Dutschke und Stauffenberg: Helden der Bundesrepublik

Die Lederjacke Rudi Dutschkes und die Augenklappe des Claus Schenk Graf von Stauffenberg sind Symbole im kollektiven Gedächtnis: Sie erinnern an zwei Menschen, die handelten, weil sie handeln mussten.

Die Bundesrepublik und ihre Helden - ein mitunter schwieriges Verhältnis Bild: dpa

Der Vergleich mag frivol erscheinen: Was hat der Held des deutschen Widerstands mit dem Protagonisten einer "antisystemischen Bewegung" (Immanuel Wallerstein) zu tun, die sich gegen die parlamentarische Demokratie, das westliche Bündnis und die offene Leistungsgesellschaft richtete? Oder andersherum: Wie kann man den Helden der basisdemokratischen 68er-Bewegung mit einem George-Jünger in einem Atemzug nennen, der sich als Teil einer geistigen Elite fühlte, die sich durch großen Sinn, Zucht und Opfer von der Masse der anderen unterscheiden wollte?

Als Helden werden beide in Anspruch genommen: Der eine hat durch seine heroische Tat einen moralischen Kontrapunkt angesichts des "traurigen Versagens des deutschen Volkes" gesetzt; der andere hat in einem "barbarischen, schönen Leben" bewiesen, dass man im "Mief" des Wirtschaftswunders und in den Affirmationen der "formierten Gesellschaft" Nein sagen konnte. Wo der eine als Modell für den "Aufstand des Gewissens" firmiert, wird der andere als Modell des zivilen Ungehorsams hochgehalten. Stauffenberg beglaubigt die Kraft eines Einzelnen, Dutschke die Dynamik einer sozialen Bewegung. Beide haben ihren Ort im kollektiven Gedächtnis: als "nationales Symbol" der "Menschlichkeit" der eine, als "wahrhaftiger Sozialist" im Einsatz für eine "Transformation der Demokratie" der andere.

Aber führt die Frage nach den Helden nicht in eine falsche Richtung, weil sie Vergleichbares im Unvergleichbaren suggeriert? Gewiss, im Pathos der Fünfzigerjahre ist der deutsche Widerstand als Heldengeschichte erzählt worden, aber für die Gesellschaftskritik der Studentenbewegung der späten Sechzigerjahre gehörte die Rede vom Helden doch zu den Phantasmagorien einer bürgerlichen Ideologie. Markiert 68 nicht gerade in der Abkehr von einem abendländischen Gewissenspathos das Ende des Helden für die Imagination der Bundesrepublik?

Die Frage nach dem Heldischen bei Stauffenberg und bei Dutschke könnte man als Symptom eines Bruchs mit der deutschen Nachkriegsmentalität begreifen, weil sich die Bundesrepublik einiges darauf zugutehielt, eine Staatsform darzustellen, die keine Helden braucht. Alles ein bisschen kleiner, alles ein bisschen leichter, alles ein bisschen vorläufiger - so hat das Kollektiv der Davongekommenen nach einem verlorenen Krieg, nach vollbrachtem Völkermord den Aufstieg aus der Deckung geschafft. Man muss daher mit Widerständen rechnen, wenn nach den ganzen Bekenntnissen des "Ohne uns" und des "Nie mehr wieder" jetzt der tragischen Pose des Helden das Wort geredet wird.

In der Literaturwissenschaft steht der Begriff "Held" generell für die Hauptperson in Prosatexten oder Dramen. Richtig "heldenhaft", also unfehlbar und heroisch-vorbildhaft, sind jedoch hauptsächlich die Helden aus der Barockliteratur oder aus der Literatur des sozialistischen Realismus, die sich zum Beispiel unermüdlich für ihre Partei einsetzen. Viel öfter tritt der Antiheld auf, der keine Vorbildfigur sein kann und auch nicht sein will. Berühmtes Beispiel: Oskar Matzerath aus Günter Grass "Blechtrommel" (1959).

