Leckere Reste to go

NACHHALTIGKEIT Menschen wie Marina und Flo retten Lebensmittel vor der Tonne und befüllen öffentlich zugängliche Kühlschränke damit – etwa jenen in der Malmöer Straße in Prenzlauer Berg. Die Waren sind kostenlos zum Mitnehmen, die Nachfrage ist groß

Die Kette Bio Company war eine der ersten offiziellen KooperationspartnerInnen

VON LOU ZUCKER

Marina stellt ihr Fahrrad neben dem Kühlschrank ab, holt Putzzeug aus dem unteren Fach und beginnt, den Kühlschrank zu schrubben. Es ist nicht ihr eigenes Gerät. Es handelt sich um einen öffentlichen Kühlschrank für die ganze Nachbarschaft.

Man muss schon wissen, wo er sich befindet: Unter dem Fahrradverschlag vor dem Hausprojekt M 29 in der Malmöer Straße 29 in Prenzlauer Berg steht der kleine, grün angemalte Kühlschrank auf einem Podest. Daneben ein größerer orangefarbener ohne Strom, für Lebensmittel, die nicht gekühlt werden müssen. Er ist an diesem Abend voller Brot: vier Laibe Graubrot und ein Gemüsefach mit Brötchen, nicht mehr ganz frisch, aber getoastet sicher noch gut genießbar. Der kleinere Kühlschrank hingegen ist nur spärlich befüllt: ein Wirsingkohl, zwei Salatköpfe, ein Staudensellerie, drei schon etwas schrumpelige Mirabellen. Alles für jede*n umsonst zum Mitnehmen.

Doch wer bestückt den Kühlschrank? Sie nennen sich Lebensmittelretter*innen. Menschen wie Marina. Nach Ladenschluss holen sie das bei den Supermärkten und Bäckereien ab, was diese nicht mehr verkaufen können, obwohl es noch essbar wäre: Brot vom Vortag, Bananen mit braunen Stellen, Salat, der schon etwas schlapp wirkt, Joghurt, der gerade das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat.

„Vor einem Jahr haben wir uns mit fünf Leuten im Café getroffen und überlegt, was wir tun könnten“, erzählt die Psychologiestudentin. „Dann ist es einfach explodiert. Inzwischen gibt es etwa 300 Lebensmittelretter*innen allein in Prenzlauer Berg.“ In Berlin sind es laut der Initiative rund 1.700, in ganz Deutschland 7.900. Sie koordinieren sich über die Website www.lebensmittelretten.de. Dort kann man sich in Schichtpläne eintragen, wann wer wo Waren abholt.

Viel wird weggeschmissen

Seit Mai 2013 wurden laut der Website auf diese Weise deutschlandweit bereits mehr als 500 Tonnen genießbare Lebensmittel gerettet, die sonst auf dem Müll gelandet wären. Das klingt nach einer Menge. Es könnte aber noch viel mehr sein: Laut dem Bundesministerium für Ernährung werden in Deutschland jedes Jahr 6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das entspricht etwa zwei vollgepackten Einkaufswagen pro Person.

Die Kette Bio Company war eine der ersten offiziellen Kooperationspartnerinnen. Raphael Fellmer, Mitbegründer der Initiative, ging dort regelmäßig containern, sprich: er klaubte noch genießbare Lebensmittel aus den Mülleimern zusammen. Seit 2010 lebt der Berliner Vater ohne Geld – er will damit auf Hunger und Umweltzerstörung aufmerksam machen – und ernährt sich fast ausschließlich von gerettetem Bioessen. Irgendwann traf er sich mit dem Vorstand des Unternehmens, dessen Müll er klaute, und verhandelte eine dauerhafte Kooperation mit den Lebensmittelretter*innen.

