die eu und ich
: Wieder richtig Bock auf Politik

Klaus Wowereit hatte mir einen Brief geschrieben. Ich sei als Berliner Repräsentantin am 27./28. Februar zum Europa-Bürgerforum ins Rathaus geladen. Ich, die Brüssel und Straßburg für Orte hielt, an die PolitikerInnen geschickt werden, denen man hier nicht auf der Straße begegnen möchte? Ich rief Wowereits Büro an. Es stimmte tatsächlich: Ein Zufallsgenerator hätte mich als repräsentativ gewählt.

Im großen Saal des Roten Rathauses, wo vor 19 Jahren der „runde Tisch“ tagte, standen jetzt Themen-Tische: „Klima und Umwelt“, „Sozialstandards“, „Migration und Chancengleichheit“. Letzteres schien mir am hoffnungsfrohsten. Skeptisch lauschte ich dem Vortrag des Leiters der Europäischen Akademie Berlin. Dann begann unsere Gruppenarbeit. 14 BerlinerInnen – vom türkischen Banker bis zu einer älteren Dame, die in der DDR als Technikerin gearbeitet hatte: Verschwendeten sie hier ihre Zeit?

Auf ein großes Papier klebten wir unser Bild von Europa. Dann wurden wir konkreter: Was war uns in Bezug auf „Migration und Chancengleichheit“ wichtig? Zukunftsfähige Bildung, dass Migranten willkommen sind, gesichertes Grundeinkommen. Die Gruppendynamik beschleunigte. Zurück im großen Saal, hörten wir den Vortrag eines Geschichtsprofessors darüber, was ihm Europa bedeutet. Die Deutschen hätten zwei Weltkriege gebraucht,um zu begreifen, dass nationalstaatliches Denken zu nichts führt. Danach gab’s Häppchen. Vom Rotwein, leider halbtrocken, reichte mir ein Glas.

Dennoch kam ich am nächsten Morgen wieder in die Gruppe. Wir sollten – inzwischen vom Europa-Gedanken beseelt – Forderungen formulieren. Wir diskutierten heftig: Meine Forderung „gesichertes Grundeinkommen weltweit“ wurde abgeschmettert, weil da die UN für zuständig sei. Bildungsrichtlinien für ganz Europa, wenn das schon innerhalb von Deutschland nicht klappt? Okay, aber wie ist das mit „illegaler Migration“?

Nach dem Mittagessen in der Rathaus-Kantine wurden die Forderungen im Plenum vorgetragen: Die Gruppe „Sozialstandards“ begann. Auch denen war Bildung wichtig. Aber auch – hoppla: ein EU-Außenminister. Ich ergriff das Wort, getrieben von dem finsteren EU-Politiker-Bild, das ich noch vor 24 Stunden hatte: „Wozu brauchen wir denn einen Bonzen mehr?“ Half alles nichts: Der Rest des Plenums war dafür. Ich fand erst wieder am Rednerpult, als ich Forderungen unserer Gruppe präsentierte, Worte.

Dann stellten wir fünf PolitikerInnen Fragen: Warum gibt es eigentlich noch keinen EU-Außenminister? Die Idee kam wohl auf, scheiterte aber am Widerstand der Niederländer. Gut, dachte ich. Stattdessen wurde allerdings der Posten eines „Hohen Kommissars“ geschaffen.

Ein Bundestags-Mitglied machte uns deutlich, dass wir Europa schon viel verdanken: den Euro. In der Finanzkrise könnten wir froh sein, ihn zu haben. Ein anderer Politiker ärgerte sich, dass die EU oft den schwarzen Peter zugeschoben bekommt. Vorhin habe er „das böse Wort“ gehört. Er zeigte zu mir. Ich schämte mich meiner verletzenden Wortwahl. Schließlich hatte sich ja mein Bild von Europa-Politik inzwischen grundlegend gewandelt.

„Sie als Bürger müssen Europa bestimmen, sonst bestimmt Europa Sie“, sagte die Politikerin zum Abschluss. Wir BerlinerInnen verabschiedeten uns gut gelaunt. Klar, dass ich zur Europawahl im Juni gehe. Darüber hinaus habe ich wieder richtig Bock auf Politik: am besten was Repräsentatives. Meinetwegen auch EU-Außenministerin. SUSANNE HAKE