Kleine Schnüffler für Berlin

AUSSTELLUNG II Wildschweine, Waschbären, Füchse: Das Naturkundemuseum widmet sich der Tierwelt in der Stadt. Die Schau blendet aus, dass viele Brachen bebaut werden – und als Lebensraum verloren gehen

„Lange dachte man, die Stadt könne nur Ersatz für die Tiere sein“

Florian Möllers, Fotograf

Betritt man die halbrunde Fotoinstallation, fällt der Blick zunächst auf ein Sofa, dann auf die Sonnenblumen daneben, im linken Augenwinkel nimmt der Betrachter den Flachbildschirm wahr und auf der anderen Seite der Panoramaansicht den Balkon. Erst da fällt der Witz des Bildes auf: die Ente, die es sich im Blumenkasten gemütlich gemacht hat, vier Etagen und damit 20 Meter über dem Erdboden. Über Lautsprecher setzt die Stimme einer Frau an: „Was machen wir denn jetzt damit?“

Begegnungen wie diese zwischen Stadtbewohnern und Natur thematisiert die neue Sonderausstellung des Naturkundemuseums „Biopolis – Wildes Berlin“, die ab dem heutigen Dienstag und noch bis zum 26. Februar läuft. „Unsere Kernaussage ist: Berlin ist eine der artenreichsten Städte der Welt“, sagt Uwe Moldrzyk, Leiter der Ausstellungsplanung.

Die biologische Vielfalt der Hauptstadt mit ihren 20.000 bis 30.000 Arten wird auf 250 Bildern des Biologen und Fotografen Florian Möllers gezeigt. Fünf Jahre war er auf der Pirsch, bekam Falken am Alexanderplatz, sowie Füchse und Waschbären auf öffentlichen Plätzen vor die Linse. Er begleitete zwei Rentnerinnen, die sich über Wildschweine auf der Brache neben ihrem Vorgarten freuen und sich deshalb auch mit ihrer Nachbarin anlegen. Was die Menschen mit den Tieren und Pflanzen anfangen und welche Konflikte es gibt, will die Ausstellung durch Audioinstallationen in vier Panoramaboxen und einige Informationstafeln zeigen.

„Lange dachte man, die Stadt könne nur ein Ersatz für die Tiere sein“, sagt Florian Möllers. „Ich habe erfahren, dass sie ein vollwertiger Lebensraum ist, dessen ökologische Schätze man noch viel stärker als Standortfaktor präsentieren sollte.“ Vor allem Berlin mit seinen zahlreichen durch die innerdeutsche Teilung und die Wende bedingten Brachen biete viele Strukturen für Biotope und überdies klimatische Vorzüge gegenüber dem Land. So leben hier laut dem Landschaftsökologen Josef Reichholf von der Technischen Universität München mit 140 Brutvogelarten mehr Vögel als in den meisten deutschen Naturschutzgebieten. Bedrohte Arten wie die auch als „Trümmervogel“ bekannte Haubenlerche finden hier eine Lebensgrundlage, die sie in landwirtschaftlich übernutzten Gebieten fast vollständig verloren haben. „Das Wichtigste ist, dass die Menschen Tiere und Pflanzen in Ruhe wachsen lassen“, sagt Ausstellungsleiter Moldrzyk.

Doch genau diesen Aspekt der Konflikte zwischen Mensch und Natur stellt die Ausstellung verkürzt dar. Im vergangenen Jahr verendeten nach Schätzungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 235 der rund 6.000 Wildschweine im Stadtgebiet Berlin, auch 51 Füchse wurden tot aufgefunden. „Man darf leider nicht davon ausgehen, dass alle Tiere, die an einer Straße gefunden werden, auch überfahren wurden“, sagt Derk Ehlert, bei der Senatsverwaltung zuständig für Biotop- und Artenschutz. Viele würden gezielt getötet. Auch, dass nach Schätzungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Hälfte der 20.000 Arten in Berlin vom Aussterben bedroht ist, erwähnt die Ausstellung nicht.

Zudem wird die Stadtentwicklungspolitik des Senats nicht kommentiert. „Dabei baut der Senat die bestehenden Lebensräume, die die aktuelle Vielfalt ermöglichen, seit Jahren zurück“, kritisiert Andreas Faensen-Thiebes vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin. Planungen wie die Entwicklung der Brache am Gleisdreieck, der Schöneberger Schleife, der ehemaligen Flughäfen Tegel und Tempelhof seien äußerst kritisch zu betrachten. „Und diese Tendenz wird mit der neuen Regierung sicher nicht besser werden“, sagt Faensen-Thiebes. Dennoch sei die Ausstellung an sich zu begrüßen. „Alles, was uns Städtern die Möglichkeit gibt, mit der Natur in Kontakt zu kommen, ist ein kleiner Schritt hin zu mehr Umweltbewusstsein.“ KAREN GRASS