealschullehrerInnen gemeinsam. Künftig soll es auch mehr Austausch mit den KollegInnen der Grundschule geben: Deren SchülerInnen sollen die Oberschullehrer früh kennenlernen und ihre Grundschullehrerinnen nach dem Übergang nicht gleich ganz aus den Augen verlieren.

Blees reicht das noch nicht: "Es ist ein grundsätzlicher Mangel der Lehrerausbildung", meint der Schulleiter, "dass die Verschiedenheit der SchülerInnen zu wenig berücksichtigt wird." Deshalb schickt Blees seine LehrerInnen nun "dauernd auf Fortbildungen" und führt mit jedem Mitglied seines Kollegiums Gespräche darüber, "welchen Beitrag sie persönlich zur Entwicklung der Gemeinschaftsschule leisten können". Denn trotz über neunzigprozentiger Zustimmung bei der Abstimmung im Kollegium werde erst jetzt manchem klar, wie viel Einsatz dafür nötig sei: "Bei mangelnder Bereitschaft empfehle ich, die Schule zu wechseln", sagt Blees. "Und es sind auch solche Pläne vorhanden." Doch die Mehrheit der KollegInnen stehe hinter dem Wandel. Wie auch der Schulleiter selbst: Für ihn steht fest, dass das dreigliedrige Schulsystem nicht mehr haltbar ist, denn: "Jeder Schüler hat das Recht auf optimale Förderung."

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