Einzelbewerber: Der plakative Neuköllner

Yusuf Bayrak bewirbt sich in Neukölln um ein Direktmandat für den Bundestag. Die Plakate des Parteilosen sind unübersehbar, seine Ziele sind schwammig.

Wäre die Zahl der Wahlplakate ein Indikator für den Wahlsieg, Yusuf Bayrak hätte den Bezirk Neukölln bereits für sich entschieden. Zwischen den Telecafés und Köftecis-Bars am Kottbusser Damm lächelt der parteilose Direktkandidat von jedem Baum, von jeder Laterne. Den Hemdkragen leger geöffnet, mit dunklem Jackett und Bartschatten blickt er vom Plakat auf die Passanten - wahlweise vor rotem, grünen oder blauem Hintergrund, wie eine Parodie auf die politische Farbenlehre.

Der echte Yusuf Bayrak wirkt etwas älter. Doch das Lächeln ist dasselbe. Im Anzug, den oberen Hemdknopf jetzt geschlossen, wartet der 46-Jährige vor seinem Haus. "Von welcher Zeitung sind Sie noch einmal?", fragt er. "Gestern erst war ein türkischer Sender bei mir." In die Abendschau hat er es geschafft, selbst in die Tagesthemen.

Bayraks Wohnhaus liegt in einem zweiten Hinterhof, abgeschirmt vom Lärm der Karl-Marx-Straße. Der Garten dient als Presseraum. Die Plakate lehnen am Tisch. "Davon habe ich 3.000 Stück, dann noch 10.000 rote Rosen und Klappkarten importieren lassen." Für Kinder stehen Kartons mit Seifenblasenflüssigkeit bereit. "Meine Eltern werden auch Onkel Yusuf Bayrack wählen" ist darauf zu lesen. "Was meinen Sie, was das gekostet hat?", fragt Bayrak und lässt gleich darauf wissen: "Alles im Centbereich."

Yusuf Bayrak ist Geschäftsmann. Er verdient sein Geld mit Teleshopping-Produkten aus China, die er hauptsächlich im nichteuropäischen Ausland verkauft. Aus China kommen auch die Wahlprodukte. Aber darüber möchte er jetzt nicht weiter reden. "Bis Mittags bin ich Geschäftsmann, bis 17 Uhr hänge ich Plakate und danach mache ich Politik." Jetzt ist früher Abend. Jetzt ist Bayrak Politiker.

Erste Erfahrung in diesem Metier konnte er 2006 bei der Wahl zur Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) sammeln. Da erzielte die Liste "Dialog der Neuköllner Bürger" 1,1 Prozent der Stimmen. Sie bestand aus Bayrak, Bayraks Sohn und Bayraks Frau.

Auf seinen aktuellen Wahlkampfutensilien steht "Ich liebe Neukölln". Seit dem 16. Lebensjahr lebt Bayrak in Berlin, seit 13 Jahren in Neukölln. "Dieser Bezirk ist eine Schatzkammer an unterschiedlichen Kulturen", sagt der Kandidat. Hier leben über 160 Nationen nebeneinander. Genau das sieht Bayrak als Problem. "In Deutschland existiert eine Parallelgesellschaft." Verwaltung und Politik unterstützten diesen Zustand. "Migranten werden an der Entschlussfassung nicht beteiligt", findet Bayrak. Fast 40 Prozent der 300.000 Neuköllner haben einen Migrationshintergrund, mehr als jeder fünfte ist Ausländer. "Aber in der BVV sitzen nur drei Politiker mit Migrationshintergrund", kritisiert Bayrak. "Engagiere ich mich als Migrant hier im Bezirk, lande ich sofort im Migrantenbeirat." Er will nicht auf seine Herkunft reduziert werden. Deshalb will er nicht für eine Partei antreten. Deshalb möchte er den Beirat abschaffen.

Manon Ziemann vom Arabischen Kulturinstitut in Neukölln unterstützt das. Die Migrantenbeiräte seien eher eine Hinterbank für Engagierte mit Migrationshintergrund, meint Ziemann: "Bayrak kann die Probleme gut benennen, aber leider kaum Ziele formulieren."

Befragt nach konkreten Änderungsvorschlägen und anderen Wahlkampfthemen, liest Yusuf Bayrak detailliert aus seinem Programm vor: "Wir brauchen eine Mehrheitsgesellschaft, in der sich jeder einbringen kann, die Familie steht im Zentrum, und generell muss die Spaßgesellschaft ein Ende haben."

Der Geschäftsmann Bayrak ist viel im Ausland unterwegs. Immer wieder fließen englische Wörter in das Gespräch ein. "Die Besten unter euch sind diejenigen, die ihren Mitmenschen behilflich sind", steht auf Bayraks Plakaten. "Das ist ein Zitat aus den Hadithen, den Aussprüchen des Propheten", erklärt Ender Cetin, Öffentlichkeitsreferent der Sehitlik-Moschee am Neuköllner Columbiadamm. In der Gemeinde sei Bayrak zwar ein Thema, sagt Cetin. Doch als Kandidat sei er nicht interessant. "Die meisten Mitglieder sind Ausländer und dürfen nicht wählen."

"Selbst wenn alle Migranten in Neukölln wählen könnten, hätte Bayrak keine Chance auf einen Platz im Parlament", meint Arnold Mengelkoch, Neuköllns Migrationsbeauftragter. Die Migranten seien zu zerstritten, sie könnten sich nie auf einen türkischen Quotenkandidaten einigen. Zur Kandidatur des Neuköllners konstatiert er: "Ein jeder hat sein Hobby. Aber generell ist jede Initiative von Migranten begrüßenswert."

Dass seine Initiative für die Bundestagskandidatur aussichtslos ist, weiß Bayrak. Doch er blickt bereits auf die Abgeordnetenhauswahl 2011: "Dann trete ich mit einem Bündnis in allen zwölf Wahlbezirken an."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.