Interview mit Klaus Wowereit: "Ich will die Kirchen als Partner behalten"

Auch wenn es nicht immer so wirkt: Klaus Wowereit streitet mit Vehemenz für Ethik als Pflichtfach - sagt er jedenfalls. Dabei hat der Katholik als Schüler guten Religionsunterricht miterlebt. Dass unklar ist, von wem die Gelder für die "Pro Reli"-Kampagne kommen, stört den Regierenden Bürgermeister.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Bild: AP

taz: Herr Wowereit, wann waren Sie das letzte Mal in der Kirche?

Klaus Wowereit: Zur Taufe meiner Nichte.

Wars schlimm?

Überhaupt nicht.

Wenn es keine traumatischen Kirchenerlebnisse sind - was sind Ihre ganz persönlichen Gründe, in Opposition zu "Pro Reli" zu gehen?

Ich gehe nicht in Opposition zu "Pro Reli", sondern ich bin überzeugter Befürworter eines gemeinsamen Ethikunterrichts. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Und das sage ich als jemand, der selbst noch in der Kirche ist.

In welcher?

In der katholischen. Und ich habe auch einen guten Religionsunterricht erlebt - aber der war auf freiwilliger Basis. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, durch administrative Maßnahmen Kinder in den Religionsunterricht zu bringen.

Haben Sie sich als Schüler später vom Religionsunterricht befreien lassen?

Es muss irgendwann nach meiner Kommunion gewesen sein, dass ich mit dem Religionsunterricht aufgehört habe.

Sie haben das ganze katholische Programm durch? Kommunion …

… Firmung - ja, alles.

Welche Rolle spielt es für Sie persönlich beim Thema "Pro Reli", dass die katholische Kirche Homosexualität verurteilt?

Das hat mit der Diskussion über Ethik oder "Pro Reli" gar nichts zu tun, und deshalb verstehe ich auch Ihre Frage nicht.

Es könnte ja sein, dass Sie sagen: Eine Organisation mit einer solchen Haltung möchte ich in den Schulen nicht sehen.

Das ist aber eine sehr primitive Sichtweise für die taz. Sie unterstellen mir da persönliche Motive. Ich bin für Religionsunterricht in Eigenverantwortung der Kirchen auf freiwilliger Basis. Und das ist unabhängig von meiner Lebensweise.

Sie argumentieren klar für Ethik, aber im Abgeordnetenhaus wirkten Sie dabei ein wenig leidenschaftslos.

Das ist ein gänzlich falscher Eindruck.

Und doch sind Sie bei anderen Themen schon viel entschiedener aufgetreten.

Ich bleibe dabei: Der Eindruck ist falsch. Ich kämpfe mit Vehemenz für Ethik. Auf der anderen Seite möchte ich nicht, dass diese Debatte zu einer ausufernden Kirchendebatte wird. Ich will die Kirchen als Partner behalten, sie haben wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft, und sie werden vom Staat unterstützt. Das soll so bleiben, und deshalb versuche ich in der Debatte alles zu vermeiden, was den Eindruck erwecken könnte, es gehe um einen Kampf gegen die Kirchen.

Persönliche Leidenschaft muss doch dabei sein: Wenn sich "Pro Reli" durchsetzt, wäre das Ihre erste große Wahlniederlage überhaupt. Ihr Nimbus der Unbesiegbarkeit wäre weg.

Es ist systemimmanent, dass ein erfolgreicher Volksentscheid eine Niederlage für die Regierung wäre. Damit muss man dann leben. Niederlagen in Sachfragen gibt es in der Politik immer wieder, die habe auch ich schon erlebt, sie sind keine Tragödie. Aber ich sage Ihnen: Dieses Volksbegehren wird nicht erfolgreich sein.

Tragisch oder nicht, es bleibt eine Niederlage.

