„Die Frau muss sagen: Ich liebe dich trotzdem“

Geboren: 2. September 1969 in Lübeck. Beruf: Schriftsteller. Und: Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, Doktor der Philosophie. Familie: Seit 1996 verheiratet mit der Schriftstellerin Andrea Paluch. Vier Söhne (geboren 1996, 1999 – Zwillinge, 2002). Arbeitsprinzip: Paluch und Habeck schreiben und veröffentlichen gemeinsam. Die doppelte Autorenschaft gilt ihnen als bewusste Entscheidung für einen gemeinsamen, egalitären Lebensentwurf. Politik: Seit 2002 Mitglied der Grünen, seit 2004 Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. 2006 gescheiterte Kandidatur für den Bundesvorstand. 2008 für den Bundesvorsitz im Gespräch. Dazu sagte er der taz: „Man kann nicht vier Kinder zeugen und sich aus dem Staub machen, um Bundesvorsitzender zu werden. Jedenfalls entspricht das nicht dem mühevoll eingerichteten Leben von meiner Frau und mir, das eben nicht auf dem klassischen, männlichen Karrieremodell basiert.“ Habeck und Familie leben in Großenwiehe (2.900 Einwohner), nahe der dänischen Grenze. Zum taz-Gespräch traf er sich mit Redakteur Peter Unfried auf halbem Weg – im Hamburger Hauptbahnhof.

Die Vaterschaft ist in der Krise, sagt der Schriftsteller, Grünen-Politiker und Hausmann Robert Habeck. Grund: Der Vater zerbricht an der Anforderung, ein erfolgreicher Ernährer und zugleich ein vorbildlicher Familienvater zu sein. Entweder jetzt passiert etwas, oder wir fallen in die Zeit vor der Aufklärung zurück, sagt Habeck. Gefragt sei die Politik – und auch die Frau

INTERVIEW PETER UNFRIED
FOTOS MARCUS DEWANGER

taz: Herr Habeck, warum ist der Vater in der Krise?

Robert Habeck: Die Krise der Vaterschaft rührt daher, dass es heute zwei widersprüchliche Anforderungen an Väter gibt. Einmal ist da die alte Anforderung, in einer schneller werdenden, auch von Armut bedrohten Gesellschaft, in einer brutaleren Arbeitswelt selbst auch immer brutaler, schneller und härter zu werden. Das ist die alte Ernährerdiskussion im neuen, globalisierten, börsengeschüttelten Gewand.

Und die zweite Anforderung?

Die zweite Anforderung ist, gleichzeitig sensibler zu sein, viel Zeit mit dem Kind zu verbringen, ein emotionaler Vater zu sein. Beides zusammenzubringen, also härter und brutaler zu werden und gleichzeitig sensibler und empfindsamer, dafür gibt es keinen Rollenentwurf. Die neue und die alte Anforderung beißen sich. Die Folge ist: Männer werden häufig gerade deshalb keine Väter, weil sie gute Väter sein wollen.

In den 80ern haben Männer gesagt: Ich kann keine Kinder in die böse Welt setzen. Ideologischer Zeugungsstreik, damals gern bekräftigt durch Sterilisierung. Und jetzt sagen sie: Ich kann keine Kinder in eine Welt setzen, in der ich der Vater wäre?

Jetzt würde man sagen, ich würde gerne Kinder in die Welt setzen, aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe, ein guter Vater zu sein. Ich nicht weiß, wie ich beruflich kürzertreten soll, und nur als Zierde will ich ein Kind nicht, also lasse ich’s lieber bleiben.

Oder weil ich das Geld nicht garantieren kann?

Ja. Es ist ein harter Schlag für alle Romantiker der Familienpolitik. Aber einer der entscheidenden Gründe, aus denen Paare sich gegen Kinder entscheiden, ist das Fehlen einer Einkommensperspektive. Die ist heutzutage oft erst ab dem 35. Lebensjahr gesichert. So verzichten viele ganz lange auf den Wunsch, Kinder zu kriegen. Nicht weil sie lieber ins Kino gehen, sondern weil sie den Ansprüchen, die sie an sich selber stellen, Genüge tun wollen.

