OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Die Filme von Alfred Hitchcock sind das wohl schönste Beispiel dafür, dass man im alten Hollywood-Studiosystem durchaus Werke schaffen konnte, die sowohl technisch wie künstlerisch innovativ waren, dabei die Persönlichkeit ihres Schöpfers widerspiegelten und obendrein noch einen ungeheuren Publikumsappeal besaßen. Während die Zuschauer stets glaubten, gerade einen spannenden und/oder amüsanten Krimi zu sehen (und damit ja durchaus recht hatten), traktierte Hitchcock sie zugleich mit seinen sexuellen Obsessionen und diversen avantgardistischen Kabinettstückchen. Auch in „Das Fenster zum Hof“ (1954) kommen alle diese Aspekte zusammen: Das technisch-logistische Problem war der Dreh in nur einer großen Kulisse (die Wohnung, an die James Stewart als Fotoreporter dank eines Gipsbeins gefesselt ist, und der Hinterhof, auf den er mit seinem Teleobjektiv blickt), und als kriminalistischer Spannungsmoment dient natürlich die Entlarvung eines Mörders. Doch eigentlich ist „Das Fenster zum Hof“ ja viel eher ein bitterer Beziehungsfilm: Das Mannequin Grace Kelly will den Abenteurer James Stewart um jeden Preis, doch er erscheint reichlich unwillig. Und wie zum Kommentar beobachtet er mit seinem Teleobjektiv im Haus gegenüber Beziehungen in verschiedenen Phasen: Eine junge Tänzerin wird da von Männern umschwärmt, einem frisch vermählten Ehemann ist der Sex bereits zur Last geworden, ein kinderloses Ehepaar verhätschelt seinen Hund. Und dann gibt es natürlich noch Herrn Thorwald (Raymond Burr), der seine Gattin bereits kleingehackt im Koffer verstaut hat. (9./10. 6. im Filmmuseum Potsdam)

Avantgarde boten in Hollywood auch die klassischen Filmmusicals: Da in einem Film mit Gesang und Tanz sowieso niemand Realismus erwartet, schufen sich die Macher von Musikfilmen schnell experimentelle Freiräume im Umgang mit Kamera, Dekors, Licht und den verschiedenen Bildformaten. Auch Vincente Minnellis „Ein Amerikaner in Paris“ (1951) bietet in seinen Tagtraumsequenzen Bewundernswertes: In dem 17-minütigen Schlussballett mit Gene Kelly und Leslie Caron sind die einzelnen Szenen deutlich vom Stil französischer Maler wie Toulouse-Lautrec und Dufy inspiriert. Kameramann John Alton sorgte mit seiner Entscheidung, in dieser Schlusssequenz auch farbiges Licht zu verwenden und die Tänzer im Gegenlicht zu silhouettieren, für Aufregung beim Produktionsteam – und gewann schließlich dafür den Oscar. (9. 6. in der Kurbel)

Eine Allegorie von Macht und Gesellschaft hatte Milos Forman im Sinn, als er 1975 „Einer flog über das Kuckucksnest“ verfilmte: Im Irrenhaus führt Oberschwester Mildred (Louise Fletcher) ein totalitäres Regime, das sich hinter pseudodemokratischem Gehabe verschanzt, derweil Neuzugang Randle P. McMurphy (Jack Nicholson) beginnt, ihre Autorität mit fantasievollen Streichen zu untergraben. Er scheitert, weil das, was er als Spiel begreift, letztlich blutiger Ernst ist. (6. 6. Freiluftkino der Russischen Kolonie Alexandrowka Potsdam) LARS PENNING