Rainald Grebe macht Wahlkampf: "Ich ziehe keine Wowereit-Perücke an"

Der Musiker bringt den Berliner Wahlkampf auf die Bühne, macht jedoch kein "Launiges Politkabarett". Dafür hat er sich viel zu akribisch vorbereitet: Sogar die Wahlprogramme hat er studiert.

Mit Indianer-Perücke: Rainald Grebe bei seinem Konzert in der Waldbühne im Juni Bild: dpa

taz: Herr Grebe, Sie haben Songs über Brandenburg geschrieben - und stets von sich gesagt, Sie seien kein politischer Künstler. Jetzt machen Sie ein Stück über den Wahlkampf. Warum?

Rainald Grebe: Weil es mich irgendwann geärgert hat, dass ich an das Thema Politik nicht rankomme. Wenn ich mir andere ansehe, die sich scheinbar mühelos politisch positionieren, denke ich, dass mir das anscheinend nicht gegeben ist. Und mache mir selbst Vorwürfe: Wie sieht das denn aus, wenn man sich selbst nicht entscheiden kann, weder für eine Partei noch für eine Privatinitiative? Immer wenn sich ein Künstler in den Wahlkampf gemischt hat, ob Schlingensief oder Kerkeling als "Horst Schlämmer", hab ich mich gefragt: Wieso kann ich das eigentlich nicht?

Jetzt haben Sie sich selbst das Politisieren verordnet. Wie haben Sie recherchiert?

Ich habe bei der Vorbereitung mit einem Journalisten zusammengearbeitet. Das war gut, denn meinen Namen kennt man inzwischen - es passiert schon mal, dass Politiker auf mich zukommen mit einem Anliegen. Was ich immer abgelehnt habe. Wir haben etwa vierzig Interviews geführt, von oben bis unten. Ich wollte alle mal kennenlernen, vom Spitzenkandidaten bis zur Werbeagentur oder dem Spandauer Ortsverein. Und erfahren, wie ihr Arbeitsalltag aussieht. Auch das Volk haben wir interviewt, Leute auf der Straße.

Was hat Sie dabei besonders interessiert?

Das kam auf die jeweilige Person an, ich wusste ja erst mal nix. Der Pankower Bürgermeister etwa hat mich beim Einkaufen angesprochen, dann haben wir uns verabredet. Schnell war klar: Das ist Lokalpolitik. Man denkt ja immer, Berlin ist groß. Aber im Kleinen ist es provinziell, voll nickeliger Kleinigkeiten wie Baumfällungen oder Parkplätze. Im Konkreten liegen aber unglaublich viele Fallen. Zum Beispiel gibt es in meiner Nachbarschaft eine Kleingartenkolonie voller Protestschilder gegen die Deutsche Bahn, der das Gelände gehört. Man denkt, aha, der Konzern will den Leuten die Gärten wegnehmen. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass die Bahn das Land an eine Baugruppe verkauft hatte - waren das nicht immer die Guten? Und wieso haben sich die Grünen, die sonst immer fürs Grüne sind, im Bezirksparlament enthalten?

Hat Sie die Lokalpolitik ratlos gemacht?

Viele Konflikte, wie der Streit über den Umbau der Kastanienallee oder die Flugrouten, scheinen mir unlösbar. Da möchte ich nicht in der Haut der Politiker stecken. Was die da aushalten müssen - Hut ab, habe ich manchmal gedacht. Ich kann mich als Künstler schön raushalten. Aber die machen das von morgens bis abends. Bei den Anwohnerprotesten, die ja zurzeit recht modern sind, ist mir aufgefallen: Es wird immer gleich mit ganz großen Begriffen operiert: K 21 sagt man in der Kastanienallee …

und hängt sich damit an den Protest gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, obwohl es in der Kastanienallee letztlich um schmalere Bürgersteige geht.

Und am Müggelsee redet man von "Montagsdemonstrationen" gegen die Flugrouten. Historische Begriffe für Sachen, die von außen betrachtet klein und poplig sind.

