Interview mit Wirtschaftssenator Harald Wolf: "Die Frage ist: Welche Art von Wachstum brauchen wir?"

Harald Wolf zieht als Spitzenkandidat der Linken in den Wahlkampf. Er setzt sich für die Rekommunalisierung von Wasser, Nahverkehr sowie Strom- und Gasversorgung ein. Die Investitionen wären hoch, würden sich aber schnell lohnen.

Harald Wolf. Bild: dapd

taz: Herr Wolf, die Abgeordnetenhauswahl im September wird mutmaßlich durch wenige Prozentpunkte entschieden. Schon fast tragisch, dass Ihnen die gerade durch Ihre Lichtenberger Parteifreundin Gesine Lötzsch und ihre Kommunismusfantasien abhandenkommen, oder?

Harald Wolf: Die Wahl kommt erst im September, dann wird diese überflüssige Diskussion keine Rolle mehr spielen. Entscheidend wird sein: Wie beurteilen die Wähler die Bilanz unserer Regierungsarbeit und unsere Vorschläge für ein soziales Berlin.

Ärgert Sie die Diskussion?

Natürlich ärgert mich das.

Neuen Umfragewerten zufolge liegt die Linkspartei bei gerade mal 14 Prozent. Wo sehen Sie sich nach dem 18. September?

Ich gehe von einem deutlich besseren Ergebnis als beim vergangenen Mal aus [13,4 Prozent, d. Red.]. Wir wollen so stark werden, dass wir wieder bei der Regierungsbildung mitreden.

Die anderen Parteien schwanken bis zu 10 Prozentpunkte, die Linkspartei verharrt in einem Korridor zwischen 14 und 18 Prozent. Das kann man konstant nennen - oder nicht ausbaufähig.

Vor der Bundestagswahl 2009 bewegten wir uns in den Umfragen in dem von Ihnen beschriebenen Korridor, am Wahltag selbst aber hatten wir in Berlin über 20 Prozent. Da ist also durchaus noch Bewegung drin.

Sie sehen sich ja mit den Grünen auf Augenhöhe. Anmaßung?

Prinzipiell gilt da ein alter Satz des grünen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wieland, das sogenannte Wielandsche Gesetz: Die Grünen gewinnen die Umfragen, die PDS die Wahlen. Das haben wir in der Vergangenheit oft genug erlebt. Die Grünen waren im letzten Jahr von einer Stimmung getragen, die inzwischen rapide abflaut. Stimmung ist eben etwas anderes als Stimmen.

Spitzenkandidat waren Sie bereits 2006 - und damit dafür verantwortlich, dass Ihre Partei von 22,6 Prozent bei der vorigen Wahl auf wenig mehr als die Hälfte davon abrutschte. Was wollen Sie denn dieses Mal ganz persönlich anders machen?

Das ist ja nicht nur eine persönliche Frage, sondern eine des Gesamtauftritts der Partei. Wir hatten doch bei der letzten Wahl eine ganze Reihe von Erschwernissen: 2002 traten wir in die Regierung ein, als die Stadt am Rande eines finanziellen Kollapses stand. Wir mussten einen schwierigen Sanierungskurs fahren, um überhaupt als Land wieder finanziell handlungsfähig zu werden. Dazu kam, dass die WASG damals mit einer eigenständigen Kandidatur gegen uns angetreten ist. Das hat für erhebliche Verwirrung in unserer Wählerschaft gesorgt - im Jahr zuvor waren wir bei den Bundestagswahlen noch gemeinsam angetreten.

In den Köpfen vieler ist hängen geblieben: Mit Gregor Gysi hat die PDS 2002 viel besser abgeschnitten als 2006 mit Harald Wolf. Treibt Sie der Wunsch, eine Scharte auszuwetzen, zur nochmaligen Spitzenkandidatur?

Natürlich habe ich den Ehrgeiz, ein besseres Ergebnis als 2006 zu erzielen. Gysi als Person hat selbstverständlich zu dem guten Ergebnis 2002 beigetragen. Aber das war nur eine Komponente. Zum damals herausragenden Wahlergebnis haben auch stark unsere Rolle bei der Aufdeckung des Berliner Bankenskandals und der beginnende Afghanistankrieg beigetragen. 2006 war das politische Umfeld dann ganz anders.

Vielleicht müssen Sie mehr in die Öffentlichkeit gehen mit dem Erreichten: Wenn etwa Renate Künast zur Industrie- und Handelskammer (IHK) geht, berichten alle darüber. Von Ihnen hört man nichts - obwohl Sie in der Wirtschafts- und Ansiedlungspolitik durchaus Erfolge vorzuweisen haben.

Dass ein Wirtschaftssenator zur IHK geht, auch wenn er von der Linken kommt, ist doch längst keine Meldung mehr - auch für die taz nicht. Wenn Renate Künast sich mit Wirtschaftsfragen beschäftigt und mit der Industrie diskutiert, ist das etwas völlig Neues.

