Fahndungsmethoden: Polizei jagt Schüler mit Steckbriefen

Nach der Schülerdemonstration im November sucht die Polizei nun mit Plakaten nach den Zerstörern einer Ausstellung an der HU. "Unverhältnismäßig", kritisieren Eltern und Schüler.

Polizisten auf der Jagd. Zielgruppe Schüler? Bild: AP

Es ist ein Fahndungsplakat der Art, wie sie auch nach dem 1. Mai üblich sind. Am oberen Ende ein grüner Balken mit dem Schriftzug: "Die Polizei bittet um Mithilfe", darunter knapp 40 Bilder von Personen, die die Polizei als Straftäter vermutet. Der Unterschied: Auf diesem Plakat sind nur Jugendliche - Schüler - abgebildet.

Der Fahndungsaufruf bezieht sich auf die Demo vom 12. November vergangenen Jahres. Damals hatten Demonstranten am Rande eines ursprünglich friedlichen Protests die Humboldt-Universität (HU) gestürmt und unter anderem eine Ausstellung über jüdische Unternehmen in Berlin während der Nazi-Diktatur zerstört. Die Polizei hatte damals mehrfach betont, dass sie keinen Anhaltspunkt für eine gezielte Zerstörung habe. Ermittelt werden sollte trotzdem wegen schweren Landfriedensbruchs, schwerer Sachbeschädigung, Nötigung, Volksverhetzung, Brandstiftung und Beleidigung. Die jüdische Gemeinde hatte die Ankündigung der entschiedenen Ermittlungen begrüßt.

Ursprünglich war von DNA-Analysen die Rede, da unter anderem Spuckis - Zettel, die mit Hilfe von Spucke angebracht werden - gefunden und die entsprechenden DNA-Spuren sichergestellt wurden. Auch sollten Beamte mit Bildvorlagen an Schulen gehen und nach Verdächtigen fahnden. An eine Plakataktion werde "zunächst" nicht gedacht, sagte ein Polizeisprecher noch im November. Nun hängen doch Plakate - einen Meinungsumschwung sieht die Staatsanwaltschaft, bei der mittlerweile die Verantwortung liegt, trotzdem nicht. "Schon von Anfang an stand eine Öffentlichkeitsfahndung zur Debatte, wenn dadurch eine weitere Tataufklärung möglich und verhältnismäßig erscheint", erklärt Michael Grunwald, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft.

Die Plakate seien bereits am 11. März an die örtlichen Polizeidirektionen gegangen und von dort aus verteilt worden. In dem Verteiler seien neben Polizeidienststellen auch Oberschulen sowie Bezirks- und Bürgerämter. "Die abgebildeten Personen kommen nach Auswertung der bisherigen Ermittlungsergebnisse als Tatverdächtige zu den Delikten Hausfriedensbruch, Diebstahl, Körperverletzung in Betracht", erklärt Michael Grunwald. Dass ein Teil der Personen auf den Bildern gepixelt - und damit unkenntlich - sei, liege daran, dass diese nicht als Tatverdächtige in Betracht kämen.

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), kritisierte das Vorgehen als "klar unverhältnismäßig". Er gehe davon aus, dass Schüler mit Aussicht auf Erfolg juristisch gegen die Darstellung vorgehen könnten. Abgesehen davon wundere er sich, dass Schulen da mitspielten. Schließlich gebe es eine Schutzpflicht gegenüber den Schülern - ganz abgesehen von pädagogischen Auswirkungen.

Bei der Landesschülervertretung (LSV) habe sich bislang noch keiner der Betroffenen gemeldet, sagt Lee Hielscher. "Die Angst der Abgebildeten ist vermutlich zu groß." Er habe aber ein "großes Erschrecken" seitens der Schülerschaft registriert. Die Landesschülervertretung wirft der Polizei ein willkürliches Vorgehen, verbunden mit einer "enormen Einschüchterung der Jugendlichen" vor.

Erika Heel*, Mutter eines achtjährigen Sohnes, an dessen Schule ein Exemplar hing, zeigt sich besorgt über die Auswirkungen, die ein derartiges Plakat auf Kinder haben könnte. Ursprünglich wollte sie - mit Unterstützung anderer Eltern - mit der Schulleitung sprechen. Das hat sich nun erübrigt: Die Schule hat das Plakat nach den Osterferien abgehängt. Die Begründung der Schulleitung: Es sei davon auszugehen, dass an der Schule niemand die Abgebildeten kenne.

Dennoch: Für Heel wirft die Fahndung grundsätzliche Fragen auf: "Ich frage mich, wie genau die Polizei denn wissen kann, dass die 37 Abgebildeten nicht zufällig in der Lobby der Universität standen, sondern wirklich etwas damit zu tun haben?", fragt sie. Sie hält die Vorgehensweise für eine "überdimensionierte Kriminalisierung" der Jugendlichen. SVENJA BERGT

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