Das klingt, als seien Ihnen die sogenannten Wutbürger nicht sehr sympathisch …

Ich tendiere oft zu den Berufspolitikern. Gerade, wenn ich mit vielen Seiten gesprochen habe und merke: So einfach ist es nicht! Der Wutbürger mit seiner Wut, das ist so ne Sache. Ich wohne in Pankow, wo demnächst die Flugzeuge wohl nicht mehr in 300 Metern Höhe drüberfliegen werden. Am Müggelsee fliegen die in 1.100 Metern drüber - und der Wutbürger und Regisseur Leander Haußmann hat tatsächlich gesagt: Der Wannsee hatte die Wannseekonferenz, am Müggelsee wurde die Volksbühnenbewegung gegründet, hier hat Heinrich George gespielt. Da sehe ich dann den Politiker daneben und denke: Ach Gott, der wird jetzt von allen Seiten bedrängt. Aber es geht nicht um Heinrich George. Sondern um endlose Details, in die man sich reinfrickeln muss, um so eine Materie wie die Flugrouten überhaupt zu durchblicken.

Ist Politik also ein unbefriedigendes Geschäft?

Wenn man einfache Lösungen will, ja. Man muss schon auf Details stehen.

Können Sie sich jetzt besser entscheiden, wen Sie am 18. wählen?

Im Gegenteil. Früher dachte ich: Eigentlich habe ich keine Ahnung, aber ich wähl einfach mal. Jetzt weiß ich ein bisschen was, aber noch viel zu wenig, um mir ein Bild zu machen, und denke: Eigentlich dürfte ich gar nicht wählen.

Der Durchschnittswähler weiß ja auch nicht mehr als das, was in der Zeitung und in den Wahlprogrammen steht …

Wer liest die schon freiwillig? Ich habe es versucht, bin aber teilweise gescheitert. Gerade die Grünen und die SPD schreiben ein derart schwammiges Zeug - das ist wie im Mediationsseminar: Erst reden wir miteinander, dann lasst uns miteinander reden, jeder ist wertvoll. Dieses Sanft-Gute, schrecklich! Aussagen wie mehr Bildung oder bezahlbare Wohnungen für alle, von denen hat keiner was. Das konkreteste Wahlprogramm hat die CDU, die benennen 100 Punkte, wo es schiefläuft in der Stadt, und 100 mögliche Lösungen. So genau will es vielleicht dann auch keiner wissen, aber sie haben es zumindest versucht.

Apropos "zumindest versucht": Waren Sie eigentlich auch bei der FDP?

Nein, das habe ich nicht mehr geschafft - ich kann ja nicht mit allen sprechen. Die Piratenpartei hat auf meine Anfragen hin nicht geantwortet, darum ist sie jetzt auch außen vor.

Vielleicht hatten die Piraten Angst, von Ihnen verspottet zu werden. Wie hat eigentlich Renate Künast auf Sie reagiert - sie hat es ja derzeit nicht gerade leicht?

Ich habe mich hauptsächlich mit ihrem Wahlkampfmanager unterhalten, der inzwischen gefeuert ist. Ihr habe ich nur kurz die Hand geschüttelt, als ich sie auf einen dieser typischen Termine begleitet habe: Grundschule besuchen, Ziegen füttern … Frank Henkel habe ich getroffen und Klaus Lederer. Sonst eher die zweite Reihe, die erschien mir wichtiger.

Sie haben auch Kleinstparteien wie die Bergpartei und die Freiheit getroffen, welchen Eindruck hatten Sie von denen?

Die Bergpartei meint es durchaus ernst, das ist keine Spaßpartei. Die kämpfen für ihren Kiez, den sie in- und auswendig kennen, und kleben ihre Plakate selber, sehr sympathisch. Aber ich habe auch mit Leuten von "Die Freiheit" und "Pro Deutschland" gesprochen, ich wollte ja mit allen reden. Als Schüler habe ich das schon mal gemacht: Anfang der Neunziger habe ich mich bei allen möglichen rechten Parteien rumgetrieben, um herauszufinden, was die vorhaben. Die kamen am Schluss sogar zu meinen Eltern nach Hause, um mich zu überzeugen. Damals waren das fiese Glatzen mit Schaftstiefeln. Heute treten sie dezenter auf. Leute wie Manfred Rouhs von "Pro Deutschland" sind recht schlau, die könnten es schon in ein paar Bezirksparlamente schaffen. Aber um größere Wählermengen zu binden, sind die zu zerstritten.