In den letzten Jahren haben Sie stets auf die Aufholjagd der Berliner Wirtschaft verwiesen: noch ein neuer Cluster, ein Masterplan, runde Tische. Wäre es nicht an der Zeit, dass Berlin sich mit etwas eigenem, Neuem selbst an die Spitze setzt? Längst wird etwa darüber diskutiert, ob Wohlstand noch am Wachstum gemessen werden soll oder andere Indizes hermüssen.

Von anderen Indizes geht es aber niemandem besser! Eine Stadt wie Berlin, die bei Wirtschaftskraft und Einkommen einen deutlichen Rückstand gegenüber dem Bundesdurchschnitt hat, ist der falsche Ort, um zu sagen: "Wir brauchen kein Wachstum." Ich glaube, dass mehr und mehr zur Kenntnis genommen wird, dass in den letzten fünf Jahren 120.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden sind und die Arbeitslosigkeit um 40 Prozent gesunken ist. Aber wir müssen darüber reden, welche Art von Wachstum wir brauchen. Es muss nachhaltig, ressourceneffizient sein. Deshalb haben wir soziale Mindeststandards in die Wirtschaftsförderung und das Vergabegesetz aufgenommen.

Präsent sind Sie bei der Diskussion um die Frage, wer die Daseinsvorsorge in der Stadt organisieren soll. Wasserbetriebe, Strom- und Gasversorgung in Landesbesitz zu holen würde indes fast 7 Milliarden Euro kosten. Wo sollen die herkommen in einem Land, das über 60 Milliarden Euro Schulden hat?

Das sage ich doch regelmäßig.

Wir hören es gerne noch einmal.

Die Zahl 7 Milliarden Euro ist völlig aus der Luft gegriffen. Die Finanzierung erfolgt über Kredite. Aber im Gegensatz zu den Schulden, die Berlin in der Vergangenheit aufgenommen hat, um seine laufenden Personal- oder Sachausgaben zu finanzieren, wäre dies eine echte Investition. Wenn wir zum Beispiel Eigentum an Strom- und Gasnetzen hätten, könnten wir die Investitionen über die Netzentgelte der Gas- und Stromanbieter refinanzieren. Das ist ein Prinzip, nach dem jeder Investor handelt, das kann das Land Berlin auch. Andere Kommunen wie Dresden haben das erfolgreich vorgemacht.

Öffentlicher Nahverkehr bleibt in jedem Fall ein Zuschussbetrieb.

Schauen Sie doch einmal, was die S-Bahn an die Deutsche Bahn an Rendite abführt - das ist gigantisch. Das S-Bahn-System ist rentabel zu betreiben. Sonst würde sich auch kein Privater dafür interessieren.

Das hängt doch immer davon ab, wie viel das Land als Zuschuss reinbuttert.

Nein, die S-Bahn hat auch Gewinn gemacht, bevor die Deutsche Bahn sie auf Verschleiß gefahren hat, um möglichst viel Geld aus ihr zu ziehen.

Welche Zukunft sehen Sie für die S-Bahn?

Eine Ausschreibung ist keine Lösung. Das würde die Aufteilung des Netzes bedeuten und dass möglicherweise mehrere Anbieter die S-Bahn betreiben. Private Anbieter sind auch profit- und nicht gemeinwohlorientiert. Ich bin für eine Lösung, mit der wir als Land direkten, steuernden Einfluss auf die S-Bahn bekommen.

Ein Streitthema ist derzeit auch die BIH, die landeseigene Berliner Immobilien Holding. Verkaufen oder nicht?

Das Entscheidende ist: Kommt Berlin durch einen Verkauf endgültig aus der Haftung mit den Immobiliengeschäften raus? Wenn das definitiv so ist und klar abgesichert, dann bin ich der Auffassung, dass wir verkaufen müssen. Damit wäre das Kapitel Bankgesellschaft für das Land Berlin endlich abgeschlossen. Es ist keine öffentliche Aufgabe, Fonds zu bewirtschaften, die zu Spekulationszwecken geschaffen wurden. Diese Fonds dienten nie einer sozialen Wohnungspolitik. Die Wohnungen sind bundesweit verstreut und teilweise in einem sehr schwierigen Zustand. Warum sollte das Land Berlin in Castrop-Rauxel oder Wanne-Eickel in Gewerbeimmobilien investieren?

Und wann ist das so weit?

In den nächsten Wochen muss geklärt werden, ob die Freistellung des Landes von den Risiken wirklich sichergestellt ist, dann muss entschieden werden.

Wenn Sie in 20 Jahren Ihren Enkeln erzählen, worauf Sie besonders stolz sind in Ihrer Bilanz als Wirtschaftssenator, was sagen Sie dann?

An diesem Erfolg arbeite ich gegenwärtig noch: die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe.

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