Verbraucherschutz: Die Kunden zum Sichwehren bewegen

Viele Verbraucher wissen nicht, wo sie sich Rat holen können, wenn es Probleme mit Unternehmen gibt. In einem Pilotprojekt kommt die Beratung daher zu den Kunden.

Mehr als telefonieren - das kann Handytarife schnell undurchsichtig machen und damit ein Thema für die Verbraucherberatung. Bild: dpa, Angelika Warmuth

Funda Günay* hat ein Problem. Vor Kurzem ist sie umgezogen und wollte ihre Telefonnummer mitnehmen. Danach tauchten auf ihrer Telefonrechnung zwei Beträge für die Besuche von Technikern auf. Ein solcher Besuch sei ihr nie angekündigt worden und auch nicht erfolgt, sagt Günay - und will nicht zahlen. Doch das Unternehmen bleibt stur: Die erste Mahnung hat sie schon bekommen.

Weil Günay sich allein nicht mehr zu helfen weiß, sitzt sie an einem Mittwochnachmittag im März in einem kleinen Büro im Familiengarten in Kreuzberg. Im Aufenthaltsraum nebenan wird gerade türkischer Tee gereicht, Stimmengewirr ist zu hören, ab und zu steckt jemand seinen Kopf in den Büroraum und schließt schnell wieder die Tür. Denn mittwochnachmittags ist das Büro das Reich von Ulrike Hinrichs und Nurda Tazegül. Die Rechtsanwältin und die Dolmetscherin beraten hier unangemeldete Verbraucher - dreisprachig und kostenlos.

Noch vor einem Jahr hätte Günay wohl einfach die Zähne zusammengebissen und gezahlt. Und mit ihr unzählige weitere Verbraucher, die mit Unternehmen im Konflikt liegen, aber weder Nerven noch Kenntnisse für einen Rechtsstreit haben und nicht wissen, wo sie sich mit geringem Einkommen beraten lassen können. Die Verbraucherzentrale Berlin und die Senatsverwaltung für Verbraucherschutz wollen das ändern und haben daher das Pilotprojekt "aufsuchender Verbraucherschutz" begonnen.

Seit 1983 gibt es den Weltverbrauchertag am 15. März. Eine Versammlung der Organisation Consumers International gibt dafür ein Schwerpunktthema vor. In diesem Jahr geht es um faire Finanzprodukte. In Deutschland soll ein Schwerpunkt auf "Abzocke durch Gewinnspiele" liegen.

Die Berliner Verbraucherzentrale war in der jüngsten Vergangenheit vor allem mit Sammelklagen gegen die Gasag im Gespräch. Dabei geht es um möglicherweise überhöhte Gaspreise in einem Sondertarif. Der Bundesgerichtshof hatte eine Klausel für unzulässig erklärt, die es dem Unternehmen ermöglichte, die Gaspreise für die Kunden mit Verweis auf den Ölpreis zu erhöhen.

Der sperrige Name soll deutlich machen, worum es geht: Wenn die Menschen nicht in die Verbraucherzentrale kommen, kommt die Verbraucherzentrale eben zu den Menschen. Und zwar am besten dorthin, wo sie die Zielgruppen erreicht, die möglicherweise nicht einmal wissen, was Verbraucherschutz ist: in Kiezzentren, Stadtteilläden, Begegnungseinrichtungen. Seit Oktober 2010 ist Hinrichs mittwochs im Familiengarten, Tazegül hilft, wenn eine Übersetzung ins Türkische oder Kurdische nötig ist. Auch in den drei weiteren Einrichtungen in Neukölln, Lichtenberg und Marzahn gibt es Dolmetscher, manchmal für Türkisch, manchmal für Russisch. 140.000 Euro steckt die Senatsverwaltung in das Projekt. Daher ist die Beratung - im Gegensatz zur Beratung in der Verbraucherzentrale - kostenlos.

"Unser typischer Besucher ist weiblich und zwischen 30 und 60 Jahre alt", sagt Rechtsanwältin Hinrichs. In zwei Dritteln der Fälle könne sie helfen, ein Drittel müsse sie weiterschicken zum Anwalt. "Aber die meisten wissen nicht, dass sie dafür einen Rechtsberatungsschein beantragen können", sagt Hinrichs. Hilfe zur Selbsthilfe, sagt sie, das könne sie hier leisten.