Wenn das passiert, was nicht passieren wird? - Es gibt in vielen anderen Bundesländern Religion als Wahlpflichtfach. Damit würde die Welt auch in Berlin nicht untergehen. Wenn es eine Mehrheit so will und das Quorum erfüllt ist …

… also mindestens 25 Prozent Jastimmen …

… müsste das so umgesetzt werden. Nur: Ich sehe diese Mehrheit nicht. Wir haben in Berlin eine seit Jahrzehnten bewährte Regelung für den freiwilligen Religionsunterricht. Wir haben daran nichts geändert. Ethik für alle ist als neues Fach hinzugekommen, und das ist eine gute Regelung. Wir wollen die Schülerinnen und Schüler nicht zwingen, sich zwischen Ethik und Religion zu entscheiden. Wer will, dass man weiter auch beides belegen kann, muss mit Nein stimmen.

Wie passt es zusammen, dass die Berliner SPD so klar Ethik propagiert, aber den ebenso klaren "Pro Reli"-Befürworter Wolfgang Thierse wieder zu ihrem Spitzenkandidaten für die Bundestagwahl machen will?

Das passt zusammen, weil es zeigt, dass es in einer Volkspartei unterschiedliche Auffassungen zu Einzelthemen gibt und dass trotzdem das Werk eines Mannes gewürdigt werden kann, der viel für die Sozialdemokratie getan hat.

Das ist aber ein sehr herausragendes Einzelthema.

Ich habe in diesen Tagen nicht den Eindruck, dass Berlin nur über "Pro Reli" diskutiert. Wir haben - weiß Gott - andere Probleme, die wesentlich entscheidender sind. Das Bildungssystem, frühkindliche Erziehung, Arbeitsplätze - das sind die wichtigen Themen dieser Stadt.

Wir haben hier ein Plakat mit der Aussage "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott". Finden Sie, dass diese Aussage die Berliner aufregen könnte?

Von wem ist das?

Von einer Initiative, die 26.000 Euro gesammelt hat, um damit Werbefläche auf BVG-Bussen zu kaufen. Aber die BVG hat abgelehnt.

Ich bin sicher, dass das Menschen, die an Gott glauben, aufregen könnte.

Die BVG fährt aber auch mit Werbung für die Freikirchen oder viele andere kirchliche Institutionen. Das könnte auch die Atheisten aufregen.

Das zu entscheiden liegt in der Verantwortung der BVG.

Die BVG ist ein landeseigenes Unternehmen; der Senat könnte das anweisen.

Der Senat hat nicht die Absicht, die Vergabe von Werbeflächen zu seiner Aufgabe zu machen.

Warum wurden gerade in Ihrer Amtszeit die Möglichkeiten für Bürgerbegehren und Volksentscheide so sehr ausgeweitet?

Weil dahinter eine gesamtgesellschaftliche Diskussion steht. Für uns war das eine Grundsatzentscheidung - wir wollen ja, dass sich Bürgerinnen und Bürger stärker engagieren.

Nun liegen erste Erfahrungen mit Abstimmungen auf Bezirks- und Landesebene vor. Wie wollen Sie die Sache weiter entwickeln?

Ich glaube, wir sind noch an einem Punkt, an dem das jetzt erst mal wirken muss. Wir brauchen weitere Erfahrungen, die Aufgeregtheiten müssen sich legen - sowohl auf der Regierungs- wie auf der Bürgerseite oder der Seite derer, die versuchen, Bürgerbegehren immer wieder zu instrumentalisieren.

Sollte der Senat auch die Möglichkeit haben, den Bürgern von sich aus eine Entscheidung vorzulegen?

Das ist in der Verfassung so nicht vorgesehen, aber in der Tat ein Punkt, den man vielleicht mal diskutieren sollte. Dann könnte die Regierung eine Umfrage ansetzen und beispielsweise fragen: Wie steht Ihr zur Fassade des Schlosses? Ein Volksentscheid im heutigen Modell ist immer gegen die Politik einer Regierung gerichtet. Er ist nicht das Instrument der Regierung, Volkes Wille dort zu testen, wo sie sich mit der Entscheidung selber schwertut.

