Streit über Stigmatisierung

POTSDAM Klinik überlegt, ihre Psychiatrie in die Innenstadt zu verlegen. Auch Patienten dagegen

„Wir raten den Leuten, sich nicht zu outen“

MATTHIAS SEIBT, PSYCHIATRIE-ERFAHRENER

Sind Psychiatriepatienten Kranke zweiter Klasse? Für den Geschäftsführer des Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikums, Steffen Grebner, offenbar schon. Zumindest wenn stimmt, was er im Rahmen einer internen Debatte über mögliche Sparmaßnahmen gesagt haben soll: In der Psychiatrie könne man gut sparen, da die Patienten dort nicht so mündig seien, sich nicht so schnell beschwerten und auch nur selten Besuch bekämen. Dies äußerte er gegenüber dem Leiter der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses, Christian Kieser, wie das interne Protokoll eines Gesprächsteilnehmers belegt.

Diese Mitschrift des Gesprächs liegt der taz vor. Grebner dementierte allerdings die ihm zugeschriebenen Äußerungen, auch die Sprecherin der psychiatrischen Abteilung, Damaris Hunsmann, erklärte, dass Grebner das nicht gesagt habe. „Das ist eine komplette Falschaussage“, sagte sie der taz. Zu weiteren Stellungnahmen war man im Ernst-von-Bergmann-Klinikum nicht bereit.

Hintergrund der Debatte sind Sparmaßnahmen: „Die Pflegesätze für 2010/11 bringen die Notwendigkeit von Einsparungen mit sich“, wird Grebner weiter in dem Papier zitiert. Aus diesem Grund erwägt das Klinikum, Teile des psychiatrischen Zentrums von der ruhigen Lage In der Aue im Stadtteil Babelsberg ins Stadtzentrum zu verlegen.

„Derzeit prüfen wir, inwieweit eine solche Verlegung Sinn macht“, bestätigt Hunsmann. Über mögliche Vor- und Nachteile für die Patienten könne man sich im Moment aber nicht äußern. Genau diese Vor- oder Nachteile für die Patienten haben nun aber – lange vor einer endgültigen Entscheidung – zu einer kontroversen Debatte geführt. Einerseits sollen Psychiatriepatienten den Weg zurück ins Alltagsleben finden. Die stationäre Behandlung in die Innenstädte zu integieren könnte dabei helfen, meinen vor allem Angehörigenverbände.

„Andererseits leiden Psychiatriepatienten häufig darunter, dass sie ausgegrenzt und stigmatisiert werden“, sagt Matthias Seibt, Sprecher des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener (BPE). „Wir raten daher den Leuten, sich nicht zu outen.“ Das eigentliche Problem sei die gesellschaftliche Etikettierung psychisch Kranker, so Seibt. Um sich vor einer Stigmatisierung zu schützen, schätzen viele Patienten die Anonymität. Genau die aber könnte durch einen Umzug in die Innenstadt gefährdet sein.

Die Sprecherin einer brandenburgischen Betreuungseinrichtung für Menschen mit psychischen Erkrankungen verdeutlicht das Bedürfnis ihrer Klienten nach Anonymität an einem Beispiel: „Einige unserer Bewohner fahren nicht im Auto einer Kollegin mit, weil es den Schriftzug unserer Institution trägt. Sie fürchten, als Psychiatriepatienten erkannt zu werden.“

Wie groß die Furcht vieler Erkrankten ist, erkannt und stigmatisiert zu werden, wird auch deutlich, wenn man versucht, mit den Behindertenbeauftragten der lokalen öffentlichen Einrichtungen zu sprechen. Die Angst, den Betroffenen zu schaden, ist groß, deshalb hält man sich mit Äußerungen extrem zurück. Um Erkrankte aus der gesellschaftlichen Isolation herauszuholen, komme vor allem zusätzlichen Angeboten abseits der stationären Behandlung in Kliniken eine große Bedeutung zu, erklärt Wicklein. Durch Projekte wie Sekiz könne Patienten der Wiedereinstieg ins Arbeitsleben erleichtert werden. Auf diesem Gebiet herrsche in Potsdam eindeutig noch Handlungsbedarf, so Wicklein. ARIANE LEMME