Jungs, die Berge hinunterrollen

STEILER SPORT Mit Helm und Schonern rasen sie bergab: Mountainbiker haben den Wald für sich entdeckt. Dass die „Downhiller“ eigene Parcours anlegen, ärgert die Förster. Aber in den Müggelbergen gibt es jetzt eine offizielle Strecke

■  Downhill Berlin e. V. ist als Pächter für die Strecke in den Müggelbergen verantwortlich. Aufgrund der Ruhezeiten des Waldes darf nur am Wochenende sowie zusätzlich während der Schulferien montags, mittwochs und freitags gefahren werden. Anfahrt, Kontakt und weitere Informationen unter: www.downhillberlin.mixxt.de

■  Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) informiert auf seiner Seite www.bfn.de/natursport über die Möglichkeiten, aber auch über Konfliktpotenzial und Konfliktlösungen rund um sogenannte Natursportarten.

■  Unter dem Moto „Open Trails!“ setzt sich die Deutsche Initiative Mountain Bike (DIMB) für die Nutzung des Waldes durch Mountainbiker ein, solange dies mit dem Naturschutz vereinbar und sozial verträglich ist: www.dimb.de

VON MORITZ FÖRSTER

„Jede Abfahrt ist ein Adrenalinkick“, erzählt Max euphorisch. Der 13-jährige Mountainbiker ist mit seiner vierköpfigen Clique auf dem Teufelsberg im Grunewald unterwegs. Der selbstbewusste, redefreudige Junge fährt derzeit jeden Tag: „Meine Mutter freut sich, dass ich so oft an der frischen Luft bin!“ In die Pedale muss er allerdings eher selten treten – er rollt grundsätzlich nur bergab, Downhill halt. Schiebend quält er sich anschließend wieder nach oben, die Piste ist einfach zu steil. Der Jüngste in Max’ Truppe ist gerade mal 11, der Älteste schon 18 – völlig egal. Auf ihren Rädern rollen die Jungs meistens zusammen durch den Wald, kennengelernt haben sie sich auf der Strecke. Ohne Downhill geht’s gar nicht mehr: „Das brauchen wir als Ausgleich zur Schule!“, sagt Max.

Was keiner der vier Nachwuchsfahrer so richtig weiß: Ihr Faible sorgt nicht nur für Begeisterung, sondern auch für aufgeregte Diskussionen. Auf der einen Seite stehen die Downhiller, die sich neben Spaziergängern, Joggern oder Reitern als gleichberechtigte Waldnutzer betrachten, auf der anderen die Forstämter. Hier findet man: Es kann nicht jeder im Wald buddeln und fahren, wie er will. Dass die Downhiller in ihrem Ganzkörperschutz wie martialische Fahrradritter daherkommen, macht es nicht einfacher.

Schanzen im Wildbau

Aber nicht nur aufgrund der halsbrecherischen Neigung sind Downhill-Fahrten Ritterspiele der besonderen Art: Häufig bauen sich die Mountainbiker mitten im Wald sogenannte Obstacles: Schanzen, Rampen und andere Hindernisse. Das nehmen wiederum die Förster nicht hin. Sie reißen die Konstruktionen ein und verbarrikadieren die Bahnen. Oft eskaliert die Situation, die Polizei wird eingeschaltet, es kommt zu Anzeigen – so geschehen im Grunewald, als 2005 der „Wildbau“ von Schanzen Überhand nahm. „Sobald die Fahrer querfeldein fahren, wird es problematisch, insbesondere wegen der Erosionsgefahr“, erklärt Klaus Micknaus, Revierförster im Grunewald. Auch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) vertritt hier eine klare Meinung: Wer jenseits der Wege, zumal auf Sportgeräten, unterwegs sei, verhalte sich rechtswidrig. Ärgerlich seien auch Begleiterscheinungen wie hinterlassener Müll oder Essensreste.

