Transkultur lernen: "Frauen sind smarter im Umgang mit Neuem"

Frauen unterschiedlicher Herkunft erforschen in einem Modellprojekt, wie transkulturelles Lernen geht. Kennt man die Tricks, kann man besser miteinander auskommen, meint Christiane Klingspor vom Transkulturellen Lernhaus in Berlin

Jg. 1953, Soziologin, Ethnologin, Umweltmanagerin, organisiert das Lernhaus in Berlin. www.lernhaus-berlin.de

taz: Frau Klingspor, was ist ein transkulturelles Lernhaus?

Christiane Klingspor: Die Art, wie wir Kultur definieren, prägt unser Verständnis von Gesellschaft. Meist wird unter Kultur etwas Geschlossenes verstanden, das mal durch Ethnie, mal durch Volk, mal durch Geschichte zusammengehalten ist. Ein transkulturelles Verständnis indes geht davon aus, dass es nie eine abgeschlossene Kultur gab. Leute sind immer gewandert und haben etwas von einer Gesellschaft in eine andere getragen. Wenn man mit dieser Brille guckt, kann man besser miteinander auskommen, sagen wir.

Schon das Wort "transkulturell" hilft also zu einer veränderten Wahrnehmung?

Nein. Aber wenn jemand sagt: "Wir sind die deutsche Leitkultur", dann verkrampft das doch das Miteinander. Wenn man dagegen versteht, dass die Kultur des Okzidents nicht denkbar wäre, wenn der Orient nicht ordentlich zugeliefert hätte, dann kann man etwas entspannter damit umgehen. Dass die transkulturelle Wahrnehmung aber nicht einfach ist, das sieht man schon, wenn Leute aus Berlin auf einen Feuerwehrball in einem sauerländischen Dorf einfallen.

Was passiert dann?

Es entstehen Differenzen. Und wir wissen alle, dass da, wo Kulturen zusammenfließen, und seien es nur nationale Subkulturen, Unterschiede deutlich werden, die man integrieren muss. Damit umzugehen lernen, das üben wir im Lernhaus.

Warum soll man das lernen? Die meiste Zeit bewegt man sich doch in einem überschaubaren gesellschaftlichen Rahmen.

Da irren Sie sich. Gerade in Berlin bewegen wir uns in einer globalisierten Gesellschaft, wo Menschen fast aller Nationen und Religionen vertreten sind. Sie gestalten unsere Gesellschaft mit, ob die Mehrheit das will oder nicht.

Wie kam es zur Gründung des Lernhauses?

Träger des Projekts ist die überparteiliche Fraueninitiative. Dort hat man Erfahrung damit, wie man trotz unterschiedlicher Meinung zusammenarbeitet. Dieser Träger engagiert sich schon seit Jahren in Projekten, die dazu beitragen sollen, Grenzen zwischen Kulturen und Religionen zu überwinden. Das war damals beeinflusst vom viel diskutierten "Kampf der Kulturen". Es entstand der Wunsch, dem Kampf eine lebensfreundlichere Perspektive entgegenzusetzen.

Was lernt man denn konkret im Lernhaus?

Das müssen Sie im Grunde die Frauen fragen, die mitmachen. Wir versuchen unter anderem, die gelebte Kultur jeder Einzelnen zu thematisieren. Bei uns gibt es viele, die in mehrkulturellen Zusammenhängen leben. Deutschafrikanisch, türkischdeutsch, chinesischeuropäisch. In solchen Familien müssen doch ständig transkulturelle Lösungen für das Zusammenleben gefunden werden. Wir versuchen, unterschiedliche Erfahrungen auch zwischen den Frauen im Projekt im echten Dialog miteinander auszutauschen.

Wie geht echter Dialog?

Es gibt Dialogregeln. Die sind übrigens am Technologieinstitut in Massachusetts entwickelt worden, nicht von uns beim Kaffeekränzchen. Zuhören, das muss man genau lernen. Faktische Wahrnehmung von persönlicher Interpretation trennen, das muss man trainieren. Was auch wichtig ist: Empathie. Damit kann man sich Themen nähern, die mit Emotionen besetzt sind. Bei uns sind eine Palästinenserin und eine Israelin. Beide sind durch die Umstände in ihrer Heimat geprägt, sogar traumatisiert. Im gelungen Dialog können sie dennoch voneinander lernen.

Und warum ist das Lernhaus nur für Frauen?

Wir denken, dass Frauen besonders geeignet sind, solche Prozesse in Gang zu setzen.

Warum?

Das lehrt die Geschichte. Frauen treten etwa nach Kriegen verstärkt als Mittlerinnen in Erscheinung, um den Alltag wieder aufzubauen. Erfahrungsgemäß sind sie viel smarter im Umgang mit Neuem. Das sehen wir auch bei Asylbewerberinnen. Die versuchen schnell, den Alltag in den Griff zu bekommen. Das geht nicht, ohne sich auf die neue Umgebung einzulassen. Deshalb ist das Lernhaus ein Pilotprojekt für Frauen. Wir erproben den Lernprozess da, wo er einfacher ist. Aber wir wollen das im Grunde auf die Gesellschaft übertragen.

Die ganze Lernhausidee klingt ein wenig nach Friede, Freude, Eierkuchen.

Den Frieden voranzutreiben ist uns ein Anliegen. Und natürlich soll die Lernarbeit hier Freude machen. Zu guter Letzt: Was haben Sie gegen Eierkuchen?

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