Dann hat die Frau das Kind doch bekommen, und der Mann fängt plötzlich an, wie blöd zu arbeiten. In Ihrem Buch nennen Sie das nicht Flucht vor der Verantwortung, sondern Übernahme von Verantwortung. Warum?

Solange man das Problem als individuelle und biologisch-psychologische Disposition sieht nach dem Motto „Männer sind machtgeile Machos“ oder „Männer-haben Angst vor dem nassen Lappen“, verfehlt man die anstehende politische Debatte. Man muss sich vom Klischee „Mann“ lösen und Geschlechter entlang von Rollen- und Gesellschaftsmechanismen beschreiben. Dann erkennt man zwangsläufig: Die neuen Väter entfernen sich aus Sorge um das finanzielle Auskommen oftmals ungewollt von ihren Familien.

Die Frau wirft ihm vor, dass er sie allein und im Stich lässt.

Solcher Vorwurf klingt wie von gestern. Beide Geschlechter fallen zurück in Rollenklischees, die beide gar nicht wollen.

Jedenfalls gibt es auch im 21. Jahrhundert fast keine Frauen in der Ernährerrolle.

Ebendas ist auch das Problem der Männer. Beide Geschlechter verhalten sich völlig synchron und letztlich auch rational. Wenn skandalöserweise Bildung so stark vom Einkommen des Elternhauses abhängig ist und wenn unsäglicherweise Frauen so deutlich weniger verdienen als Männer, dann müssen beide ja nur eins und eins zusammenzählen. Dann sagen sie mit Blick auf die Zukunft ihrer Kinder: Ja gut, dann holt der das Geld rein, der mehr kriegt. Also müssen sich Männer dafür einsetzen, dass Frauen gleich viel verdienen, und Frauen dafür, dass Männer weniger arbeiten.

Der Mann will mehr in der Familie sein, die Frau mehr berufliche Erfüllung. Beide müssten sich doch aufeinander zubewegen?

Ich befürchte, dass wir gerade dabei sind, den Moment zu verpassen, diese Bewegung zu ermöglichen. Die neuesten Untersuchungen sagen: Obwohl die Geschlechter sich aufeinander zubewegen wollen, entfernen sie sich voneinander. Die Männer werden immer mehr wieder zu Arbeitstieren. Die Frauen finden das okay.

Ist das gar keine kulturelle Frage, sondern nur eine politische, eine Arbeitsmarktfrage?

Es ist beides. Wenn man sich die Geschichte der Vaterschaft anguckt, also der Rollenbilder, die für Väter bislang gegolten haben, sieht man, dass die ganz eng mit der Organisation des Arbeitsmarktes und der gesellschaftlichen Produktionsformen verknüpft war. Jetzt kann man es umdrehen und sagen: Die Krise der Väter ist ein starkes Indiz für die Krise der Arbeitswelt und eines Systems des Immer-mehr-haben-Wollens. Die Politik will das nur noch nicht wahrhaben. Es wird aber auch ein neuer kultureller Ansatz sichtbar, wenn man die Männer betrachtet. Die Frauenemanzipation konnte diesen Umbruch nicht so deutlich machen, weil sie noch aus dem alten Systemgedanken heraus funktioniert. Also mehr Lohn, gleichen Lohn zu haben, mehr Karriere, gleiche Karriere zu machen.

Berechtigt.

Mehr als das. Es ist eine soziale Bewegung im Sinne des alten Jahrhunderts, und dass sie nicht erfüllt wurde, ist ein Skandal. Aber ihr Blick richtet sich nicht auf den kulturellen Umbruch, den ich jetzt sehen zu können meine.

Der Feminismus und auch noch der Postfeminismus blockieren diesen gesellschaftlichen Umbruch?

Wer ist schuld an der Krise der Männer? Die bösen, bösen Feministinnen, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen und uns in eine Rollenidentität stürzen – das ist ideologischer Blödsinn aus dem konservativen Männermilieu.

Gut. Nach Klärung der Bösefront noch mal: Blockiert der Feminismus?

