Tagung zum Geschichts-TV-Drama: Echtheit, aber Emo

Die "Gustloff" sinkt, und alle heulen mit? Dann bereitet das Fernsehen Geschichte als Event auf. Eine Medientagung in Tutzing zum Thema.

Auf dem Gustloff-Set: Kunstschnee für echte Tränen. Bild: dpa

Der Aufwand wird immer größer: Historische Stoffe werden als so genannte Event-Produktionen in den Markt gedrückt, der "Zuschauer" heißt. "Wetten, dass "- und Talkshow-Auftritte der Hauptdarsteller kurz vor der Ausstrahlung inklusive. Und wenn alles gut geht, dann macht, wie vor einiger Zeit zum "Wunder von Berlin" oder jüngst zum Untergang der "Wilhelm Gustloff", sogar Bild täglich eine Seite zum Film, für fast eine ganze Woche.

So kommt er zustande, der "Einschaltimpuls": Beim Untergang des Schiffes mit seinen über 10.000 Menschen an Bord waren rund 8 Millionen Menschen am Schirm mit dabei. Falls von diesen noch jemand Zweifel an der Authentizität des reichlich hölzernen Dramas hatte (schließlich wird dieser Begriff immer dehnbarer): Die anschließende Dokumentation, selbst mit Spielszenen aus dem Film aufgepeppt, verlieh der Fiktion zur Sicherheit noch einmal die offiziösen historischen Weihen und bestätigte ihr mit vielen Zeitzeugen-Aussagen, im Grunde doch real gewesen zu sein. Und dank des idiotensicheren Timings direkt im Anschluss verzeichnen auch solche heute bei Event-Formaten gleich mitgelieferten Dokus ebenfalls überdurchschnittlichen Zuschauerzuspruch.

Während im ZDF am Sonntag und Montag "Die Gustloff" unterging,diskutierte die Evangelische Akademie Tutzing bei ihren Medientagen. Thema: "Fernsehen macht Geschichte". Und man diskutierte dort zumindest im Ansatz die Tücken des A-Worts: "Authentizität war auch schon mal echter als heute", fasste der Konstanzer Historiker Rainer Wirtz das Dilemma zusammen: Im "einschlägigen Milieu zwischen Teamworx und Bavaria", den TV-Großproduzenten für TV-Großereignisse, würden dabei die Bezüge verschwimmen und die Filme ihre eigene Wahrheit konstitieren.

Daran sei nichts auszusetzen - doch etwas zu beachten, so Wirtz: Solche Interpretation von Geschichte, diese sehr subjektive narrative Authentizität, werde durch die Macht der Bilder überhöht. Der inszenierte Zug über das zugefrorene Haff im ARD-Zweiteiler "Die Flucht" von 2007 ist schon heute Bildikone und wird bei allen, die nicht eigene Erfahrungen dagegen aufzubieten haben - also dabei waren -, eine Art kollektive Erinnerung schaffen. Der die Produktion beratende Historiker am Set sei dann lediglich noch dazu da, die Filmemacher vor allzu groben Schnitzern zu bewahren.

Der Stoff selbst aber muss gefühlig sein. Geschichts-TV konkurriert zur Primetime mit Hochglanzserien made in Hollywood und Thrillern - und wird deshalb immer stärker nach deren Mustern erzählt. "Geschichte findet statt als sentimentaler Thriller", sagt in Tutzing WDR-Dramaturg Michael André. Und weil die Liebe stärker ist als alle Vernunft, ist gern noch eine Liebesgeschichte mit dabei. Etwa bei "Die Flucht". Am Abend erzählt Maria Furtwängler über den Dreh des ARD-Zweiteilers, in dem sie die Gräfin Lena spielte und mit Preisen überschüttet wurde. Die Geschichte ihrer Liebe zu einem französischen Zwangsarbeiter wurde darin nicht zu plakativ umgesetzt - aber sie wurde erzählt.

Nur: In den historischen Grundlagen gesichert sollte das Ganze sein. Dazu würde allerdings gehören, dass die anschließende Doku nicht nur Schützenhilfe leistet, sondern die in der Wissenschaft meist durchaus vorhandenen unterschiedlichen Standpunkte ehrlich benennt - und so dem in der fiktionalisierten Bearbeitung verdichteten Stoff etwas von seiner Komplexität zurückgibt. Das aber bleibt meist frommer Wunsch.

"Wirklich authentisch ist man erst dann, wenn man die Aktenlage verlässt", sagt Produzent Georg Feil, der an einem ZDF-Dreiteiler über die Industriellenfamilie Krupp arbeitet. "Ich muss einen Zugang haben, bei dem ich sage, so gehts, dann ist Wahrhaftigkeit erreicht. Doch die wechselt von Generation zu Generation." Die Bilder aber bleiben.

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