Jahresrückblick II: Aufwind für die Stadtentdecker

Im Jahr 2008 entwickelte sich der öffentliche Raum zum umkämpften Gut. Die linke Szene mobilisierte gegen Mediaspree und für den Garten Rosa Rose - und liegt damit im Trend

Das Investorenboot ... Bild: REUTERS

Sie kamen nicht durch. Auf Einladung der Initiative "Berliner Wirtschaftsgespräche" wollte ein illustres Grüppchen am 1. Juli die Spree hinauf schippern. Von Charlottenburg über Mitte hin zu den Brachen an den Ufern in Friedrichshain und Kreuzberg. An der Jannowitzbrücke mussten sie umkehren. Denn die Spree war nicht frei.

... die Spree ... Bild: REUTERS

Zumindest nicht für einen Ausflugsdampfer mit Investoren. Die Brücken waren randvoll mit Gegendemonstranten. Auch die Ufer und sogar der Fluss selbst. Dort kreuzten Flöße, Schlauchboote, Kajaks, Luftmatrazen. Das verhasste Boot kam nicht durch. An der Jannowitzbrücke musste der Lobbyistenkahn umkehren.

... und ein begleitendes Polizeiboot Bild: REUTERS

Es mag sein, dass durch die harmlose Flussschlacht gar nicht die wirklichen Uferspekulanten an ihrem Vergnügen gehindert wurden. Doch darauf kam es auch gar nicht an. Vielmehr wurde das einprägsame Bild eines widerspenstigen Stadtteils reanimiert, mit dem in einer Mediengesellschaft Politik gemacht werden kann.

Für die Verhältnisse in Berlin symbolisiert die Aktion eine Art stadtpolitisches Revival. Die Bewohner der Kieze - einiger Kieze zumindest - haben begriffen, dass sie die Entwicklung ihres Stadtraums nicht mehr einfach anderen überlassen dürfen. Denn es wird enger in der boomenden Hauptstadt.

Zunehmend ist Berlin nicht mehr nur eine Attraktion für junge Reisende und Querdenker aus aller Welt. Die Stadt ist auch zum Mekka der Projektplaner im großen Stil geworden. Für neue Basisinitiativen bleibt da kaum noch Platz. Selbst die zu Beginn der 80er im Westen beziehungsweise Anfang der 90er im Osten erkämpften Freiräume sind in ihrer Existenz bedroht. Und es ist mittlerweile vielen klar, dass es sich dabei keineswegs nur um linke Hausprojekte mit dem Charme längst untergangener Zeiten wie in der "Köpi", um graswurzelbewegte Gemeinschaftsgärten wie der Mitte März geräumte "Rosa Rose" in Friedrichshain, oder um die Reste der hippen Partykultur wie in der "Bar 25" am Spreeufer geht. Es geht um die Lebenskultur im allgemeinen.

Der soziologische Terminus "Gentrifizierung" ist nicht von ungefähr zum politischen Kampfbegriff geworden. Es ist eine weitverbreitete Erkenntnis, dass die Aufwertung einzelner Ecken nicht nur die unmittelbar vor Ort Lebenden oder Agierenden betrifft, sondern stets auf das gesamte Umfeld ausstrahlt, dass steigende Miete das eigene Konto belastet und explodierende Kosten die Möglichkeit in der Innenstadt zu leben schmälern. Deshalb ist es kein Wunder, dass zwei Wochen nach der Spreeblockade die Initiative "Mediaspree versenken" beim Bürgenentscheid eine satte Mehrheit von nahezu 90 Prozent der Stimmen bekam. Dass fast zeitgleich eine autonome Aktionswoche die Polizei tagelang auf Trab halten konnte. Dass Protestorganisatoren die "Carlofts" an der Reichenberger Straße, in denen solvente Eigentümer ihr Auto quasi mit ins Bett nehmen können, als verhasste Location für nahezu jede Demoroute wählen.

Je länger sich die Politik nur um attraktive Antworten an Großinvestoren bemüht, desto stärker dürfte das Bedürfnis der Kiezbewohner werden, dagegen zu halten. Damit unliebsame Stadtverwerter, ob mit oder ohne Boot, nicht durchkommen.

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