Es gibt da einen Widerspruch aus der alten Emanzipationsdebatte der Frauen und der jetzigen Problemlage der Männer. Das läuft nicht aufeinander zu, das läuft aneinander vorbei. Der nächste Schritt ist nicht, zu sagen: Ich will so viel Geld verdienen wie Josef Ackermann. Der nächste Schritt ist, zu sagen …

Geld allein macht auch nicht glücklich? Herr Habeck!

Nein, warten Sie. Der nächste Schritt ist: Mit den Männern zusammen einen halben Schritt zurücktreten und sagen: Es muss ein Maß an Lebenszufriedenheit und Balance geben, das es beiden Geschlechtern ermöglicht, die Dinge des Alltags und des Berufs miteinander auf die Reihe zu kriegen. Die Chance besteht darin, dass die Frauen sagen: Okay, es gibt eine Verunsicherung bei den Männern; die machen wir fruchtbar für eine wahre Gleichberechtigung. Das bedeutet aber auch, dass sie es nicht bei der Forderung „Gleiche Macht auch für uns“ belassen. Sie müssen sagen: „Weniger Macht für alle“.

Die Frauen müssen das Problem des Mannes sehen und nicht nur den Mann als Problem?

Das hätte ich nicht besser sagen können.

CDU-Ministerin von der Leyen feiert ihr Elterngeld als großen Erfolg und ist inzwischen auch unter linksliberalen Frauen eine Heldin.

Das Elterngeld ist systematisch völlig falsch aufgestellt. Es funktioniert nach der Logik des Hausfrauen- und Ernährermodells, es werden einfach mal die Rollen für ein Jahr geändert.

Aber das System wird gewahrt?

Nur weil Männer ein Jahr zu Hause bleiben, ist die Emanzipation keinen Schritt vorangekommen. Alle Indizien, die ich gesammelt habe, sagen, dass genau das die Partner gar nicht wollen. Es geht ihnen darum, einen gemeinsamen Alltag zu teilen. Also vielleicht sechs bis acht Stunden am Tag zu arbeiten und nicht zwölf. Und damit eine geteilte Woche hinzukriegen.

Wie läuft das bei Ihnen?

Unser Arbeits- und Lebensmodell ist sicher nicht so ganz leicht auf andere zu übertragen. Meine Frau und ich leben und arbeiten seit zehn, elf Jahren als Schriftsteller zusammen. Alle unsere Bücher sind gemeinsam geschrieben und unter unser beider Namen veröffentlicht, sodass wir immer gleich erfolgreich oder weniger erfolgreich sind. Wir verdienen etwa gleich viel Geld und machen die gleiche Karriere – oder eben auch nicht.

Wie funktioniert der Wechsel zwischen Arbeit und Familienarbeit?

Der hat sich gerade verschoben. Vor Kita und Schule konnten wir nur gemeinsam arbeiten, wenn die Kinder schliefen. Da waren wir auch meist selbst müde und mussten uns mit Koffein aufputschen. Tagsüber wurde dann in Textform festgehalten, was wir uns nachts erarbeitet hatten. Das machte jeweils die oder der, der wacher war. Inzwischen haben wir die Zeit, die die Kinder in Kita und Schule sind, um gemeinsam konzentriert zu arbeiten.

Wenn Sie alles gemeinsam machen, warum haben Sie dann „Verwirrte Väter“ allein geschrieben?

Tatsächlich scheinbar ein Widerspruch! Ich schreibe ein Buch über die Möglichkeit eines geteilten Zusammenlebens und breche genau damit mein eigenes. Der Grund ist: Wir haben schlicht mehr Zeit, seit die Kinder sich selbst in den Schlaf lesen. Meine Frau gründet eine Band, ich engagiere mich politisch ein wenig – und schreibe ein Buch. So gesehen ist es eher Erweiterung der gemeinsamen Möglichkeiten als ihre Einschränkung.

Sie haben immer zu Hause gearbeitet?