"Sie sind die Bonvivants und die Helden. Sie sind die Helden und Bösewichte. Sie sind die Bösewichte und Helden dieses Stücks" - sagen die "vier Sprecher" aus Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" (1966), bevor sie genau das machen, was der Titel des Stücks verspricht: die Theaterbesucher beleidigen. "Held der Arbeit" war ein Ehrentitel, den die DDR an Personen vergab, die sich durch ihre "besonders hervorragende, bahnbrechende Tätigkeit" "Verdienste um den Aufbau und den Sieg des Sozialismus" erwarben. 1964 und 1967 ging der Titel - und damit ein Preisgeld von bis zu 10.000 Mark - an den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke. Ein "Pantoffelheld" ist ein Mann, der unter der Fuchtel seiner Ehefrau lebt und sich dieser unterordnet. Bei der "Pantoffelheldin" ist es andersherum. Der Sowjetdiktator Josef Stalin (1878 bis 1953) wurde von den Russen bei einer Medienabstimmung zum größten nationalen Helden aller Zeiten gewählt. Historiker sind entsetzt: "Die Menschen kennen die Wahrheit einfach nicht", sagte der Leiter des Instituts für russische Geschichte, Wladimir Lawrow. Auf Rang drei steht der kommunistische Revolutionsführer Lenin. Die Wahl läuft noch bis September. Im Jahre 1977 schrieb David Bowie gemeinsam mit Brian Eno "Heroes", das Titelstück seines gleichnamigen Albums. Das Lied handelt von zwei Liebenden, die im Schatten der Berliner Mauer zueinanderfinden. Till Lindemann, Sänger von Rammstein, brachte mit "Helden" im Jahre 2007 eine deutsche Version von Bowies Song auf den Markt. Er war nicht der Erste: Allein in der englischsprachigen Wikipedia-Enzyklopädie sind fünfundvierzig Coverversionen aufgelistet. Die Yogastellung "Der Held" heißt korrekt Vira Bhadrasana. Dafür muss man ein Bein um neunzig Grad beugen, den Brustkorb senkrecht aufrichten, die Arme parallel zum Boden halten und den anderen Fuß flach auf den Boden drücken. Bricht man nicht vorzeitig erschöpft zusammen, fördert diese Asana Mut und inneres Heldentum. Die meisten Märchen und Mythen haben ein gemeinsames Grundmuster, und zwar unabhängig davon, aus welchem Kulturkreis sie stammen: In der Regel verlässt der Held die Welt des Alltags, meistert Prüfungen mithilfe wunderbarer Mächte und kehrt pünktlich zum Happy End zurück ins traute Heim. Die Struktur der "Heldenreise" wurde unter anderen von dem US-Amerikaner Joseph Campbell in "Der Heros in tausend Gestalten" (1949) erforscht. In den "Volksmärchen" der Brüder Grimm wiederum ist der Held entweder gut oder böse. Zwischencharaktere gibt es kaum. SASKIA VOGEL

So ganz ohne Helden war die bundesrepublikanische Nachkriegsgeschichte allerdings gar nicht. Es gab die gefeierten Helden des Wiederaufstiegs, aber immer im Kollektiv. Die "Helden von Bern" hatten auf neutralem Boden bewiesen, dass wir wieder wer sind. Nicht durch technische Brillanz oder glänzendes Spiel, aber mit der Unfähigkeit, zu resignieren, hatte man gezeigt, dass Deutschland nicht mehr am Boden lag. Die "Generation Schröder" kann die Aufstellung der Weltmeistermannschaft von 1954 heute noch herunterbeten. Aus diesem Stoff war das Modell Deutschland, das mit dem VW, der Sozialpartnerschaft und der dynamischen Rente die Welt wieder beeindruckte. Trotz Franz Beckenbauer, trotz Boris Becker und Steffi Graf, trotz Michael Schumacher und Katarina Witt versteckte sich das Heldische in der Gesellschaft. Nicht die Erhabenheit des Einzelnen, der Geist des Teams beflügelte das Publikum. Die so friedliche Revolution von 1989 mit dem Pathos "Wir sind das Volk" hat dieses Bild noch bestätigt.

Aber bei den jungen Menschen meldete sich Anfang dieses Jahrhunderts ein gewisser heldischer Bedarf. Die Popgruppe "Wir sind Helden" brachte ihn noch in ironischer Unbefangenheit zum Ausdruck, doch das Verbot, sich über Helden zu erregen, war damit aufgehoben. Wenn man auf der Oberstufe damit traktiert wird, dass der Wille, schön und ernst und einzig zu sein, den gefährlichen Nährboden des "antidemokratischen Denkens" bildet, dann muss sich zumindest unter den Gebildeten schon aus purem Absetzungsbedürfnis ein frisches Interesse am Helden und seinen Gestalten zeigen. Nicht weil man etwas gegen die Demokratie hätte, sondern weil einem eine bestimmte Ideologie der Demokratie auf die Nerven geht.

