Reisender in eigener Sache

NETZWERKE Stephan Peters war Mitglied einer Studentenverbindung. Dann ist er ausgetreten. Seitdem kämpft er gegen Männerbünde an der Uni. Das Thema lässt ihn nicht los

Zahlen: Der überwiegende Teil der etwa 1.000 existierenden Verbindungen in Deutschland ist schlagend, über 95 Prozent sind reine Männerbünde. Insgesamt sind etwa 15.000 Studenten in Verbindungen aktiv.

Formen: Korporationen oder (studentische) Verbindungen sind Überbegriffe. Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften oder Turnerschaften sind bestimmte Arten von Korporationen.

Bünde: Die erste Burschenschaft, die „Jenaer Urburschenschaft“, wurde bereits 1815 gegründet – als eine protestantische Bewegung mit nationalem Impetus, die Katholiken diskriminierte. Heute gelten Burschenschaften vielen als Sammelbecken rechter und rechtsextremer, nationalistisch bis rassistisch eingestellter Männer – vor allem die „Deutsche Burschenschaft“ gerät in diesem Zusammenhang immer wieder in die Schlagzeilen.

VON KIRSTEN KÜPPERS

Es hat keinen Knall getan, als Stephan Peters beschloss, sein gewohntes Dasein aufzugeben und in ein neues, unbekanntes Leben zu treten. Ein Leben, in dem er auf einmal ziemlich alleine dastand – ohne Familie, ohne Freunde. Ohne Kappe, ohne Schärpe. Ohne bierselige Umarmungen an langen Tischen, ohne Gottesdienst am Sonntag. Das Ganze war kein plötzlicher Entschluss. Es war eher so, dass sein Dasein als katholischer Verbindungsstudent begonnen hatte, sich langsam von den Rändern her aufzulösen. „Es bröselte“, sagt er heute.

Stephan Peters sitzt im Frühstücksraum eines rustikalen Passauer Hotels, es ist früh um sieben, müde beißt er in ein Bierschinkenbrötchen. Ein hoch gewachsener Mann von durchschnittlichem Aussehen ist er, schmaler Mund und randlose Brille in einem weichen Gesicht, 41 Jahre alt. Keiner, der auffällt.

Man kann Peters jetzt häufig in solchen Frühstücksräumen treffen. Er ist eine Art Handelsreisender in eigener Sache geworden. Er warnt vor denen, die er früher selbst repräsentiert hat. Peters reist von Universität zu Universität, hält Vorträge über die Gefahren von Studentenverbindungen und Burschenschaften. Außerdem gibt er Rhetorikkurse. Heute muss er einer Gruppe von 15 Passauer Studenten mit Hilfe von Flipchart, Filzstiften und bunten Kärtchen erklären, wie sie in Zukunft bessere Referate halten. Ein anstrengender Job. Peters ist selten zu Hause, viele Abende in kahlen Hotelzimmern. Aber immer noch besser als das Leben in der Gemeinschaft, die er vor 15 Jahren aufgegeben hat. „Der alte Scheiß“, knurrt Peters, an seinem Frühstücksteller klebt Butter, er schiebt ihn weg.

Stephan Peters ist ausgebrochen damals. Er hat Schluss gemacht mit seiner gewohnten Umgebung. Man kann sagen: Inzwischen läuft Peters auf seiner eigenen Straße.

Vorher war er dem Weg gefolgt, den seine Familie ihm vorgegeben hatte. Stephan Peters wuchs in einer konservativen Familie in Bocholt im Münsterland auf, der Vater besaß eine Druckerei, war im Schützenverein, im Karnevalsverein, im Tennisclub. Stephan war ein Junge, der nicht weiter auffiel. Andere Teenager werfen sich Lederjacken über, schwingen sich aufs Moped, benehmen sich schlecht. Wenn man Stephan Peters fragt, antwortet er, er habe gerne Polohemden von Lacoste getragen. Als das Studium anfing, trat er in dieselbe Studentenverbindung ein, in der sein Vater, sein Großvater und sein Bruder auch schon Mitglied waren.

Nervende Rituale

Die Zweifel kamen später. Peters kann sich erinnern: Einmal saß er als einziger Mann in einem feministischen Seminar, in Marburg. Die Frauen griffen ihn an, weil er Verbindungsstudent war. Peters saß da, die Frauen schimpften, in seinem Kopf wurden die Stimmen schrill, die Wände rückten näher, und da merkte er, dass er nichts Brauchbares sagen konnte, nichts, das ihn selbst überzeugt hätte. Seine Antworten waren nicht gut genug für die Fragen. Da hatte sich schon alles in ihm verknotet.

Peters war damals Mitglied bei der KdStV-Palatia, der Katholischen deutschen Studentenverbindung in Marburg. Er war dort aufgestiegen und hatte es binnen vier Jahren zum „Senior“, zu einer Art Vorsitzenden gebracht.

Dennoch begannen ihm die Rituale im Verbindungshaus auf die Nerven zu fallen: die ewigen Männerrunden in holzgetäfelten Räumen; die älteren Bundesbrüder, die „alten Herren“, die betrunken in den Stühlen hingen und ihre Lieder grölten; die Neulinge, die „Füxe“, die man mit krachenden Schlägen auf die Schultern zum Bierholen schickte; die Hierarchien, die nicht hinterfragt werden durften; das konservative Weltbild, die Strenge; dass Frauen „Verbindungsmatratzen“ genannt wurden, wenn sie mit mehr als einem Mann zusammen gewesen waren.