Sie haben als Schüler im rechtsextremen Milieu recherchiert - waren Sie politisch aktiv?

Ich hatte ein Buch von Günter Wallraff gelesen und wollte unbedingt auch investigativer Journalist werden. Bei den Rechten gab ich an, ganz wertfrei über die "Bewegung" berichten zu wollen, für die Schülerzeitung. In Wirklichkeit war es ein Schulprojekt. Aufregend war das, aber am Ende hat es mich doch auf die Bühne gezogen.

Wie bringen Sie den Wahlkampf auf die Bühne, wird das eine Satireshow?

Nein, launiges Politkabarett gibt es nicht. Eine Wowereit-Perücke ziehe ich garantiert nicht an. Ich mache es mir schon schwerer. Wir arbeiten dokumentenecht, mit O-Tönen aus Interviews, Wahlkampfreden, Programmen. Bei den Proben dringe ich immer tiefer in die Materie ein, um zu sehen, wie unser gesammeltes Material auf der Bühne funktioniert. Ohne gängige Kritikmuster am Politbetrieb zu wiederholen. Dafür gibt es eigentlich noch keine Form. Ich suche noch.

Wenn Sie selbst schon bei der Lektüre der Wahlprogramme ungeduldig wurden - wie verhindern Sie, dass Ihre Zuschauer den Saal verlassen?

Intelligentes Streichen von Textpassagen vielleicht? Wobei man dann aufpassen muss, nichts Sinnentleertes zu produzieren: Das wäre Parodie. Vielleicht muss das Publikum erst durch eine gewisse Strecke Langeweile durch, bevors interessant wird.

Fühlen Sie sich jetzt, nach Ihrer Recherche, in der Lage, eine eigene Position zu entwickeln?

Eher - wobei jeder Hauptstadtjournalist noch 80-mal mehr Ahnung hat als ich. Bevor ich politisch Stellung beziehe, will ich ganz genau wissen, worum es geht. Vom Kleingarten bis zum Flughafen.

Bei so akribischer Meinungsbildung - wie wollen Sie sich da bis zur Wahl entscheiden?

Keine Ahnung! Sehen Sie sich die Linkspartei an, die plakatiert "Gegen Wildwestmieten". Vor nicht allzu langer Zeit haben die selbst 300.000 Wohnungen verscherbelt. Da fragt man sich: Wem kann ich eigentlich glauben? Ich bin nicht annähernd so weit, meinungsfähig zu sein.

Und was machen Sie am 18. 9.?

Theater spielen! Und vermutlich wählen, vielleicht sogar die Bergpartei. Aber genau weiß ich es noch nicht.

Gibt es ein bestimmendes Thema in diesem Wahlkampf?

Nein, es gibt sehr viele verschiedene. Und über allen thront Klaus Wowereit mit seinen Wellnessplakaten und schaukelt das Ganze nach Hause. So wird es ja wohl kommen.

Ihr Lieblingswahlslogan?

"Berlin verstehen" ist schon ne Nummer, da gruselt es mich, wenn ich vorbeifahre.

Nach eingehender Selbstbefragung: Hätten Sie das Zeug zum Politiker?

Absolut nicht. Man muss ein Faible für Vereinsstrukturen haben, und man braucht auch etwas Masochismus, um all die Sitzungen und Diskussionen als Alltag zu akzeptieren. Schon die Körper der meisten Politiker sprechen Bände. Das viele Sitzen, das schlechte Essen … Interessant ist ja, dass die meisten Politiker nicht zufällig in einer Partei landen. Sie haben aktiv nach einer gesucht und sich überall mal umgesehen. Auf die Idee wäre ich nie gekommen, ich fand Vereine immer anstrengend.

Und wenn Sie sich jetzt, als frisch Politisierter, eine Partei suchen müssten?

Der moderne Protest läuft eher über Einzelproteste, das scheint erfolgversprechender zu sein als das Konzept einer großen Partei für alles. Die Idee, alles überschauen zu wollen und überall mitzureden, ist mir suspekt. Auf kommunaler Ebene geht es vielleicht auch ohne Volksparteien.

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