Der Held erscheint daher nicht als Gefahr für die Demokratie als Verfahren, sondern als Modell für eine Existenz mit Einsatz. Stauffenbergs Augenklappe und Dutschkes Lederjacke kommen mit einem Mal in eine ungeheure symbolische Nähe. Man sieht sie als Embleme eines gefährlichen Lebens, in dem eine Person im entscheidenden Moment Opferbereitschaft bewiesen hat, weil es ihr ums Ganze ging.

Stauffenberg war ein umstrittener Held. Es wurde von Anfang an nicht nur gefragt, ob er nicht ein Versager, sondern unterstellt, dass er ein Verräter sei. Das positive Widerstandsgedenken hatte sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegen einen mehr oder minder versteckt geäußerten Verratsvorwurf durchsetzen müssen. Norbert Frei hat in diesem Zusammenhang von einem "Erinnerungskampf" gesprochen. Es bedurfte schon der 1945 auf Deutsch erschienenen Würdigung der deutschen Opposition gegen Hitler von Hans Rothfels, Eberhard Zellers "Geist der Freiheit" von 1943 oder des Bildbands "Das Gewissen steht auf" von Annedore Leber von 1957, um dieses Bild in gemeißelten Worten zurechtzurücken. So hieß es bei Rothfels: "Man braucht nur sein Bild zu betrachten, um dessen gewahr zu sein, dass dies kein gewöhnlicher Oberst und kein Mann von engem militärischem Ehrgeiz war." Nur ein so außergewöhnlicher Mann wie dieser war zu dem stellvertretenden Opfer in der Lage, das eine Sühne für die deutschen Verbrechen bewirken konnte. Carlo Schmid bekannte in seiner Gedenkrede von 1958, die "Scham" über die deutschen Verbrechen "müsste uns ersticken; es müsste uns unmöglich sein, sie von uns wegzuwälzen, wenn nicht die Helden des Widerstands es auf sich genommen hätten, zu kämpfen und zu leiden."

Die Entheroisierung dieses "anderen Deutschland" begann in der Mitte der Sechzigerjahre, als von Fünfundvierzigern wie Hermann Graml, Ralf Dahrendorf und vor allem Hans Mommsen die antipluralistische Grundhaltung dieser Helden der sittlichen Empörung herausgestellt wurde. Von einem westlichen Gesellschaftsbild, das die parlamentarische Demokratie und den modernen Gruppenpluralismus bejaht, konnte jedenfalls in den Rechtfertigungsdokumenten des Widerstands keine Rede sein. Mommsens skeptische Deutung, die Stauffenberg und den deutschen Widerstand in die Linie des "antidemokratischen Denkens" der Weimarer Republik stellte und damit als Ausdruck politischer Dispositionen begriff, die es im Anschluss an die "westliche" Normalentwicklung zu überwinden galt, hat das bis heute gültige Bild von den Männern des 20. Juli geprägt. Dem aufgeklärten Milieu von heute widerspricht es, einen Offizier der deutschen Wehrmacht einen Helden zu nennen, jemand, der ursprünglich von dem Massenbeweger Hitler beeindruckt war, der die meiste Zeit des Krieges von der deutschen Unüberwindlichkeit überzeugt war und der sich das "neue Reich" als einen sozialen Volksstaat unter der Führung einer geistigen Elite vorstellte. Unsere glanzlose Bundesrepublik mit einer Bundeskanzlerin an der Spitze, der man zugutehält, dass sie keine großen Worte macht, hätte Claus Schenk Graf von Stauffenberg jedenfalls verachtet. Sollen wir wieder jemand zum Helden machen, der von einem "geheimen Deutschland" träumte, der die Gleichheitslüge geißelte und der in der Politik immer dem Charisma vor dem Verfahren den Vorzug gab?

Natürlich war auch Rudi Dutschke umstritten. Der selbst ernannte Berufsrevolutionär, der kämpferische Studentenführer, der glühende Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft war für einen bestimmten Teil der deutschen Presse Ende der Sechzigerjahre eine Hassfigur. Selbst für intellektuell klügere Vertreter der Sozialwissenschaft schien die Studentenbewegung eine gefährliche Radikaldemokratisierung zu wiederholen, die schon der Weimarer Republik den Todesstoß versetzt hatte. Aus dieser Sicht war Dutschke kein Held, sondern ein totalitärer Demagoge, an dem sich die Geister schieden. Dieses Schreckbild hat sich freilich mit dem erfolgreichen Verschwinden der Studentenbewegung zivilisiert.

