Teilhabe: Mit einer Stimme

Der neu gewählte Integrationsbeirat tagt heute zum ersten Mal. Gewählt wurden viele muslimische Mitglieder - dies allerdings vor dem Hintergrund eines Machtkampfs.

Die Sehitlik-Moschee in Neukölln wurde von der Ditib gebaut. Bild: dpa

Aufregung herrscht derzeit bei nichtreligiös orientierten Migrantenorganisationen der Stadt: Nach den Neuwahlen des Integrationsbeirats im Mai, bei denen nur einem der bisherigen Mitglieder die Wiederwahl gelang, dominiert den Beirat nun ein Bündnis aus religiösen und konservativen Vereinen insbesondere türkischstämmiger Einwander (taz berichtete). Sieben statt wie bisher sechs MigrantInnenvertreter, gewählt von Einwanderervereinen, bringen ihre Stimmen in das Gremium ein. Am heutigen Donnerstag nun treffen sich die neuen Mitglieder des Beirats zum ersten Mal.

„Die Grundgesamtheit der Wahlberechtigten“ sei „manipuliert“ worden, heißt es in einem internen Papier des Migrationsrats Berlin Brandenburg (MRBB), das der taz vorliegt. Der Rat, eine Dachorganisation aus 70 Vereinen von EinwanderInnen unterschiedlicher Herkunft, hatte seine KandidatInnen bei den Wahlen bisher meist durchsetzen können. Zur jüngsten Wahl hätten sich jedoch „viele Vereine neu eingetragen, ein Teil von ihnen hat sich zu einer Gegenpartei zusammengeschlossen“, heißt es in dem Papier. Verantwortlich dafür macht der Migrationsrat die Türkische Gemeinde Berlin (TGB), die „bewusst Politik für die Ausgrenzung unserer KandidatInnen betrieben“ habe: „Ziel der TGB war es, möglichst nur VertreterInnen zu wählen, die sich auf deren inhaltliche Positionen berufen“, so der MRBB in dem internen Papier.

Tatsächlich hatten sich nach einer ersten Neuwahl im vergangenen Dezember, die aufgrund eines Verfahrensfehlers für ungültig erklärt worden war, bis zur Wahlwiederholung Anfang Mai mehr als fünfzig Vereine neu in die Liste der Wahlberechtigten eintragen lassen. Viele davon gehören den islamischen Dachverbänden Ditib und Milli Görüs und teils auch der TGB an. Das verhalf der konservativ-religiösen Fraktion zu der Mehrheit, mit der sie auch über die Mitglieder bestimmen konnte, die im Beirat afrikanische Einwanderer oder AussiedlerInnen vertreten sollen. Die KandidatInnen des MRBB blieben draußen.

Internes Papier

Der Türkische Bund

1991 gründete sich der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) als Dachorganisation Berliner Vereine türkischer EinwanderInnen. Ziel ist laut Satzung die "Förderung des gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zusammenlebens und Zusammenwirkens von Deutschen und Nichtdeutschen, insbesondere der BerlinerInnen und BrandenburgerInnen türkischer Herkunft".

Dem TBB gehören 27 Vereine an, religiöse Organisationen sind nicht dabei. Geleitet wird der Bund von einem neunköpfigen Vorstand. Geschäftsführer ist der 31-jährige Politikwissenschaftler Serdar Yazar. Der TBB führt Rechtsberatungen und mit öffentlichen Mitteln finanzierte Projekte wie das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin, Ausbildungsvorbereitungskurse und Elternprojekte durch.

Die Türkische Gemeinde

Die "Türkische Gemeinde zu Berlin" (TGB) gibt es seit 1983. Laut Selbstdarstellung im Internet will die TGB die "Interessen der türkischen Mitbürger gegenüber deutschen und türkischen Institutionen" vertreten. Die TGB über die türkischen Wurzeln: "Die TGB ist sich darüber klar, dass das Heimatland der Türken in sozialer und rechtlicher Hinsicht eine bedeutende Rolle spielt. Dieser Hintergrund ist für die Integration maßgeblich. Deshalb betrachtet die TGB den direkten Austausch mit der Türkei als wichtigen Teil für ihre eigenen Integrationsaktivitäten in Berlin."

Die TGB hat 76 Mitgliedsvereine, darunter etwa 20 religionsbezogene Vereine und Moscheegemeinden wie die islamische Dachorganisation Ditib. Die Gemeinde wird von einem 13-köpfigen Vorstandsgremium angeführt, Präsident ist der 45-jährige Diplomkaufmann Bekir Yilmaz.

Die Ditib

Die "Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion/Diyenat Isleri Türk Islam Birligi" (Ditib) wurde 1984 in Köln gegründet. Der Name verweist auf die Verbundenheit mit dem staatlichen Amt für religiöse Angelegenheiten/Diyanet Isleri Bakanligi der Türkei. Die Ditib-Gründung in Deutschland war eine Reaktion der damals von nichtreligiösen Parteien regierten Türkei auf das Erstarken der politisch-islamischen Milli-Görüs-Bewegung auch in Deutschland. Vorsitzende der Ditib in Deutschland sind bis heute traditionell die Religionsattachés der türkischen Botschaft. In Berlin existiert ein Landesverband, dem 20 Moscheegemeinden angehören, auch die große Moschee am Neuköllner Columbiadamm.

