Montagsinterview Pyromusikalechef Hans-Georg Kehse: "Becken! Pauke! Gib`s ihm, bum, bum!"

Gute Musik mit perfektem Feuerwerk haut die coolsten Typen um, sagt Hans-Georg Kehse. Das hat der Pyrokünstler schon zu DDR-Zeiten erlebt. Jetzt tritt er beim Festival Pyromusikale in Tempelhof auf.

Kehse mit einer seiner Feuerbomben. Bild: Bernd Hartung

taz: Herr Kehse, können Sie noch Musik hören, ohne dass es in Ihrem Kopf blitzt und kracht?

Hans-Georg Kehse: Ja, das kann ich noch. Ich höre sehr gern Musik, insbesondere Filmmusiken. Weil Filmmusiken für bewegte Bilder gemacht sind; da haben Sie Dramaturgie und Emotionen. John Williams liegt mir sehr zum Beispiel: seine Hymnen zu den Olympischen Spielen in Salt Lake City oder Atlanta. Dazu habe ich auch schon tolle Nummern gemacht - die gehen richtig ab.

Seit 28 Jahren konzipiert und veranstaltet Hans-Georg Kehse Feuerwerke - ohne "einen einzigen Arbeitsunfall", wie er sagt.

Geboren 1956 in Eilsleben bei Magdeburg kommt er zum Studium der Landwirtschaft nach Berlin. Anschließend arbeitet er im Agrochemischen Kombinat als Leiter der pyrotechnischen Abteilung. Seitdem richtet er auch offizielle Feuerwerke aus. 1990 gründet er seine Firma Pyro-Art in Buch.

Kehse ist so etwas wie der Guru unter den Pyrokünstlern. Michael Jackson, Prince, Pink Floyd haben ihn gebucht; auch zur Eröffnung des Berliner Olympiastadions und den Olympischen Spielen in Athen 2004 hat er die Feuerwerke gemacht.

Vom 9. bis 11. Juli findet auf dem Gelände des stillgelegten Flughafens Tempelhof die erste Pyromusikale statt mit Feuerwerk zur Livemusik der Berliner Symphoniker und Popstars wie Christina Stürmer und Kool and the Gang

Fällt Ihnen manchmal zu einer Musik auch gar nichts ein?

Vor zwei Jahren sollte ich für einen bekannten Möbelunternehmer ein Feuerwerk machen. Seine Frau hat sich als Musik Robert Schumann gewünscht. Ich sage Ihnen: Da habe ich mich aber gequält. Am Ende fanden es alle ganz toll. Aber manchmal sitze ich hier und verzweifle.

Wie entsteht denn so ein Feuerwerk in Ihrem Kopf?

Ich muss mir die Musik oft anhören und völlig verinnerlichen. Den Effekt hab ich im Kopf, ich sehe jeden einzelnen Feuerwerkskörper. Dann lieg ich im Bett und höre das und träume davon. Wir haben zum Beispiel auf der Pyromusikale die Uraufführung eines Stücks, wozu ich das Feuerwerk choreografiert hab - Neue Musik. Da geht es hoch, runter. Becken! Pauke! Gibs ihm, bum, bum.

Das gefällt Ihnen doch bestimmt?

Na klar gefällt mir das, aber das ist sehr schwer zu komponieren. Für fünf Minuten habe ich zwölf Seiten Aufzeichnungen für die Dramaturgie - sonst passt das auf drei Seiten. Und eine Seite sind acht Stunden Arbeit.

Auf der Pyromusikale spielen die Berliner Symphoniker live die Kompositionen, dazu gibt es Ihr Feuerwerk. Muss das sein: Reicht Ihnen Feuerwerk allein nicht?

Durch die Symbiose von Visuellem und Akustischem haben Sie eine Verdopplung der Sinneseindrücke, und wenn das alles perfekt ist, dann haut das die Leute um. Sie sehen ganz coole Typen, die kriegen Tränen in den Augen.

Woher kommt Ihre Leidenschaft für die Musik?

Mein Großvater hat Klavier gespielt. Ich hab mich immer geärgert, dass ich nie ein Musikinstrument gelernt hab. Ich war der älteste Sohn einer Bauernfamilie, und der älteste Sohn hat eigentlich mal den Hof zu übernehmen. Aber ich hab mich immer sehr für Musik interessiert, schon als ich 16, 17 Jahre alt war - vor allem für Jazz.

Empfinden Sie sich als Künstler oder als Techniker?

