Verdrängung: Zwischen Baum und Baugruppe

Im Treptower Norden treffen zwei Baugruppen auf den Widerstand einer Anwohnerinitiative. Die Bauprojekte trieben die Verdrängung armer Mieter voran, klagt die Initiative. Stimmt nicht, sagt die Baugruppe, vielmehr stabilisiere man den Bezirk.

Was bleibt: Baumstümpfe Bild: DPA

Es ist eine kleine Geschichte, hinter der die großen Fragen dieser Stadt stecken. Es geht um arme und weniger arme Berliner, um Baugruppen und Großinvestoren, um Kiezaufwertung und Verdrängung. Es geht also um Böse und Gute und um die Frage: Wie soll in dieser Stadt künftig gelebt werden?

Michael Schmidt, Harald Friedel und die anderen Protestler staksen über Baumstümpfe und Geäst auf dem Grundstück, das nicht ihr Grundstück ist. Die Bauzäune haben sie weggeschoben, mit Pinseln und Spraydosen malen sie grüne Bäume und bunte Parolen an die Garagenwand: "Gegen Verdrängung und Mieterhöhung", "Bäume fallen, Mieten steigen" oder "Baugruppe vernichtet Baumgruppe". Sie haben rote Luftballons an die Zäune geknotet, auf dem Bürgersteig verteilen die Aktivisten Flugblätter und Kaffee.

"Wir wollen hier keine Baugruppen haben", erklärt Michael Schmidt, ein Mittvierziger mit zum Zopf gebundenen Haaren und Farbspritzern auf der Stirn, der eigentlich anders heißt. "Wir", das sind Leute aus der Anwohnerinitiative des Treptower Karl-Kunger-Kiezes, Bürger, Linke, Anti-Mediaspreeler. Vor einem halben Jahr haben sie sich zusammengeschlossen, um etwas gegen Mieterhöhungen in Treptow zu tun. Ein Feindbild haben sie auch gefunden: "Karloh" und "Zwillingshaus", zwei Baugruppen. Es ist deren Grundstück, auf dem sich das Dutzend Demonstranten im März zur "Mahnwache" versammelt hat.

Am Ende der Karl-Kunger-Straße, am Landwehrkanal, hinter dem schon der Görlitzer Park beginnt, wollen die Baugruppen bauen. Die Kunger-Straße ist eine der bunteren in Treptow: Hier reihen sich Fleischerei und Fahrradladen, russisches Lebensmittelgeschäft und Klavierwerkstatt, Kunger-Klause und Kinderladen aneinander. Gassigeher und Fahrradfahrer schieben sich zwischen Stadtbibliothek und dem Anwohnerflohmarkt über die Bürgersteige.

Die Baugruppen, das sei der "neureiche Mittelstand", meint Michael Schmidt. "Ökolinke aus Kreuzberg", ergänzt Harald Friedel, ein Mann in blauer Jogginghose und schwarzer Steppweste. Sie meinen es nicht schmeichelhaft. "Die sind sich nicht mal bewusst, welche Verdrängung sie hier vorantreiben", schüttelt Schmidt den Kopf. Schon heute sei die Gentrifizierung im Treptower Norden schwer im Kommen: steigende Mieten, Privatisierungen, Luxussanierungen, glatt geleckte Fassaden. Und nun kämen die gut betuchten Baugruppen und heizten den Prozess weiter an. "Irgendwann muss man Protest organisieren und stopp sagen", findet Schmidt. "Und hier sagen wir stopp."

Die Mitglieder der beiden Baugruppen treffen sich im Architektenbüro von Christian Schöningh in der Steinstraße, gleich um die Ecke des Hackeschen Marktes, schicke Mitte. Acht von ihnen sitzen um den großen Tisch, Enddreißiger meist, einer hat seine zwei kleinen Kinder dabei. Gastgeber Schöningh ist der Bauplaner von "Karloh" und "Zwillingshaus". Baugruppen sind sein Ding, seine Philosophie. Sein Büro ist selbst Teil einer Baugruppe: Oben wohnt Schöningh, im Erdgeschoss arbeitet der 48-Jährige. Er stellt einen Kasten Bionade auf den Tisch.

"Wir möchten individuell, aber doch gemeinschaftlich bauen und wohnen", erklärt Sabine Hark. Die 46-Jährige Soziologin mit den kurzen, grauen Haaren und der kleinen Brille ist eine der "Karlohs". Rund 60 Bekannte und Unbekannte haben sich in der Baugruppe zusammengefunden. 22 maßgeschneiderte Wohnungen auf sechs Etagen soll ihr Projekt haben, jeweils 50 bis 170 Quadratmeter groß, mit Gemeinschaftsräumen und grünem Garten im Hinterhof. Ökologisch und energiepolitisch nachhaltig wolle man bauen, so steht es im Konzept. Natürlich auch architektonisch ansprechend, generationen- und lebensweisenübergreifend, demokratisch und partizipativ, individuell und solidarisch.