Peters zählt solche Splitter auf, er tippt die Erinnerungen nur an – schon das scheint ihm lästig.

Er hat dann ein paar Versuche gemacht, seine Verbindung von innen zu verändern. Er ist bei den Marburger Jusos eingetreten, hat die Regeln im Verbindungshaus nicht mehr so streng befolgt, hat die „Füxe“ nicht mehr wie Leibeigene behandelt, fing zu diskutieren an mit seinen Bundesbrüdern. Aber in Verbindungskreisen bedeuten schon kleinste Abweichungen Verrat, Sozialdemokraten – besonders die Jusos – gelten schon als „Kommunisten“. Peters Verbindungsbrüder hörten nicht zu, sie hatten ihre Urteile bereits im Kopf, und „Revoluzzer“ war noch einer der freundlichen Ausdrücke, die ihm damals um die Ohren flogen.

Als Erstsemester war Peters in die Verbindung gerutscht. Nun hatte er an der Uni das Widersprechen gelernt. Er konnte nicht mehr aufhören damit. Im Frühjahr 1995 schrieb er einen Brief an seinen „Burschenkonvent“, an die Versammlung aller aktiven Mitglieder. Darin verkündete Peters seinen Austritt aus dem KdStV. Auch aus der Kirche ist er ausgetreten. „Damit war erst mal der Ofen aus“, sagt Peters. Eine harmlos klingende Umschreibung für das, was folgte. Für die Ausgrenzung, die ihn traf. Eine Studentenverbindung ist kein Fitnessclub, wo kündigen kann, wer keine Lust mehr hat. Peters wollte seinen eigenen Weg gehen. Die Gemeinschaft hat ihm das übel genommen.

„Plötzlich hat man 240 Kumpels weniger“, erklärt Peters. Er sitzt am Frühstückstisch und lacht, aber sein Gesicht lacht nicht mit. Seine Eltern wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sein Bruder spricht bis heute nicht mit ihm. Und welche Karrierechancen Peters sich mit seinem Austritt verbaut hat, ist schwer zu sagen. „Vom Gefühl her: einige.“ Eine Vermutung, er hat keine Beweise.

Studentenverbindungen sind einflussreiche Netzwerke. Das ist ihre Funktion: Ein Mitglied trägt das andere nach oben. Peters haben sie fallen lassen. Wenn er etwas veröffentlicht, schneien im Internet sofort böse Kommentare herein. Ein Verbindungsmitglied aus den USA, von dem er vorher nie gehört hatte, hat einen Verriss von Peters Doktorarbeit ins Internet gestellt. Vor einiger Zeit hat er einen Vortrag in Mannheim gehalten, über Eliten und studentische Korporationen. Im Publikum saßen 120 grinsende Verbindungsstudenten. 120! Neben ein paar Linken vom Asta. „Da läuft doch was falsch!“, ruft Peters jetzt.

Die Tradition im Rücken

Man muss solche Vorkommnisse nicht überbewerten. Peters versucht die Sache sportlich zu nehmen. Dabei guckt er wie einer, der einen Sumpf mit einem Löffel trocken legen muss.

Fünfzehn Jahre ist der Ausstieg jetzt her. Nach seinem Austritt hat er eine Frau gefunden und geheiratet, er ist zum Buddhismus übergetreten, hat begonnen, wilde abstrakte Ölbilder zu malen. Die vielen Abende ohne Verbindungstreffen mussten gefüllt werden. Peters engagierte sich im Asta, organisierte Veranstaltungen gegen rechte Burschenschaften, hat eine „sozialistisch ökologische Hochschulgruppe“ gegründet. Er ist in die SPD eingetreten, wieder ausgetreten, wieder eingetreten, nochmal ausgetreten. Er sagt Sätze wie diesen: „Die Linken haben genauso einen Schaden wie die Rechten.“ Und da kann man schon sehen, dass es Peters seit seinem Abschied aus der Verbindung schwerfällt, zurückzufinden in eine zusammenhängende, harmonische Welt.

Bei seinem Rhetorikkurs für die Passauer Studenten wirkt Peters ziemlich locker. Er macht ein paar Witze über Edmund Stoiber. Trotzdem fällt eine Bewegungslosigkeit im Oberkörper auf, die ihm wie ein Kleiderbügel zwischen den Schultern sitzt. Womöglich ein Rest hängen gebliebener Tradition, der sich nicht abschütteln lässt.

Tatsächlich lässt ihn die Vergangenheit ja nicht los. Er hat seine Doktorarbeit über die Sozialisation in studentischen Korporationen geschrieben. Er hat daraus ein Buch gemacht. Er war ins Fernsehen als Experte eingeladen, regelmäßig hält er Vorträge zum Thema. Er hat einen Krimi geschrieben, der im Verbindungsmilieu spielt.

Er kommt aus dem Schatten nicht weg. Vielleicht werfen Studentenverbindungen auch besonders lange Schatten.

Vor ein paar Jahren hat er nach einem Vortrag eine andere Frau kennen gelernt, eine Französin, die auch zum Thema Studentenverbindungen forscht. Er hat dieser Frau ein Jahr lang heimlich E-Mails geschickt. Inzwischen ist er von seiner ersten Frau geschieden und mit der Französin verheiratet. Sie leben in Straßburg. Im vergangenen Jahr ist Stephan Peters in die FDP eingetreten.