Als Dutschke in den Siebzigerjahren als Parteigänger der Grünen auftrat, entstand das Bild eines letztlich idealistisch motivierten Erneuerers der Bundesrepublik. Zwar regte sich gegen dieses Bild eines zum Grünen mutierten christlichen Pazifisten immer wieder Unmut, aber dass Dutschke zu einer Ikone der Bundesrepublik wurde, können auch seine Gegner von einst nicht bestreiten. Dutschke, der am Heiligabend 1979 völlig überraschend an den Folgen des am Gründonnerstag 1968 an ihm verübten Attentats starb, gehört zu den Opfern der von der Studentenbewegung geförderten Fundamentalliberalisierung der Bundesrepublik.

Erst mit der Wiederthematisierung der RAF im Zuge der dreißigjährigen Wiederkehr des Deutschen Herbstes sind Retuschen an diesem Bild vorgenommen worden. Wolfgang Kraushaar hat, ausgehend von einer Analyse des berühmten "Organisationsreferats", das Dutschke zusammen mit Hans-Jürgen Krahl auf der Frankfurter SDS-Delegiertenkonferenz im September 1967 hielt, Dutschke als frühen Propagandisten des Konzepts der Stadtguerilla wiederentdeckt, der von Anfang an - das heißt schon in der Zeit, als der Stein ins Rollen kam - mit seiner Offensivtheorie und Eskalationsstrategie ein militärstrategisches Konzept für den gewaltsamen Aufstand in der Bundesrepublik erarbeitete. Der Taktik der konfrontativen Sichtbarmachung der latenten Gewalt des kapitalistischen Systems und des autoritären Staates lag durchaus ein terroristisches Schema zugrunde. Nach dieser Lesart war Dutschke vielleicht ein Held, aber nicht einer der zivilen Gesellschaft, sondern der militanten Aktion.

Unklar ist allerdings bisher, was hier unter dem Begriff des Helden verstanden werden soll. Ein Held ist kein Draufgänger, obwohl ihn ein bestimmtes energisches Talent auszeichnet. Die Heldengeschichten berichten von frühem Elan und unbekümmertem Talent. Doch erst in der Situation der Bewährung zeigt sich, ob jemand zum Helden taugt. Es braucht die Tat, die auf etwas anderes weist. Darin vereinigt sich unbedingte Leidenschaft mit situativer Besonnenheit.

Das darf freilich nicht hinter geschlossenen Türen und in der Anonymität des Alltags passieren. Die heldische Tat muss von einem Publikum gesehen und registriert werden. Deshalb keine Helden ohne Heldengeschichten. Andererseits sind Helden nicht bloße Darsteller heldischer Rollen. Die durchschaute Inszenierung des Heldischen entlarvt den Helden. "Dass alle dich kennen, aber niemand dich durchschaue!", heißt es in Baltasar Graciáns Ratgeber für Helden von 1639.

Freilich erfolgt die Krönung des Helden erst durch seine Wirkung. Der Held muss in den Augen von uns Nichthelden einen Knoten durchschlagen haben. Die exemplarischen Individuen vermögen durch das, was sie getan und geleistet haben, in der Gegenwart die Zukunft zu erblicken. Am liebsten hat man die Helden jung und männlich, und sie sollen für ihren Blick in die Zukunft mit dem Tod bezahlt haben. Daher gelten sie als "Dolmetscher des Himmels" (Thomas Carlyle).

Darin steckt das griechische Erbe im Begriff des Helden. Die Helden folgen den Göttern und führen die Menschen. Sie stellen sich der Versuchung, bestehen den Test und bezwingen das Schicksal. Mut, List und Sieg lauten die entsprechenden Formeln für heldisches Verhalten. Wen nichts lockt, aber auch wer auf alles reinfällt, kann kein Held werden. Odysseus, der berühmteste griechische Held, so die berühmte Formulierung von Horkheimer und Adorno, wirft sich weg, um sich zu gewinnen. Um den betörenden Gesang der Sirenen vernehmen zu können, aber ohne ihm bis in den Tod verfallen zu müssen, lässt er der Mannschaft die Ohren mit Wachs betäuben und sich selbst an den Mast binden. So gelingt der Triumph über die Versuchung durch die Preisgabe an den Sog. Das Ergebnis ist die Entfesselung der Leidenschaften im Dienste der Steigerung des Selbst.