"Salbungsvolle Worte", sagt der Anwohner mit der getönten Brille, die Hände in die Taschen der schwarzen Jacke vergraben. "Da steckt aber nicht viel hinter. Was hier mit dem Kiez passiert, ist denen egal." Der Rentner hat sich zu den Protestlern gesellt, von seinem Balkon kann er direkt auf das Baugruppengrundstück schauen. In seinem Haus sei die Verdrängung schon angekommen: Nach der Sanierung seien im Hinterhaus fast alle alten Mieter ausgezogen. Der Baugruppe nimmt er vor allem das mit den Pappeln krumm. 16 Bäume ließen die "Karlohs" fällen, um ihren Grundstein legen zu können. "Ein richtiges Biotop war das vorher hier", sagt der Mann. Anfangs gelang es der Kiezinitiative, sechs Pappeln zu retten. Sie hatten im März das Gelände besetzt und die Fällungen verhindert. Heute sind auch diese Bäume weg. Ein älteres Rentner-Pärchen spaziert an der Mahnwache vorbei. "Jammerschade, ich kannte die Bäume noch, da waren sie so", sagt der Mann mit der Schiebermütze - und hält die flache Hand vor die Brust.

In der Steinstraße schütteln die Baugrüppler die Köpfe. "Als wäre das ein öffentliches Grundstück", ärgert sich Sabine Hark. Die Fällung der Pappeln sei traurig, aber unvermeidbar gewesen. Schließlich wolle man auf dem Grundstück bauen. Die Fällungen seien genehmigt gewesen, man werde für Ersatzpflanzungen sorgen. Dass sie aber im Kiez auf den offenen Widerstand einiger Anwohner treffen, das sei ein merkwürdiges Gefühl, berichtet Friedrich Seefeldt, ein Ingenieur mit blondem Schopf. "Ich dachte immer, dass wir mit unserer Baugruppe gegenüber den großen Investoren zu den Guten zählen würden."

Geht es um Verdrängung im Kunger-Kiez, wohnen die möglichen ersten Opfer gleich auf der anderen Straßenseite des Baugruppengrundstücks: in der Wagenburg Lohmühle. Ihr "Bürgermeister" ist Zosch, bürgerlich auch Jürgen Hans. Der 48-Jährige mit der grauen Wollmütze sitzt in seinem blauen Wagen und dreht sich eine Zigarette nach der anderen. "Die Angelegenheit ist kompliziert", murmelt er. Zosch legt die Brille auf den Schoß, sein Hund schnarcht auf der Couch. "Es ist ein Prozess hier am Laufen, ganz klar." Immer mehr Mietwohnungen würden zu Privateigentum, immer mehr gut situierte Familien tauchten auf den Bürgersteigen auf. "Wer hier jetzt arbeitslos wird, ist raus."

Trägt die Baugruppe Mitschuld? "Unschuldslämmer sind sie nicht", sagt Zosch. Schließlich privatisierten diese Wohnraum und schafften Eigentum, das weitere einkommensstarke Schichten und Investoren anlocken könnte. Und trotzdem: Der Gemeinschaftsgedanke der Baugruppe, ihr Wunsch, Wohnraum für sich und ihre Kinder abzusichern, das sei nachvollziehbar. "Ich habe was gegen die Privatisierungsidee", sagt Zosch schließlich, "aber nicht gegen die Leute, die dort einziehen."

Rainer Hölmer (SPD) ist Bezirksstadtrat für Bauen und Stadtentwicklung in Treptow-Köpenick. Der 48-Jährige weiß, was im Bezirk passiert. In den Baugruppen-Streit wolle und müsse er sich nicht einmischen: Hier werde privat gebaut, die Pappelfällungen waren genehmigt. Dass sich aber im Kunger-Kiez etwas tut, sieht Hölmer sehr wohl. "Vor acht, neun Jahren sah es im Treptower Norden sozial eher prekär aus. Seit zwei Jahren haben wir einen Trend in die andere Richtung." Es gäbe Mietsprünge von 15 bis 20 Prozent. Der Wohnungsmarktbericht 2008 der Investitionsbank Berlin (IBB) nennt Alt-Treptow als einen der Stadtteile mit der größten Mieterfluktuation: Über die Hälfte der Bevölkerung ist hier zwischen 2003 und 2007 einmal umgezogen. Auch ist Treptow-Köpenick nach Pankow der Bezirk mit der aktuell größten Umwandlungsquote von Miet- in Eigentumswohnungen. Bei Mietwohnungen im unteren Preissegment, so der IBB-Bericht, herrsche eine "leicht angespannte Marktsituation". Stadtrat Hölmer zuckt mit den Schultern: "Ich kann den Bezirk nicht unter eine Käseglocke packen."

Interessant könnte es 2010 werden, mutmaßt Hölmer. Dann werde entschieden, ob der Kunger-Kiez zum Sanierungsgebiet werde. Ob das hilft? Mancher ist da skeptisch in Treptow. Schließlich war auch der Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg einmal Sanierungsgebiet. Die meisten der ehemaligen Bewohner wurden trotzdem verdrängt. Dennoch glaubt Hölmer an den Erfolg des Instrumtents. Er verweist auf das naheliegende Paul-Linke-Ufer und den aufstrebenden Nordneuköllner Reuterkiez, auch "Kreuzkölln" genannt. "Da wäre der Kunger-Kiez als Sanierungsgebiet nur konsequent."

Die Baugruppen kennen diese Zahlen. "Aber ist nicht auch die alternative Wagenburg schon ein erster Schritt zur Kiezaufwertung?", fragt Christian Schöningh. Er sieht in Baugruppen vor allem einen Stabilisator der Kieze, sie würden das Wohnumfeld sozial erden. "Fast wie bei den Hausbesetzern", schmunzelt Schöningh. "Die Häuser denen, die drin wohnen." Baugruppen böten Identifikation und Herzblut für den Kiez. "Wir sind Verbündete, wenn es um sozialverträgliche Mieten geht", sagt auch Sabine Hark. "Und wir wären die Ersten, die kämpfen würden, wenn die Wagenburg bedroht wäre."

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