OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Als Roman Polanski kürzlich in der Schweiz verhaftet wurde, nachdem er sich seit 30 Jahren einem Prozess wegen Sex mit einer Minderjährigen in den USA entzogen hatte, regnete es Solidaritätsadressen seiner Künstlerkollegen, die seine sofortige Freilassung verlangten. Allzu viele Gedanken hatten sie sich dabei jedoch nicht gemacht, denn ihre absurde Argumentation schien zu lauten, dass ein bedeutender Künstler, dem im Leben schon allerlei üble Tragödien widerfahren sind, letztlich über dem Gesetz steht. Allerdings ist der Fall jenseits der Tatsache, dass Polanski Sex mit einer 13-Jährigen hatte, der er zuvor noch Champagner und Beruhigungsmittel verabreicht hatte, von der rechtlichen Seite her tatsächlich kompliziert und verfahren. Einen guten Überblick kann man sich in Marina Zinovichs 2008 entstandener, sehr professioneller Dokumentation „Roman Polanski: Wanted and Desired“ verschaffen: Hier stellen Polizisten, der Staatsanwalt und der Verteidiger, das Opfer und ihr Anwalt jeweils ihre Sicht der Dinge dar – und kommen unisono zu dem Ergebnis, dass das Scheitern des Prozesses vor allem dem – inzwischen verstorbenen – mediengeilen Richter anzulasten ist, der immer neue, teils illegale Deals mit den Anwälten aushandeln wollte und schließlich von niemandem mehr als verlässlich betrachtet wurde. Es wundere ihn nicht, dass Polanski sich dem Urteilsspruch letztlich entzogen habe – sagt der Staatsanwalt. (5./8.–11. 11., White Trash Fast Food)

Mehrfach wurde Hermann Sudermanns „Die Reise nach Tilsit“ bereits verfilmt, eine 1917 entstandene Novelle um einen Bauern, der von einer sündigen Städterin gedrängt wird, seine Frau zu ermorden, sich aber stattdessen bei einem Ausflug nach Tilsit mit ihr versöhnt. Am berühmtesten ist wohl F. W. Murnaus 1927 in den USA unter dem Titel „Sunrise“ gedrehte Version, doch auch Veit Harlan beackerte 1938 das Thema in einem Spielfilm. Während bei Murnau eher das Abenteuer des Ausflugs in die aufregende große Stadt im Mittelpunkt steht, setzt Harlans „Die Reise nach Tilsit“ andere Akzente: Hier regiert in den Szenen vom ländlichen Leben die typische Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus, die Verführerin wird im Sinne rassistischer Propaganda der Zeit zur bösen Polin, und die melodramatischen Aspekte der Geschichte sind deutlicher betont. Zu sehen ist der Film im Rahmen der Reihe „Zwischen Herzschmerz und Propaganda – Die Darstellung Ostpreußens im Film“ in der Urania, mit einer Einführung von Evelyn Hampicke vom Filmarchiv des Bundesarchivs. (8. 11., Urania)

Einen Anti-Nazi-Paranoia-Thriller schuf Fritz Lang mit „Ministry of Fear“ (1944): Da stößt der soeben aus einer psychiatrischen Anstalt entlassene Stephen Neale (Ray Milland) auf eine Nazi-Organisation, die sich hinter einem Wohltätigkeitsverein für Mütter versteckt. Doch niemand glaubt ihm, und schon bald wird er selbst gejagt. Die Welt außerhalb der sicheren Klinikmauern ist hier verrückt: ein düsterer Albtraum ohne Möglichkeiten, sich zu verstecken. (7. 11., Filmkunst 66) LARS PENNING