Das erklärt, warum Helden gefährlich sind. Sie verbürgen die Möglichkeit von Transzendenz unter den Bedingungen verschwindender Transzendenz. Das Freimachen, der Durchbruch, die stellvertretende Deutung, die symbolisierende Geste sind das Werk von Helden. Die ungefährlichen Helden des Sports oder des Pops sind deshalb nur Schwundgestalten des Helden. Sie haben vielleicht Großes in ihrer Disziplin oder auf ihrem Gebiet geleistet, sie können auch Idole für Millionen sein, aber ihnen fehlt das gewisse Etwas, das das ganz Andere berührt. Helden sind gefährlich, weil sie den Blick aufs Ganze richten. Sie sind Ausnahmemenschen, die mit hohem Einsatz spielen, die einen Wurf wagen, die sich einer Sache unterstellen. Am Ende führen sie das Vorlaufen zum Tode als Bedingung ihrer Existenz vor.

So ist beim gefährlichen Helden der Heldenkult immer nahe am Todeskult. Die entsprechenden Geschichten handeln von Übermenschen, die das Niedere abgestreift haben, um zum Höheren zu gelangen. Das macht sie attraktiv für labile Existenzen, die sich ihrer sozialen Position nicht mehr sicher sind. Randständige Mitläufer mit schlechtem Gewissen, nervöse Statussucher in Zeiten des Umbruchs und "radikale Verlierer" in entkoppelten Lebensverhältnissen (Hans Magnus Enzensberger) können sich an Heldenfiguren hochziehen, weil sie ihnen glorreiche Heilung von erlittener Schmach versprechen. Solche Helden gelten als Märtyrer, die den triumphalen Tod gegen das verdorbene Leben gesetzt haben. Ihre Selbstlosigkeit ist dann der höchste Einsatz ihres Selbst.

Weder Stauffenberg noch Dutschke war ein selbstmörderischer Märtyrer. Zweifellos wollten beide Großes tun und die Erwartungen erfüllen. Bei Rudi Dutschke hängt der heldische Gestus an der von ihm bevorzugten Rede von den Unterdrückten und Beleidigten. Der Klassenkampf hat bei ihm mehr mit Dostojewski zu tun als mit Marx. Als heldisch kann bei Dutschke das Setzen auf ein Modell der revolutionären Existenz angesehen werden. Die revolutionäre Irregularität dient der Destruktion des Systems der repressiven Institutionen. Dann schließt eine "Propaganda der Tat", eine "Propaganda der Schüsse" (Che Guevara) nicht aus. Am Ende war Dutschke ein Held der Rhetorik, der für die Bewegung zum richtigen Zeitpunkt die schlagenden Worte fand.

Der letzte von ihm hinterlassene signifikante Ausspruch datiert auf den 18. November 1974. Als mit Holger Meins einer seiner letzten Kampfgefährten auf einem Hamburger Friedhof begraben wird, reckt Dutschke plötzlich seine Faust empor und ruft ihm am offenen Grab hinterher: "Holger, der Kampf geht weiter!" Die Historiker der Bewegung sind sich unsicher, ob das eine geplante oder eine spontane Geste war. Im Nachhinein freilich wird deutlich, dass dies die symbolische Markierung für die letzte Phase des Terrors der RAF war.

Rudi Dutschke ging es genauso wenig wie Stauffenberg um den eigenen Vorteil, und beide fühlten sich nicht im Wettkampf mit anderen. Der jungen Generation von heute, die mit dem ökonomischen Handlungsmodell groß geworden ist, nach dem wir in letzter Instanz alle bloße Nutzenmaximierer sind, führen sie Handlungen vor Augen, die einzig und allein deshalb getan wurden, weil sie getan werden mussten.

Als am 22. Juni 1944 die sowjetische Großoffensive gegen die Heeresgruppe Mitte begann, die den Zusammenbruch der Ostfront zur Folge hatte, und es nur noch eine Frage der Zeit war, dass die deutschen Armeen gegen die Übermacht im Zweifrontenkrieg unterliegen würden, ließ Stauffenberg seinen Mitverschwörer Treskow fragen, ob die Pläne überhaupt noch einen Sinn besäßen, und erhielt die Antwort: "Das Attentat muss erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig."

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