Einigung im Tarifstreit: Nach dem Streik folgt der Streit

Mit dem Ergebnis des Tarifkonfliktes ist nur der Senat zufrieden. Alle anderen ärgern sich: Über streikfaule Beschäftigte, kompromissbereite Gewerkschaften und einen sturen Klaus Wowereit.

Erst mal ausgestreikt: Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Berlin Bild: Reuters

Es ist reiner Zufall, dass sich ausgerechnet heute Lehrer und Erzieher aus ganz Friedrichshain-Kreuzberg treffen. Der Personalrat hat in die Heilig-Kreuz-Kirche geladen, die Stimmung ist schlecht. Es ist Tag 1 nach der Einigung von Gewerkschaften und Senat im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes. Die Mitarbeiter sind enttäuscht: von der mickrigen Lohnerhöhung, vom Senat, den Gewerkschaften und den streikfaulen Kollegen. "Von der GEW fühle ich mich schon lange nicht mehr vertreten. Deswegen bin ich auch schon vor Jahren ausgetreten", wettert eine betroffene Lehrerin. "Die akzeptieren Kompromisse, die nicht vertretbar sind."

Als ein Vertreter der Gewerkschaft das Ergebnis der Tarifverhandlung erläutert, gibt es keinen Applaus. Auch der Erzieher Jürgen Klippel findet das Ergebnis des Streiks ernüchternd. "65 Euro brutto stehen in keinem Verhältnis. Das ist noch nicht einmal ein Trostpflaster", sagt er. "Dafür hat sich der lange Streit nicht gelohnt." Eine Lehrerin der Gustav-Meier-Schule versteht zumindest, wie es dazu kommen konnte. "Es hätten noch mehr Leute auf die Straße gehen müssen." Gerade unter den Lehrern hätten jedoch viele nicht mitgestreikt.

Nicht einmal der Berlin-Brandenburger DGB-Vorsitzende Dieter Scholz nennt den Abschluss ein gutes Ergebnis. Er freut sich zwar, dass das "Tarifdiktat des Senats" durchbrochen wurde - das könne aber "nur der erste Schritt sein".

Im Abgeordnetenhaus griff der Grünen-Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) frontal an. Durch seine lange Blockadehaltung habe er "die Gewerkschaften an den Rand des Ruins getrieben" nach dem Motto: Streikt so lange, bis ihr pleite seid. "Das ist finsterste Arbeitgeberstrategie", rügte der Grüne, und das von einer rot-roten Regierung, "die sich immer als Bollwerk gegen den Neoliberalismus preist".

In die gleiche Richtung ging der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Henkel. Er warf dem Senat "gemeinschaftsschädigendes Verhalten" vor. Wegen dessen "Sturheit" sei der Konflikt durch Streiks auf dem Rücken der Berliner ausgetragen worden. Der Senat habe gezeigt, wie wenig er die Arbeit seiner Mitarbeiter schätze. Er sei mehr an der "Demütigung der Beschäftigten denn an einer gemeinsamen Lösung interessiert gewesen".

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) wies die Kritik zurück: "Der Tarifabschluss hängt unmittelbar mit der Finanzlage des Landes zusammen." Angesichts eines Schuldenbergs von knapp 60 Milliarden Euro habe Berlin verantwortbar nicht bezahlen können. "Ein Tarifabschluss zu jedem Preis - das wäre gemeinschaftsschädigend gewesen, weil wir Geld gezahlt hätten, das wir nicht haben."

Die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der mitregierenden Linken, Klaus Lederer und Carola Bluhm, nannten es in einer gemeinsamen Erklärung "gut, dass der Senat entgegen ursprünglichen Äußerungen erneut an den Verhandlungstisch zurückgekehrt ist". Und auch die Gewerkschaften hätten "die Chance genutzt, einen bereits im Sommer greifbar nahen Kompromiss" noch für dieses Jahr unter Dach und Fach zu bringen.

Unzufrieden mit dem Ergebnis ist dagegen die oppositionelle FDP. Aber nicht etwa, weil die Lohnerhöhung so gering ausfällt, sondern weil es überhaupt eine gibt. Der Abschluss sei unnötig und belaste nur die Steuerzahler, meinen die Liberalen.

Das sieht der Wachschutzpolizist, der in der Kälte vor dem Jüdischen Museum auf und ab geht, ganz anders. "Was uns von den 65 Euro nach allen Abzügen im Portemonnaie bleibt, ist gerade mal etwas mehr als 30 Euro", rechnet er vor: "Das ist wie ein Tropfen Wasser auf einen trockenen Schwamm."

Auch ein paar Straßen weiter im Kreuzberger Bürgeramt liegt die Stimmung der Angestellten irgendwo zwischen Frustration und Resignation. "Ich bin froh, dass die Fronten erst mal geklärt sind", sagt eine Angestellte. "Das Gefühl, dass unsere Arbeitsleistung wirklich anerkannt wird, bekommen wir aber mit diesem Abschluss nicht."

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