Heiße Luft im Wahlherbst

FRIEDRICHSHAIN-KREUZBERG Die fünf Direktkandidaten verweigern konkrete Antworten und hinterlassen frustrierte Wähler. CDU-Kandidatin Lengsfeld ist Lachnummer des Abends

„Die deutschen Reaktoren sind die besten der Welt“

VERA LENGSFELD, CDU

VON ANNA MAUERSBERGER

Auf den Bänken der Zwingli-Kirche, die sich südlich des Bahngeländes an der Warschauer Straße über den Rudolfplatz erhebt, sitzen Kreuzberger und Friedrichshainer Wählerinnen und Wähler dicht gedrängt. „Lebensraum Spreeraum: Was ist und was soll morgen sein?“ – das möchten sie am Donnerstagabend von den Bezirkskandidaten der fünf großen Parteien wissen. Mit knallig bunten Comicplakaten à la Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), Busenwerbung à la Vera Lengsfeld (CDU) oder dem „Arsch in der Hose“ einer Halina Wawzyniak (Die Linke), allesamt Direktkandidaten ihres Wahlbezirks, möchten sich die Zuschauer nicht zufrieden geben. Außerdem auf dem Podium: Björn Böhning (SPD) und Markus Löning (FDP). Noch ist die Stimmung entspannt.

„Eine lokalpolitische Diskussion mit bundespolitischer Ambition“ hatte Moderatorin Tissy Bruns, Chefkorrespondentin des Tagesspiegels, angekündigt. Auf allzu viel Lokales allerdings ließen die Politiker sich nicht ein. Die erste Hälfte der Veranstaltung nutzten sie vielmehr dazu, unter Beweis zu stellen, wie gut sie das eigene Parteiprogramm kannten: Es ging um Opel und die Abwrackprämie, den gesetzlichen Mindestlohn, die Rente mit 65, die richtige Steuerpolitik.

Das Misstrauen, das die Bundesbürger den Parteien in etlichen Umfragen immer wieder attestieren, hätte allerdings kaum besser illustriert werden können. Zwar kommen hin und wieder vereinzelte Klatscher aus dem Publikum, im Großen und Ganzen allerdings fällt auf: Einen Rückhalt bei den Zuschauern genießt keiner der fünf Direktkandidaten – noch nicht einmal Lokalmatador Hans-Christian Ströbele, der die letzten Wahlen haushoch gewann und auch dieses Jahr als sicherer Sieger im Wahlkreis gilt. Erst als Vera Lengsfeld (CDU) die „zu starke Subventionierung von alternativen Energien“ bedauert und die Atomkraftwerke in Deutschland als die „besten der Welt“ bezeichnet, geht ein einheitliches Raunen durch die Menge. Und Björn Böhning (SPD) wird kurz darauf mit anhaltendem Applaus belohnt, als er aufgebracht dagegenhält, dass die Subventionen doch vor allem in die Atomenergien flössen.

Nach etwa einer Stunde haben die Anwesenden im Saal genug von politischen Floskeln. „Wir möchten endlich Antworten auf die Fragen, die sich vor unserer Haustür auftun!“, ruft ein älterer Herr aufgebracht aus den hinteren Rängen. Vor allem das seit Jahren umkämpfte Projekt Mediaspree, eine Neubausiedlung entlang der Spreeufer von Friedrichshain und Kreuzberg, das bereits per Bürgerentscheid abgelehnt wurde, brennt den Zuhörern immer noch unter den Nägeln. „Wie könnt ihr die Investoren immer noch so rumeiern lassen?“, echauffiert sich eine Dame. Doch konkrete Antworten darauf bekommt sie von der Tribüne nicht. Dieses Schicksal teilt sie mit allen anderen Fragestellern. Ob sie den Druck, der an der Berliner Humboldt-Universität durch mangelndes Personal herrsche, als Spaß empfinden solle, möchte eine Studentin wissen. Was denn für die Familien getan werden könne, fragt eine junge Mutter. Die Ideen dazu bleiben aus, die Antworten erweisen sich als höchstens vage. Das letzte Wort bekommt Vera Lengsfeld (CDU), die zu ihrem Programm gegen rechts befragt wird. Rechtsextremismus sei ein Problem, räumt Lengsfeld ein, aber auch gegen Linksextremismus müsse vorgegangen werden – na dann!