Inzwischen arbeiten zahlreiche weitere Betriebe regelmäßig mit der Initiative zusammen, nicht nur solche aus dem Biosektor. „Beim Eurogida etwa in der Badstraße wird jeden Tag massenhaft abgeholt“, erzählt Marina. Die Lebensmittelretter*innen verpflichten sich dazu, alles mitzunehmen, was noch genießbar ist, und die Lebensmittel unentgeltlich einer sinnvollen Verwendung zuzuführen. Weiterverkauft werden darf nichts. Sinnvolle Verwendung kann bedeuten, sie selbst zu verzehren oder sie zum Beispiel einer Obdachloseneinrichtung zu bringen, wie es das Prenzlauer-Berg-Team oft tut.

Oder man lagert sie bei einem „Fairteiler“ ein, wo sie von allen jederzeit abgeholt werden können. Davon gibt es bis jetzt zwei in Berlin: einen im Hinterhof des Tommy-Weissbecker-Hauses in der Wilhelmstraße 9 in Kreuzberg (die taz berichtete) und seit einem Monat den erwähnten öffentlichen Kühlschrank in der Malmöer Straße.

Erfolg in Prenzlauer Berg?

Ein hochgewachsener junger Mann mit tätowiertem Unterarm tritt vor das Haus. Er heißt Flo und wohnt in dem Hausprojekt M29, das den Strom für den Kühlschrank zur Verfügung stellt. Von seinem Zimmer aus guckt er direkt darauf. „Wir haben uns Gedanken gemacht, ob so etwas im eher wohlhabenden Prenzlauer Berg überhaupt genutzt wird“, erzählt er. Bisher werde der Fairteiler aber bestens angenommen. „Alle möglichen Leute nutzen ihn: Jugendliche, alte Menschen, Leute im Anzug.“ Neulich habe er sich kurz mit einem schick gekleideten Herrn Mitte dreißig unterhalten, der vorbeikam und sich ein Brot aus dem Kühlschrank nahm. Er hatte aus dem Internet von dem Fairteiler erfahren.

Bisher sei der Kühlschrank auch immer bestens geputzt. Lebensmittelretter*innen wie Marina, die hier um die Ecke wohnen, sprechen sich ab, sodass täglich jemand zum Saubermachen vorbeikommt. Sie seien aber nicht die Einzigen, die sich dafür verantwortlich fühlten. Am großen orangefarbenen Schrank hängt ein Schild, das Vorbeikommende ermutigt, bei Verschmutzungen „selbst den Putzlappen in die Hand zu nehmen“. Darunter befindet sich das ehemalige Eisfach, voll mit Putzutensilien und Flaschen mit frischem Wasser. Das Schild, sagt Flo, werde ernst genommen: Er erzählt von einem älteren Ehepaar, das gekommen sei und den ganzen Kühlschrank durchgeputzt hätte. Verschimmelt sei noch nichts, sagt Flo. Auch er bedient sich ab und an am Kühlschrank, vor allem Lebensmittel, die sich nicht mehr lange halten und schnell verzehrt werden müssen, nehme er mit ins Hausprojekt.

Es fängt an zu dämmern, da kommt ein Mann Mitte vierzig in den Fahrradunterstand, runde Brille, wuscheliges Haar, die schwarze Fleecejacke spannt über seinem Bauch. Marina begrüßt ihn, er ist ebenfalls Lebensmittelretter. „Ich hab den heute Morgen noch vollgemacht, jetzt ist er wieder leer“, nuschelt er dezent berlinernd, während er Biobrote und Sellerie aus seinem Rucksack in den Fairteiler räumt.

Mehr Informationen

Wer auch immer die Äpfel, Paprika und Tomaten mitgenommen hat, die Existenz des öffentlichen Kühlschranks scheint sich in der Nachbarschaft rumgesprochen zu haben. Trotzdem überlegt Flo laut, wie man Menschen noch besser auf den Fairteiler aufmerksam machen könnte, vielleicht mit einem Schild am Fahrradhäuschen. Marina würde gerne Visitenkarten mit der Adresse des Fairteilers drucken, die sie Menschen geben kann, die in der Bahn nach Essen fragen. Damit mehr Lebensmittel da angekommen, wo sie hingehören: bei Menschen, die sie gebrauchen können, nicht in der Tonne.