Günay packt inzwischen ihren zweiten Fall auf den Tisch: eine Abrechnung des Kabelnetzbetreibers Kabel Deutschland. "Der Klassiker", sagt Hinrichs und vertieft sich in drei Papierstapel. Einige Minuten später sind zwar ihre Stirnfalten tiefer, die Logik hinter den Rechnungen ist aber nicht klarer geworden. "Das ist eine Geschichte, durch die man nicht durchsteigt", sagt sie. Erst im Gespräch mit der Ratsuchenden bekommt sie langsam eine Idee von dem, was passiert ist: Das Unternehmen hat nach dem Umzug eine neue D-Box geschickt, die die Kundin nicht wollte und daher zurücksandte. Doch der Posten wird ihr weiterhin in Rechnung gestellt. Hinrichs rät zum Widerspruch.

"Es gibt Unternehmen, da macht der Bürger alles richtig - und es hilft trotzdem nichts. Aber zumindest ist dann alles gut dokumentiert, wenn es zum Anwalt geht", sagt sie. Das Problem: Wegen 70 Euro wolle am Ende kaum ein Kunde die Nerven für einen Prozess aufbringen.

Einige Kilometer weiter westlich, im dritten Stock eines Hochhauses am Hardenbergplatz mit Aussicht in Richtung Zoo sitzen Peter Lischke und Hartmut Bäumer. Die Chefs der Verbraucherzentrale könnten kaum unterschiedlichere Blickwinkel haben: Lischke ist seit 20 Jahren dabei und kennt die Verbraucherzentrale fast noch aus den Zeiten, als sie Hauswirtschaftskurse anbot; Bäumer kam erst vergangenes Jahr dazu, nach einer der härtesten Krisen der Verbraucherzentrale. Lischke kann in knappe Worte zusammenfassen, was damals schieflief: Die Verbraucherzentrale führte über Jahre zu viel Umsatzsteuer ab, der Minusbetrag wurde immer größer. Weil das niemandem auffiel, nicht einmal den Steuerberatern, gab es viel Kritik. Der Tenor: Gerade einer Institution, die andere auch in finanziellen Fragen berät, dürfe so etwas nicht passieren. Bis geklärt war, dass die zu viel gezahlte Umsatzsteuer verrechnet werden kann, stand sogar das Wort "Insolvenz" im Raum.

Doch eine Krise kann auch eine Chance sein - und die will die Verbraucherzentrale nutzen. Flexibler soll sie werden, auf die Menschen zugehen. "Es gibt welche, die uns eher wie eine Behörde wahrnehmen", sagt Lischke. Schließlich erinnert einiges durchaus an eine Behörde: Die Termine für Beratungen oder die langen Schlangen auf den Fluren, wenn Sprechstunde für die allgemeine Rechtsberatung ist.

"Die Verbraucherzentrale stand vor der Notwendigkeit, sich inhaltlich neu aufzustellen", sagt Lischke. Bäumer ergänzt: "Eine Verbraucherzentrale hat heute andere Aufgaben als vor 20 Jahren." Man müsse Schritt halten mit Marktentwicklungen und den Bedürfnissen der Verbraucher. "Aktuell sind zum Beispiel gerade wieder Beratungen zum Thema Haushaltsgeräte gefragt, etwa wenn Hersteller mit falschen Siegeln werben.".

Anwältin Hinrichs kann die gefragtesten Themen an einer Hand aufzählen: Probleme mit dem Handyanbieter, Vertragsfallen im Internet, Warenmängel. "Was die meisten Menschen falsch machen, ist, dass sie zum hundertsten Mal bei der teuren Hotline anrufen, der Sachbearbeiter sagt ,jaja' - und dann passiert nichts", sagt sie. Daher gibt es Ratschläge, die sie ständig wiederholt: Jede Kommunikation schriftlich führen, per Einwurf-Einschreiben schicken, Fristen setzen. Sechs Beratungen hat Hinrichs an diesem Tag in zwei Stunden. Bis Ende des Jahres ist das Pilotprojekt zunächst befristet. Aus der Verbraucherzentrale heißt es, dass man sich um eine Verlängerung bemühen will. Andere Bundesländer hätten bereits Interesse an dem Konzept gezeigt.

Vielleicht ließe sich auch der Themenbereich ausdehnen. Klimaschutz, Gesundheit, das sind laut Bäumer Themen der Zukunft. Und wer wisse schon, was die Banken an neuen Produkten erfänden, deren Probleme die Kunden erst später erkennen. Er ist sich sicher: "Die Unseriösen werden nicht aussterben."

*Name geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.