Von Lesereisen und Parteitagen abgesehen, ja. Man braucht ein hohes Maß an Selbstdisziplin. Man hat ja auch ständig den Nerv, wenn die Kinder ankommen und den Ball aufgepumpt haben wollen oder sich in der Wolle haben. Aber es ermöglicht eben auch einen schnellen Betreuungswechsel oder auch Arbeitswechsel. Aber klar, verallgemeinerbar ist das so nicht. Verallgemeinerbar ist aber, dass es besser ist, Konflikte miteinander zu erleben und zu erleiden, als sie gar nicht mitzukriegen.

Das ist die zusätzliche Lebensqualität, dass man Konflikte erleben darf?

Jedenfalls ist das Gegenteil, eine heile Welt zu haben, widerspruchsfrei, schmerzfrei und steril zu leben, für mich weniger erstrebenswert.

Haben Sie auf eine Kandidatur als Bundesvorsitzender der Grünen verzichtet, weil Sie private Konflikte bevorzugen?

Ich hätte diese Konflikte nicht mehr austragen können, wenn ich in Berlin leben würde und meine Familie an der dänischen Grenze. Aber klar ziehe ich den politischen Konflikt dem privaten vor. Es ist ja auch nicht so, dass ich keinen politischen Anspruch und Ehrgeiz hätte. In Berlin hätte ich ihn aber nicht erfüllen können. Gerade weil ich mich bei Konflikten ganz gern durchsetze.

Ein Kritiker warf Ihnen eine elitäre Milieudiskussion vor, während neunzig Prozent der Leute damit beschäftigt seien, ihre Ökonomie auf die Reihe zu kriegen.

Auch das Milieu, von dem Sie sprechen, will vor allem seine Ökonomie auf die Reihe kriegen. Wenn man Kinder bekommt, brechen einem die Ideale häufig unter den Händen kaputt, vor allen Dingen, weil Kohle so wichtig wird.

Welche Ideale?

Kinder gemeinsam zu erziehen und sich den Alltag zu teilen, gleichermaßen Karriere und Beruf zu machen. Ich habe vor allem über die Ansprüche der Männer an sich selbst geschrieben, für ihre Kinder da zu sein, als Freunde, und sie nicht nur morgens zur Kita zu fahren und am Wochenende mal irgendwie ins Kino zu gehen. Für etwa sechzig Prozent der Väter ist klar, dass sie nicht auf Kosten der Frau leben wollen.

Sie sagen, beide müssen Macht abgeben. Heißt das auch: Die Mutter muss Muttermacht abgeben?

Klar. Es kommt nicht so selten vor, dass Frauen ihren Männern die Familienarbeit abnehmen, weil sie es schneller oder besser können. Oder zu können meinen. Auch das ist eine Machtfrage. Beide Geschlechter müssen weniger auf Macht und weniger auf Geld sehen. Die Frau muss auch sagen: Ist doch okay, wenn du ein bisschen weniger verdienst als ich. Ich liebe dich trotzdem.

Hätten Sie ein Taschentuch? Es wird etwas rührselig.

Im Gegenteil, es wird ernst und schmutzig. Noch immer suchen sich die allermeisten Frauen Partner, die mehr verdienen als sie. Das wissen die Männer natürlich auch. Ihr Ego, auch ihr erotisches Ego, wird durch den Kontoauszug mitgeprägt.

Das Ego ist aber beeinflusst durch das kulturelle System.

Mann und Frau haben ihr Selbstverständnis geändert – schneller sogar als die gesellschaftlichen Umstände. Das führt jetzt zu neuen Unsicherheiten und Problemen. Und die werden eben nicht politisch korrekt gelöst. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem sich entweder die Umstände ändern müssen, oder wir fallen zurück in die Zeit vor der Emanzipationsaufklärung.

Sie meinen: 50er-Jahre-Stil?

Die Gegenaufklärung à la Eva Herman, Matthias Matussek oder Bernhard Bueb hat jedenfalls höhere Verkaufszahlen als ich. Ihre These ist dabei nur: Männer sind groß und stark, und Frauen sind klein und schwach, und das kann nicht anders sein. Wenn wir jetzt nicht die Rahmenbedingungen so ändern, dass wir zeigen: „Ihr täuscht euch alle, es funktioniert“, dann werden die Veränderungsfeindlichen den Fortschritt der letzten zwanzig Jahre wieder einstampfen und als Verirrung der durchgeknallten Achtundsechzigerlinken stigmatisieren.