Sie können mit Feuerwerk keine Kunst machen, wenn Sie die Technik nicht beherrschen. Sie müssen bei jedem einzelnen Feuerwerkskörper genau wissen, wie er aufgebaut ist. Denn er kann - wenn man ihn nicht beherrscht - gefährlich werden. Man braucht eine gute Logistik, Topleute. Das ist Teamwork. Das ist die handwerkliche Sache. Aber Kunst kann man nur machen, wenn man davon auch ein bisschen besessen ist wie ich. Manchmal sitze ich da und überlege mir jede Farbe. Ich kann mir genau vorstellen, wie eine Farbe zu einem bestimmten Ton passt - das habe ich 20 Jahre trainiert.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Feuerwerk - die Initialzündung?

Ich komme vom Dorf. Ich war schon in meiner Jugend sehr naturwissenschaftlich interessiert, hab Jugendbücher über den Chemiker Justus von Liebig gelesen - die ganzen Storys, wie der geknallt hat -, hab Knallsilber selbst gemacht. Eine Grundlage für pyrotechnische Sätze als Oxidationsmittel ist Unkraut-Ex, so ein Totalherbizid, mit dem man das Gras wegmachen kann. Und das stand bei uns auf dem Bauernhof in Fässern rum, Beschaffungsprobleme gab es nicht. Das ist Kaliumchlorat, und das in Verbindung mit Kohlenstoff, also Holzkohle oder normales Löschblattpapier - das brennt, zischt und knallt.

Bei Ihrem ersten Feuerwerk haben Sie den Bauernhof in die Luft?

Nee, das nicht. Ich hab da viele Sachen gemacht - mir ist Gott sei Dank nichts passiert -, aber ich würde jedem davon abraten, das zu tun. Und später, als ich auf dem Gymnasium in Magdeburg war, da bin ich mal auf den Boden geklettert. Da standen alte präparierte Tiere und Chemikalien. Ein Glas Quecksilber. Das sollte alles weggeschmissen werden. Ich hab das mitgenommen. Auch in der Apotheke habe ich mir vieles besorgt. Äther und Rizinusöl für Modellbomben, Schwefelsäure, Salpetersäure. Das war einfach naturwissenschaftlicher Forscherdrang.

Was ist denn so toll am Knallen und Zünden von Feuerwerksbomben?

Warum stellen Sie denn beim Essen eine Kerze auf den Tisch? Was hat denn das für einen Sinn? Warum sitzen die Leute am Lagerfeuer auch im Sommer, wenn es gar nicht kalt ist? Ich sag immer, das ist ein Ur-Instinkt. Die Beherrschung des Feuers war ein entscheidender Punkt in der Geschichte der Menschwerdung. Das ist in unseren Genen drin. Und Feuerwerk ist die absolute Beherrschung und Schönheit.

Später haben Sie als Abteilungsleiter im Sprengstofflager Schönebeck gearbeitet. Was haben Sie da in die Luft gejagt?

Die Abteilung nannte sich Sprengstoffverteiler für den zivilen Sektor. Es ging um Feuerwerk, Sprengstoff für Steinbrüche, Imitationsmittel für die Feuerwehr, ein bisschen Jagdmunition. Wir haben auch die Feuerwerke ausgerichtet. In der Truppe war ich nach vier Jahren als der Kreative anerkannt. Ich hab mich auch viel mit den alten Büchern beschäftigt.

Mit welchen alten Büchern?

Na, über die Hochkultur des Feuerwerks im Barock. Die Feuerwerkskunst war damals gleichgestellt mit Architektur, Musik, Theater und allem anderen. Auch in Deutschland, noch bei August dem Starken, war Feuerwerk eine riesige Inszenierung, um die eigene absolutistische Macht gegenüber dem Volke darzustellen und das Volk zu begeistern.

Wie bei dem größten Feuerwerk der DDR, zur 750-Jahr-Feier von Berlin 1987.

Damals wurde ich zum Chefkreativen aller Feuerwerke in Ostberlin ernannt. Ich hatte bereits 1985 die 850-Jahr-Feier in Schwerin gemacht. Und das kam so wahnsinnig gut an, dass die Leute auf die Dächer der Trabis gestiegen sind. Zu DDR-Zeiten auf ein Auto zu steigen - das Auto war ein Heiligtum. Zur 750-Jahr-Feier war dann auch richtig viel Geld da. Eine barocke Feuerwerksbühne aufs Wasser gebaut, ich dachte, das kriegste nie wieder.

Es gab also keine Spur von Mangelwirtschaft, wenn es richtig knallen sollte?

Sonst herrschte immer Mangel - an allem. Es gab auch nicht genug Silvesterfeuerwerk. Aber zur 750-Jahr-Feier war alles möglich. Es ging ja im Prinzip darum, wer macht die beste Party: Ost oder West? Und da übertrafen die sich gegenseitig.

Das Westberliner Feuerwerk fand in Tempelhof statt. Damals haben 60 Prozent der Westberliner Bevölkerung sich das angeschaut, mehr als eine Million Menschen waren auf dem Flughafengelände und drum herum. Mit wie viel Besuchern rechnen Sie?

