ARD-Tatort über Pädophilie: Volkes Zorn

Es geht um Pädophilie im Kölner "Tatort" - und ein gefährliches Gemisch aus Schweigen und Halbwahrheiten ("Verdammt": So., 20.15 Uhr, ARD)

Wer hat dem Kind die Holzlokomotive geschenkt? Bild: wdr/uwe stratmann

Die Jagd ist eröffnet. Ein pädophil veranlagter Häftling wurde aus dem Gefängnis entlassen, seinen Sexualtrieb hat er nach Meinung des Psychologen unter Kontrolle. Doch die Bürgerinitiative "Child Protection", die nach Vorbild von US-Organisationen die Wohnorte einstiger Täter öffentlich macht, hat seine Nachbarschaft schon mit Steckbriefen plakatiert. Der Hausmeister verpasst ihm eine Abreibung. Als er zu seinen Eltern flüchtet, verwehren die den Kontakt. Wenig später findet man ihn erschlagen in einem Müllcontainer.

Pädophilie und Volkszorn bilden ein Wortpaar. Das wurde unlängst schon bei einer Episode des Psychokrimis "Bloch" gezeigt, in der sich ein sexuell abnorm veranlagter, nicht aber straffällig gewordener Lehrer von einem Mob verfolgt sah. Bei "Bloch" wurde die Pädophilie quasi aus der Innenperspektive beleuchtet. Nun untersucht der WDR, der bei der Einmischung in gesellschaftliche Debatten gern unpopuläre Positionen einnimmt, beim Kölner "Tatort" unterschiedlichste Aspekte des Themas - das meist kaum andere Reaktionen hervorruft als Wegsperrforderungen oder forcierte Verdrängungsmaßnahmen.

Stellvertretend für den aufgewühlten Zuschauer geht hier Kommissar Schenk (Dietmar Bär) gegen echte und vermeintliche Kinderschänder vor. Auweia: Einmal nimmt er gar mit vorgehaltener Waffe den Babysitter seiner Enkelin in Gewahrsam, weil er ihn für einen Triebtäter hält. Enthysterisierung tut also not. Regisseurin Maris Pfeiffer und Autor Jürgen Werner gehen daher höchst didaktisch vor, bieten aber keine unredlich einfachen Lösungen an. So wie sich Gefühlsmensch Schenk nach und nach besonnener dem Thema nähern muss, wird auch der Zuschauer sukzessive an dessen schwierige psychosoziale Implikationen herangeführt.

Bei den Recherchen stoßen die Ermittler auf den zynischen Kinderpornohändler Krüger (Hans-Jochen Wagner), der für sich proklamiert, den Opfern jene Liebe zu geben, die ihnen sonst verweigert werde. Dann sind da Daniel Günter (Martin Kiefer), der als Kind im ermordeten Pädophilen einen Vaterersatz gefunden zu haben glaubte, und der Bruder des Toten (Matthias Koeberlin), dem seine Frau den Sohn vorenthält, weil sie bei ihm ähnliche Triebe vermutet.

Dieser "Tatort" erzählt von einem gefährlichen Gemisch aus Schweigen und Halbwahrheiten, aus gesellschaftlichen Defiziten und Mutmaßungen. Eine Stimmung, die noch geschürt wird, indem die Uneinigkeit der Wissenschaft thematisiert wird: Ist Pädophilie eine psychologische Konditionierung, oder ist sie gleichsam angeboren und also unheilbar? So wird "Verdammt" zum Debattenkrimi im besten Sinn des Wortes. Statt billiger Antworten: quälende Fragen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.