Dass Downhill im Wald auch ohne Ärger funktioniert, zeigt sich an einem bewährten Kompromiss: In den Köpenicker Müggelbergen sind Downhiller seit fast zehn Jahren völlig legal auf ihrer eigenen Strecke unterwegs. Doch auch in hier musste es erst richtig krachen, bevor sie und die Förster sich zusammenrauften. Nachdem die Polizei im Jahr 2001 ein illegales Rennen beendet hatte, vergaßen beide Parteien ihre Ressentiments und fanden eine gemeinsame Lösung: Die Sportler gründeten den Verein Downhill Berlin e. V. und pachten seitdem die alte Rodelbahn. Die Vorteile für das Forstamt: Bei Unfällen haftet der Verein, und wenn doch einmal Probleme auftreten, gibt es einen offiziellen Ansprechpartner. Die Mitglieder von Downhill e. V. pflegen die Strecke, Erosionen an anderer Stelle im Wald bleiben aus. Der Lebensraum von Tieren und Pflanzen abseits des Parcours wird geschont.

Raus aus der Grauzone

Die Downhiller wiederum sind endlich raus aus der rechtlichen Grauzone. Sie können legal und zu abgesprochenen Zeiten ihre Strecke hinunterdüsen – derzeit an den Wochenenden und an einigen Terminen während der Schulferien. Auch ihre Schanzen werden nicht abgerissen, im Gegenteil: In Absprache mit Revierförsterin Silvia Knöfel wird die Strecke ausgebaut. Verein und Försterin sind inzwischen voll des gegenseitigen Lobes: „Der Kompromiss hat sich bewährt. Wir besprechen viel miteinander, man nähert sich an“, sagt Knöfel, bei der sich immer wieder Kollegen aus anderen Städten zum Umgang mit Downhillern Rat holen.

„Der Kompromiss hat sich bewährt. Wir besprechen viel miteinander, man nähert sich an“

SILVIA KNÖFEL, REVIERFÖRSTERIN

Für die Downhiller war die Vereinsgründung zwar ein bürokratischer Aufwand, dafür sind aber selbst Gastfahrer aus bergigem Gebiet überrascht über die anspruchsvolle 800 Meter lange Strecke zwischen Müggelturm und Teufelssee: „Wir haben aus den 80 Höhenmetern das absolute Maximum rausgeholt, die Strecke ist ein kleines Schmuckstück mit vielen Kurven und interessanten Sprüngen“, sagt Alexander Ardelean, Pressesprecher und selbst aktiver Downhiller. Allerdings ist die Position des Vereins nicht immer einfach, zumal viele Fahrer auf der Strecke und im angrenzenden Waldgebiet gar keine Mitglieder sind. Trotzdem fungiert Downhill e. V. als Bindeglied zwischen dem Forstamt und einer kaum organisierten, weitgehend selbstbestimmten Downhill-Szene.

Alljährlicher Höhepunkt ist das Rennen „King of Müggelz“. Auch dieses Jahr jagten Anfang Mai wieder 40 Fahrer und eine Fahrerin um die Wette bergab. Vorjahressieger Peer Gumin landete auf einem dritten Platz. Der 21-Jährige gehört zu den ambitionierten Vereinsmitgliedern und ist inzwischen Vorsitzender. Andere suchen nur den Kick, basteln an ihren Rädern oder freuen sich über Bewegung im Grünen. Der Verein ist ein soziales Sammelsurium: Vom Gabelstaplerfahrer bis zum Werbetexter ist alles vertreten.

Zurzeit macht Peer Gumin eine Ausbildung zum Einzelkaufmann – natürlich in einem Fahrradgeschäft. Sein erstes Gehalt fließt zunächst mal in die Ausrüstung: Ein Downhill-Bike kostet locker über 5.000 Euro, und zu Bruch geht auch immer mal was. Wenn er vom Rad steigt, ist er ein ruhiger, fast schüchterner Typ. Sobald er aber im schrillen, gelb-orange leuchtenden Rennanzug den Hang herunterrast, bleiben Spaziergänger am Streckenrand stehen. Nicht um die Förster zu alarmieren, sondern um fasziniert den Kopf zu schütteln: „Was für ein Teufelsritt!“