Wir haben jetzt 100.000 verkaufte Karten. Ich wünsche mir, dass das mindestens noch mal so viele werden.

Das Feuerwerk von 1987 werden Sie aber überbieten, nehme ich an?

Damals wurde eine japanische Feuerblume mit einem Durchmesser von 60 Zentimetern geschossen. Wir schießen zwei von den großen und insgesamt 40 Stück von 200 bis 600 Millimeter Durchmesser, alle speziell in Japan, China und Europa gefertigt. Die größte hat am Himmel einen halben Kilometer Durchmesser. Aus Japan haben wir auch schon ganz viele Buchungen. Die ganzen Japaner in Europa wissen, so eine große Feuerblume sieht man nirgends. Und das hat seit 22 Jahren keiner geschafft, die herzuholen.

Warum wollten Sie Ihre Pyromusikale gerade in Tempelhof veranstalten?

Ich hab immer Visionen. Ich denke immer, wer keine Visionen hat, keine Träume hat, der hat auch keine Ziele. Tempelhof war immer meine Wunschvorstellung. Ich war der Erste, der für Tempelhof den Vertrag bekommen hat.

Aber warum wollten Sie denn nun unbedingt nach Tempelhof?

Tempelhof ist die beste Location, die man sich überhaupt vorstellen kann. Der Zuschauerplatz allein hat 240.000 Quadratmeter Fläche. Und obwohl sich die um 2 Grad neigt, haben Sie den Eindruck, es geht nach oben, als ob da ein Hügel ist. Das ist die optische Täuschung - für die Zuschauer natürlich fantastisch, da sehen Sie auch noch was von ganz hinten.

Bloß: Um 23 Uhr ist Schluss mit dem tollen Feuerwerk, das hat der Bezirk beschlossen. Dabei ist es im Hochsommer da noch gar nicht richtig dunkel. Sind Sie enttäuscht?

Ich hatte mir tatsächlich mehr Unterstützung von der Stadt Berlin, einer Weltstadt, erhofft. Wir haben das "Be Berlin"-Logo, das ins Guiness-Buch der Rekorde soll, auf 750 Meter Länge, 250 Meter Breite aus 20.000 Bengaltöpfen produziert. Das übertragen alle Fernsehstationen - die Deutsche Welle wird das senden, das spanische, japanische Fernsehen, der rbb.

Hat Berlin Sie nicht verstanden?

Manchmal frage ich mich schon, ob bestimmte Leute sich das Konzept nicht bis zum Ende durchgelesen haben. In Düsseldorf gibt es zum Japantag ein Feuerwerk nach 23 Uhr, da kommen eine Million Menschen. Das nutzt die Stadt als Tourismusmagnet. Und Berlin lebt doch davon, dass Touristen kommen. Ich hab gedacht, die Pyromusikale passt genau ins Konzept dieser Stadt.

Woran hapert es Ihrer Meinung nach?

Berlin möchte sich immer gern weltoffen darstellen, aber im Inneren ist eine Enge zu spüren …

Sie meinen innerhalb der Berliner Verwaltung?

Ich hatte bis jetzt noch nie so intensiv mit derVerwaltung zu tun - das ist schon sehr engstirnig und kleingeistig. Es herrscht sehr viel Verwirrung zwischen den Ämtern und den Senatsverwaltungen.

Angeblich haben sich ja Anwohner beschwert, weil es zu laut werden würde.

Das sind alles Verwaltungsbeschlüsse. Da hat gar keiner geklagt. Das sind alles Gerüchte. Auch, dass die große Feuerwerksbombe auf die Häuser fallen könnte. Wir haben hier keine Sprengstoffe, die alles auseinanderfetzen, das ist Schwarzpulver, das macht puff. Wir zerstören hier nichts, sondern wir wollen schöne Bilder am Himmel erzeugen.

So einfach ist das anscheinend nicht.

Wir haben Auflagen, das können Sie sich nicht vorstellen. Ich muss extra aus Sicherheitsgründen noch mal einen Zaun von fünf Kilometern Länge über den Flugplatz stellen. Und hinter dem Fluggebäude, auf 1,2 Kilometer Länge muss es auch noch mal einen Zaun geben, damit da ein Krankenwagen langfahren kann.

Trotzdem halten Sie den ehemaligen Flughafen Tempelhof nach wie vor für den geeigneten Ort für die Pyromusikale?

Wir haben hier einfach Platz und noch mal Platz. Das ist so mega und eine Riesenherausforderung. Als ich zum ersten Mal im Dezember meine Pläne aufgemalt habe, dachte ich, ich hätte mich im Maßstab geirrt. Aber das macht auch Spaß. Weil ich ja weiß, dass mindestens 95 Prozent aller Besucher das toll finden. Ob jung alt, arm reich, gebildet, weniger gebildet - alle lieben Feuerwerk.

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