Jetzt simulieren Sie aber auch den Lagerwahlkampf.

Eben keinen Lagerwahlkampf. Ich handle mir ja gerade eher einen Zweifrontenkrieg ein gegen Autoritätsansprüche von links wie von rechts. Mir geht es um einen offensiven, radikalen Schritt raus aus der Achtundsechziger-Emanzipationsdebatte. Mir geht es darum, nicht vor einer sich modern gebenden CDU zurückzuweichen und gleichzeitig keine Angst zu haben, Familienpolitik als linkes Projekt oder als emanzipatorisches Projekt zu begreifen. Ich sage nicht: Familie ist das, was mich zwingt, so zu leben, wie ich nicht leben will. Ich sage: Familie ist das, was mir Freiheit gibt, so zu leben, wie ich will.

Was soll das heißen?

Das Buch: Robert Habeck: „Verwirrte Väter. Oder: Wann ist der Mann ein Mann“. Gütersloher Verlagshaus, 2008, 221 Seiten, 16,95 Euro. Die Kritik: „Publizistisch ein Quantensprung, doch für den Wandel der Geschlechterverhältnisse bringt „Verwirrte Väter“ erst mal nichts.“ Christian Füller „Am schönsten ist, wie durch all seine Ausführungen die Freude am eigenen Vatersein durchschimmert. Als hätte das ganze Leben dadurch einen unsichtbaren Goldgrund.“ Alex Rühle, SZ „Ist das nun eine Regierungserklärung oder doch eine Kapitulation?“ Matthias Krupa, Die Zeit

Familie steht unter einem erheblichen ökonomischen Druck. Aber innerhalb der Familie wird nicht ökonomisch gehandelt. Man beschäftigt sich mit seinen Kindern oder Partnern ja nicht, weil man etwas zurückbekommen will, sondern weil es glücklich macht. Für mich ist das Freiheit. Und so würde ich Familienpolitik definieren: nicht biologisch, sondern ethisch. Familie ist das Gegenteil von Firma.

Ist das ein künftiger Wahlkampfslogan?

Ach was. In der Bindung ans Kind erlebt man eine Verantwortung, die nicht auf einen Ertrag gerichtet ist. Man investiert Zeit und Geld und Mühe und Liebe und hat keine konkrete Erwartung, was dann zurückkommt. Das Tun ist der Sinn der Sache. Das ist das Erstrebenswerte. Es ist fundamental dem entgegengerichtet, was wir im beruflichen Leben machen: Da schreibt man jedes Buch, um es zu verkaufen.

Von den neukonservativen Denkmodellen zur Familie halten Sie erkennbar nichts.

Ich halte sie intellektuell für plump und politisch für einen Minderwertigkeitskomplex. Die Denkfiguren dieser neukonservativen Leute funktionieren immer mit den gleichen Unterstellungen. Die eine ist, dass es etwas Bewahrenswertes gibt, dass früher alles besser war.

Die heile Familienwelt vor 1968 mit dem traumatisierten Nazi- oder Soldatenvater und den unterdrückten Kindern?

So weit muss man vielleicht nicht gehen. Aber klare Rollen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Klare Bandagen, was Erfolg ist, Gehorsam statt Konflikt, dieses Zeug. Die zweite Unterstellung ist dann, dass jemand das Paradies zerstört habe. Das sind dann wahlweise die Achtundsechziger, die Grünen, die Linken oder Alice Schwarzer.

Und wenn nun Männer halt doch gewisse Eigenheiten hätten …

Ich wäre der Letzte, der das leugnen würde. Androgynität ist ja auch gar nicht das Ideal. Aber daraus, dass es Dinge gibt, die scheinbar natürlich sind, folgt ja nicht, dass unsere Spielregeln sie blind verstärken. Sie könnten sie ja auch ändern. Gerade weil das männliche Gehirn durch Testosteron so zerstört ist, dass Jungen brüllen und raufen, sollte man ihnen beibringen, auch mal zuzuhören. Und Männern auch.