Milli Görüs

Erste Milli-Görüs-Gemeinden entstanden in Deutschland bereits in den 1970er Jahren. Zeitgleich gewann in der Türkei die religiös-politische Bewegung unter Necmettin Erbakan (1926 bis 2011) an Stärke. Auf dessen gleichnamiges Buch geht der Titel der Bewegung Milli Görüs ("Nationale Sicht") zurück. Bereits in den 70er und 80er Jahren entstanden erste Dachorganisationen. Die heutige Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) existiert seit 1995. Seit der Regierungsübernahme der religiös orientierten Partei AKP in der Türkei verschwinden auch in Deutschland die einstigen Gräben zwischen Ditib und Milli Görüs. AKW

Doch ausgerechnet die vom MRBB kritisierte TGB spielte der taz die internen Papiere des Migrationsrates zu – versehen mit dem Hinweis von TGB-Präsident Bekir Yilmaz: „Darin werden Sie die Haltung von MRBB zu Demokratie und Pluralismus sehen.“ Aus den Papieren geht hervor, dass auch dem MRBB Wahlabsprachen nicht fremd sind: Eine Vereinbarung zwischen dem MRBB-Mitglied Türkischer Bund (TBB) und der Türkischen Gemeinde (TGB) „sowie zwischen den türkischen und kurdischen Vereinen zur Rotation“ sei „trotz erneuter Absprachen vor den Wahlen gebrochen worden“, heißt es dort etwa. Bei früheren Wahlen hatte diese Absprache geregelt, dass Mitglieder türkischer und kurdischer Herkunft im Beirat vertreten sind. Mit der von der TGB dominierten Neuwahl gehören dem Gremium künftig keine kurdischstämmigen Mitglieder und auch keine Angehörigen religiöser Minderheiten aus der Türkei mehr an.

„Die Gewählten im neuen Landesbeirat können nicht alle MigrantInnen vertreten“, lautet deshalb die Befürchtung des MRBB in den internen Papieren. Gegen diesen Vorwurf hatte sich TGB-Präsident Bekir Yilmaz bereits kurz nach der Wahl in einem Brief an den MRBB, der der taz vorliegt, gewehrt. Dass unter den Vertretern Menschen muslimischen Glaubens seien, mache den Beirat nicht konservativer oder religiöser, schrieb er da: „Die Vertreter Ihrer Organisation haben doch dabei mitgewirkt, das Integrations- und Partizipationsgesetz zu verabschieden.“ Jetzt seien „junge Männer und Frauen“ angetreten, am politischen Leben teilzunehmen. „Ist dieses Feld nur für Vertreter Ihrer Organisationen reserviert?“, fragt der TGB-Präsident.

Das sei natürlich nicht so, sagt Koray Yilmaz-Günay, Vorstandssprecher des Migrationsrates. Doch einen Ausschluss von Muslimen habe es im Landesbeirat nie gegeben: „Antimuslimischer Rassismus war dort immer eines der Schwerpunktthemen.“ Auch die TGB sei im Beirat immer vertreten gewesen: durch die Verabredung über Rotation zwischen türkischen und kurdischen Vereinen, so Yilmaz-Günay.

Das Erstarken und gemeinsame Auftreten der muslimischen Organisationen hält Yilmaz-Günay für ein Ergebnis des Umgangs mit Muslimen in der deutschen Gesellschaft: „Die permanente Ansprache als Muslime fördert den Zusammenschluss.“ Zudem forderten deutsche Institutionen, dass Muslime mit einer Stimme sprechen sollten: „Muslime werden so zur homogenen Gruppe gemacht“, so Yilmaz-Günay. Das fördere eine „gemeinsame Identität“.

Der Integrationsbeirat sei mit den neuen Mitgliedern gar nicht muslimischer, sondern „vielfältiger und multikultureller“ als zuvor, sagt dagegen TGB-Präsident Bekir Yilmaz: „Wir haben ja auch einen Vertreter der Aussiedler, jemanden aus der polnischen Community und die Schwarze Natasha Kelly als Vertreterin der EU-Bürger gewählt.“ Drei weitere neu gewählte Mitglieder des Beirates gehören dem Umfeld des TGB-Bündnisses an.

„Solange das Spiel von mir bestimmt wird, ist Demokratie okay – wenn andere drankommen, ist sie schlecht“, sei die Haltung des MRBB, so Yilmaz zur taz: „Wären mehr Mitgliedsvereine des Migrationsrats zur Wahl gekommen, wäre keiner von uns gewählt worden. Dann würde ich auch nicht das Recht haben, mich zu beklagen.“

Es gehe dem Migrationsrat gar nicht darum, sich über das Wahlergebnis zu beschweren, so der MRBB-Sprecher Yilmaz-Günay: „Das waren demokratische Wahlen, aus denen die TGB siegreich hervorgegangen ist.“ Wie mit der Situation künftig umgegangen werde, diskutiere der Migrationsrat noch. Klar ist, so Yilmaz-Günay: „Wie werden die Arbeit des Landesbeirats kritisch begleiten – und da, wo es uns nötig erscheint, auch außerhalb des Beirats die Initiative ergreifen.“

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