Sie haben sich gerade für mehr Bürgerengagement ausgesprochen. Aber vor der Abstimmung zu Tempelhof haben Sie gesagt, dass Sie das Ergebnis sowieso nicht interessiert, weil es nicht bindend ist.

Ich habe nie gesagt, dass es mich nicht interessiert. Ich habe aus Gründen der Wahrhaftigkeit immer gesagt, dass es rechtlich bindende Volksentscheide gibt und Volksentscheide, die rechtlich nur eine Empfehlung darstellen. Wenn nach einem Volksentscheid mit empfehlendem Charakter im Falle der Umsetzung ein Schaden für Berlin entstehen würde, dann kann sich der Senat nicht dahinter verstecken, dass es hier eine Empfehlung gegeben hat. Egal ob durch Volksentscheid oder durch einen Parlamentsbeschluss ohne bindende Wirkung, was es ja auch gibt.

Wenn Ihnen wirklich an direkter Demokratie und hoher Beteiligung liegt, hätten Sie den Volksentscheid auf die Europawahl am 7. Juni legen müssen.

Die Beteiligung bei der vergangenen Europawahl von gerade mal 38 Prozent war aber kaum höher als die beim Tempelhof-Volksentscheid.

Immerhin zweieinhalb Prozentpunkte höher. Außerdem sind Europawähler und Teilnehmer am Entscheid nicht deckungsgleich. Das addiert sich doch zumindest teilweise.

Das ist eine Hypothese, die durch nichts zu beweisen ist. Der Normalweg ist, dass man zügig abstimmt. Das tun wir am 26. April.

Ein gemeinsamer Termin hätte auch die Attraktivität der Europawahl gesteigert, für die Ihre Europabeauftragte sich eine Wahlbeteiligung von mindestens 45 Prozent wünscht. Wie wollen Sie das erreichen?

Durch Information. Wir wissen, dass es ganz wichtig ist, die Bürger aufzuklären, wie wichtig die Europawahl ist.

Bei "Pro Reli" vermitteln SPD und Linkspartei: Nicht wir müssen die Leute an die Urne holen - die anderen müssen zusehen, dass sie nicht an geringer Beteiligung scheitern. Das ist nicht unbedingt das, was man sich unter einem offenen Wettstreit politischer Ideen vorstellt.

Sie meinen, der Senat sollte öffentlich viel offensiver auftreten? Hier gibt es doch gar keine Waffengleichheit, und das finde ich durchaus problematisch. In die Tempelhof-Kampagne vor einem Jahr sind mindestens 5 Millionen Euro geflossen, plus kostenlose publizistische Unterstützung eines nicht unbedeutenden Medienkonzerns …

… des Axel Springer Verlages mit der Morgenpost, der Welt und der Bild-Zeitung …

… und bei "Pro Reli" ist dort die Haltung ja auch schon wieder eindeutig. Die Gefahr ist, dass Volksbegehren nur dann eine Chance haben, wenn starke Lobbygruppen viel Geld dafür ausgeben und auch noch Medienmacht dahinter steht. Mit gleichem Geld- und Materialeinsatz dagegenzuhalten ist dann für eine Regierung und die sie tragenden Parteien nicht möglich.

Wie ließe sich denn Waffengleichheit herstellen?

Wir stellen unsere Position öffentlich dar, wir informieren über unsere Argumente. Aber wir können dafür nicht so viel Geld ausgeben, wie es "Pro Reli" aus Spendenmitteln tut.

Waffengleichheit würde zudem voraussetzen, dass die Träger des Volksentscheids alle Spenden offenlegen müssen, nicht erst jene ab 50.000 Euro.

Das wäre zumindest richtig und fair. Die Parteien müssen es ja auch - warum sollte es dann nicht genauso in diesem Bereich gelten? Wir haben es ja bei Tempelhof erlebt: Die damaligen Spendernamen sind bis heute nicht veröffentlicht worden, obwohl man es versprochen hatte.

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