Wenn Sie in Ihrem Buch die Entwicklung der Vaterschaft seit dem pater familias der römischen Antike analysieren, dann gibt es für Sie keine Zeit, die Modellcharakter hat.

Modellcharakter hat die Abfolge von Fortschritt und Rückschritt. Wir erlebten, so schräg das klingt für Leute, die Hartz IV für eine schlechte Idee halten, in den letzten zehn Jahren eine Phase der Aufklärung. Aber wenn es so läuft, wie es immer in der Historie gelaufen ist, folgt darauf die Gegenaufklärung. Und dass die Wirtschaft durchgedreht ist und dass die Opfer des Aufschwungs so viele werden, wird das Verlangen nach Sicherheit und Orientierung nur noch verstärken. So begrüßenswert das für den Arbeitsmarkt sein mag, kulturell will ich das lieber nicht.

Sie fordern eine neue Arbeitspolitik.

Eine Arbeitszeitpolitik. Dass man sich staatlicherseits stärker mit der Arbeitszeit beschäftigt, ist ein wesentlicher Schlüssel. Alle egalitären Umverteilungsmodelle, die ersonnen werden, auch das Grundeinkommen, werden nur dann wirklich funktionieren, wenn es einen staatlichen Steuerungsmechanismus gibt, die Zeit der Arbeit halbwegs gerecht für die Menschen aufzuteilen. Das ist auch die direkteste Antwort, die man aus der Notsituation der Väter und Mütter heute ableiten kann.

Wie kann man das organisieren, ohne zu stark in die Freiheit einzugreifen?

Nicht über Verbote. Überstunden müssten lediglich unattraktiver werden. Man setzt Überarbeitung und „Unterarbeitung“, die Arbeitslosigkeit, in Beziehung. Zu viel arbeiten ist asozial. Also beziehen wir den Faktor Zeit in unser Steuer- und Abgabensystem ein. Es gibt ein messbares Bedürfnis, weniger zu arbeiten.

Manche brauchen mehrere Jobs, um durchzukommen.

Ja, weil die zu schlecht bezahlt sind oder weil das Sozialsystem sie nicht ausreichend stützt. Glücklich sind die aber nicht mit ihren drei Jobs. Das spricht für die Schaffung eines gerechteren Sozialsystems, aber nicht gegen die Arbeitszeit als neues Steuerungsinstrument.

Übernehmen Sie doch mal die Deutungshoheit über den Begriff „bürgerliche Kleinfamilie“, Herr Habeck.

Ach, Begriffe interessieren mich gar nicht. Von außen betrachtet, lebe ich in einer bürgerlichen Kleinfamilie, wohne auf dem Land, bin selbstständig, verheiratet, die Kinder sind meine eigenen. Soll mir das jetzt peinlich sein? Entstanden ist das alles eher aus dem Wunsch, es nicht so zu machen, wie es vorgezeichnet war. Frühes Kind statt Festeinstellung, Schriftsteller statt Lektor, dänische Grenze statt Hamburg, weil da das Geld reicht, so zu leben, wir wollen – ich find meine bürgerliche Kleinfamilie eigentlich ganz cool.

Und die Moral von der Geschichte?

Die Moral ist, keinen Lebensentwurf vorzuschreiben, aber viele zu ermöglichen. Mehr sollte ein Staat gar nicht anstreben. Für die Väter haut aber genau das nicht mehr hin, so zu leben, wie sie eigentlich wollen. Also übertragen wir die privaten Probleme auf die öffentliche Ebene. Das, was früher in der Kleinfamilie gefangen war, findet dann auf der staatlichen Ebene statt. Das wäre eine neue Debatte. Sie würde den Rückfall in die alte verhindern.

PETER UNFRIED, Jahrgang 1963, ist stellvertretender Chefredakteur der taz (1,0-Stelle) und lebt mit Frau (0,6) und zwei Kindern (Schule und Hort bis 16 Uhr) in Berlin