Berlin und die Europawahl (3): Migration und Europa: "Berlin ist kein gutes Beispiel"

Europa wirkt positiv beim Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus, sagt der Menschenrechtler Yonas Endrias. Da habe Berlin Nachholbedarf.

Viele Berliner, auf deren Leben europäische Politik großen Einfluss hat, dürfen am Sonntag gar nicht mitwählen: Flüchtlinge und Migranten aus Nicht-EU-Ländern.

EU-Bürger: Von den etwa 480.000 in Berlin lebenden Ausländern kommen 145.604 aus Mitgliedsländern der EU. 136.656 davon sind volljährig und dürfen an der Europawahl teilnehmen. 30 Maltesen bilden die kleinste Gruppe. Die größte mit über 40.000 sind die Polen.

Flüchtlinge: 2006 lebten in Berlin knapp 9.000 Flüchtlinge mit Duldung, dazu etwa 2.000 mit Aufenthaltsgestattung.

taz: Herr Endrias, im Bereich Integrations- und Migrationspolitik hat Europa viel Einfluss. Guten oder schlechten?

Yonas Endrias: Beides. Das Negative zeigt sich etwa daran, dass die innereuropäische Harmonisierung von Integrationspolitik sich immer zum Nachteil für Flüchtlinge und Migranten auswirkt. Auch die Abschottung Europas als ganzer Kontinent nach außen ist ein negatives Resultat der EU. Aber es gibt auch positive Aspekte, etwa was Antidiskriminierung oder antirassistische Politik angeht. Auch die Kritik des Europarates an der deutschen Migrations- und Flüchtlingspolitik, zum Beispiel der letzte Woche veröffentlichte vierte Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) über Deutschland, ist sehr nützlich.

Wer bekommt denn solche Kritik hier überhaupt mit?

Es stimmt: Die Diskussion über Integrations- und Migrationspolitik ist auf europäischer Ebene sehr viel weiter als in Deutschland. Die europäische Diskussion hat eine ganz andere, höhere Qualität. In Deutschland will man Rassismus nur in Verbindung mit Rechtsextremismus sehen, als ein Problem einer kleinen Minderheit von Neonazis. In der europäischen Diskussion wird längst anerkannt, dass Rassismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen existiert. Viele europäische Länder haben schon lange vor Deutschland Antidiskriminierungsgesetze eingeführt und auch viel deutlichere Regelungen verfasst. Die Verwaltungen haben eine Abteilung, die sich mit Rassismus befasst. Aber als ich das Thema im Berliner Beirat für Integrationsfragen angesprochen habe, waren die Staatssekretäre sehr beleidigt. Sie können sich in ihren Behörden keinen Rassismus, keine Diskriminierung vorstellen.

Dabei will Berlin doch Vorreiter sein in Sachen Antidiskriminierung, Integration und Partizipation.

Es ist nicht der Fall, dass die Berliner Integrationspolitik beispielhaft ist. Die Rhetorik mag gut sein, die Praxis ist es nicht. Wir versuchen seit vier Jahren, gegenüber der Senatsverwaltung für Integration einen Aktionsplan gegen Rassismus zu realisieren. Bislang leider erfolglos.

Dann ist der europäische Druck wichtig?

Sehr wichtig. Ohne den Druck aus Europa hätten wir vieles nicht erreicht. Gerade beim Thema Rassismus und Diskriminierung brauchen wir die europäischen Richtlinien, aber auch die Kritik aus Europa wie den ECRI-Bericht. Die helfen uns dabei, uns in Deutschland und in Berlin mit Rassismus in seiner Gesamtheit zu befassen. Auf europäischen Druck hin hat Berlin mittlerweile eine Landesstelle gegen Diskriminierung. Die macht sehr gute Arbeit in Bereichen wie etwa Homophobie oder auch für Menschen mit Behinderungen. Da sind echte Experten am Werk. Dagegen ist das Thema ethnische Diskriminierung und Rassismus dort immer noch eine Baustelle.

Warum?

Weil dem Senat dazu nichts einfällt. Weil er das Thema nicht zu seinem Schwerpunkt macht. Es gibt viele schöne Papiere, aber Berlin ist kein Beispiel für gute Antidiskriminierungspolitik.

Das 250 Seiten lange Integrationskonzept des Senats ist nichts wert?

Ich bin Mitglied des Landesbeirats für Integrations- und Migrationsfragen des Berliner Senats. Aber von der Vorstellung des Zwischenberichts zum Integrationskonzept habe ich aus der Zeitung erfahren. Der Beirat wurde nicht darüber informiert.

Wie wirkt sich europäische Politik auf das Leben von Flüchtlingen in Berlin aus?

Die europäische Idee, sich als Kontinent abzuschotten, wirkt sich natürlich in allen EU-Ländern aus. In Deutschland gibt es aber Gesetze, die restriktiver als die anderer europäischer Länder sind. Etwa das der Residenzpflicht für Flüchtlinge, also die Eingrenzung ihrer Bewegungsfreiheit. Man hat versucht, das auf europäischer Ebene zu kippen. Das hat leider nicht geklappt. Wenn man die Unterbringung der Flüchtlinge hier in Berlin betrachtet, sind wir noch sehr weit weg von europäischen Menschenrechtsstandards. Auch die Praxis, Flüchtlingen Lebensmittelgutscheine statt Geld zu geben, ist auf europäischer Ebene kritisiert worden. Diese Praktiken entsprechen nicht der europäischen Menschenrechtskonvention. Das sind aber Bundesgesetze. Da kann Berlin nur insoweit positiv einwirken, als dass man die hier nicht so restriktiv anwendet.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) will heute auf der Innenministerkonferenz eine bessere Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge vorschlagen. Hat Berlin vielleicht doch etwas Positives beizutragen in diesen Fragen?

Ja, ab und zu kommen gute Vorstöße. Berlin hat sich auf Anregung des Integrationsbeirats ja auch für das kommunale Wahlrecht eingesetzt, ist aber leider gescheitert. Was das Thema Rassismusbekämpfung angeht, hat Berlin aber kaum etwas beigetragen. Das ist schade für die größte Metropole in Deutschland.

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