Hilfskomitee will Abschiebung verhindern: Neue Heimat Cottbus

Die kongolesische Familie Manuel soll abgeschoben werden. Ein Hilfskomitee in Cottbus will das verhindern.

"Sie haben gesagt, du musst den Kongo verlassen - für immer", sagt Jean-Mpaka Manuel. "Und jetzt soll ich wieder in den Kongo zurück?" Mit weit aufgerissenen Augen schaut er sich um, blickt von Gesicht zu Gesicht. Eine Nachbarin, der Sozialarbeiter, eine Freundin, ein Bekannter sitzen dicht gedrängt mit der fünfköpfigen Familie am Wohnstubentisch in einem Plattenbau am Cottbuser Stadtrand. Ein Hilfskomitee. Gegründet, um die Familie Manuel vor der Abschiebung zu bewahren. Es gibt Marmorkuchen. Im Fernseher läuft lautlos der Cottbuser Lokalsender.

Seit Jean-Mpaka Manuel vor sieben Jahren als politischer Flüchtling nach Deutschland kam, hat er versucht, alles richtig zu machen. Anzukommen, dazuzugehören. Er ist im Vorstand des Cottbuser Flüchtlingsvereins, spielt mit einer Trommlergruppe auf Stadtfesten, engagiert sich ehrenamtlich für die Stadt. Seine Frau arbeitet vier Stunden die Woche bei den Maltesern. Die Kinder sind gut in der Schule, sein ältester Sohn spielt im Cottbuser Fußballverein.

Im Januar kam der Brief der Ausländerbehörde. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag nicht bewilligt. Die Lage im Kongo habe sich gebessert, hieß es in der Begründung.

"Wir werden alles tun, damit ihr hierbleiben könnt", beruhigt Jörn Meyer. Er ist Vorstandmitglied im Cottbuser Aufbruch. Die Initiative hat sich 1999 gegründet, um das ausländerfeindliche Bild von Cottbus zu ändern. 3.188 Unterschriften hat der Cottbuser Aufbruch gesammelt, um die Abschiebung der Familie Manuel zu verhindern. In zwei Wochen. "Wir sind einfach von Haus zu Haus gezogen, haben in Kleingärten gefragt", sagt Helga Flieger, eine Freundin der Familie. "Um ehrlich zu sein, wir hätten nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen unterschreiben würden", sagt Meyer. "Ein Geschenk Gottes" nennt es Jean-Mpaka Manuel.

Vor zwei Wochen haben sie die Unterschriften dem Oberbürgermeister in Cottbus übergeben. Gleichzeitig lief der Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht. Seit zehn Tagen steht nun fest: Der Asylantrag wird vom Bundesamt neu geprüft. Ein Hoffnungsschimmer. Mehr nicht. Anfang September wird sich entscheiden, ob Familie Manuel eine Chance hat, in Deutschland zu bleiben.

Bis dahin wird Jean-Mpaka Manuel nicht müde, jedem, der sie sehen will, seine Papiere zu zeigen. Neben der Glasvitrine, in der Weizenbiergläser stehen, hat er sie gesammelt: die guten Zeugnisse seiner Kinder, Bescheinigungen über den Eintritt in den Fußballverein, die Teilnahme seines Sohns an der Keyboard-AG. Der 42-Jährige hat gelernt, dass in Deutschland ein Stück Papier alles bedeuten kann. Das psychiatrische Gutachten etwa, in dem steht, dass eine Rückkehr in den Kongo für den traumatisierten Mann fatal wäre. Auf dem Papier steht auch, dass er eine Arbeit als Hausmeister antreten könnte, sobald er eine Arbeitserlaubnis hätte. Die bekommt er aber erst, wenn eine Aufenthaltsgenehmigung vorliegt. Darauf hoffen die Helfer der Manuels jetzt. Für den Fall, dass er sie nicht bekommt, hat das Hilfskomitee schon mal nach anderen Möglichkeiten gesucht. "Wir haben bereits mit einem Pfarrer gesprochen, der würde ihnen Kirchenasyl gewähren", sagt Helga Flieger und streicht dem jüngsten Sohn Honec mütterlich über den Rücken.

Der Vierjährige ist in Deutschland geboren. Im Gegensatz zu seinen Brüdern spricht er die Sprache Kinshasas nicht. In der Familie wird deutsch gesprochen. Hin und wieder muss Chirac, der älteste Sohn, für seinen Vater übersetzen. Immer dann, wenn Jean-Mpaka Manuel die Emotionen überfallen und die Angst vor der Abschiebung zu groß wird. Manchmal, wenn er nicht mehr weiterweiß, setzt er sich an seine Trommeln: "Wenn ich spiele, vergesse ich die Angst und das, was damals passiert ist."

Vor sieben Jahren stürmten zwei Polizisten sein Haus in Kinshasa, verletzten seine Frau, nahmen ihn fest. Manuel arbeitete als Taxifahrer und hielt einen Freund, der zur verfolgten Minderheit der Tutsi gehörte, bei sich versteckt. "Ja, ich war politisch aktiv", sagt Manuel fast flüsternd. Mehrere Wochen saß er im Gefängnis. Eine offizielle Anklage gab es nicht. Stattdessen forderte ein Beamter Lösegeld, seine Frau zahlte. Irgendwann haben sie ihn dann aus der Zelle geholt, ihm die Augen verbunden und in einen Jeep gesetzt. "Ich dachte, sie bringen mich weg, um mich zu erschießen", sagt Manuel. Man brachte ihn zu einem Grenzfluss, setzte ihn in ein kleines Ruderboot. Am anderen Ende des Flusses wartete seine Frau mit den zwei Kindern und einem Mittelsmann. Manuel nennt ihn Papa. Nach Angola, von da aus nach Russland bis nach Deutschland in die Hauptstadt Berlin brachte Papa sie. Zwei Wochen später wurde Familie Manuel in einem Flüchtlingsheim bei Cottbus aufgenommen. Das war im Juni 2002.

Sieben Jahre später ist Cottbus zu ihrer Stadt geworden. "Nach dem Abitur will ich in Cottbus Architektur studieren", sagt der 16-jährige Sohn Chirac. Seit Kurzem ist er Mitglied in der Trommlergruppe, die sein Vater mit einigen Afrikanern gegründet hat. Homeless - heimatlos - hat Jean-Mpaka Manuel seine Band genannt. Ob Deutschland irgendwann auch seine Heimat werden wird? Manuel starrt auf den Boden, schaut zu seiner Frau. Auf ihre Narbe unterm Auge, die ihr die Polizisten in jener Nacht in Kinshasa zugefügt haben. "Deutschland ist eine Demokratie, der Kongo nicht", sagt er.

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