Sieg der Unschuld

GRAND PRIX Norwegen gewinnt den 54. Eurovision Song Contest. Die Moskauer Show war riesig, die Quoten hoch – und trotzdem müssen die Veranstalter sparen lernen

Abgestraft wurden alle Acts, die allzu professionell und siegesgewiss, ja, eine Spur zu selbstgefällig schienen

AUS MOSKAU JAN FEDDERSEN

Dass der Norweger Alexander Rybak gewann – so haushoch wie nur 1997 „Katrina & The Waves“ einen Eurovision Song Contest (ESC) – in der Nacht zum Sonntag beim 54. ESC in der Moskauer Olympiahalle, war nicht das einzige Wunder dieses Jahrgangs der größten Popshow der Welt: Abgestraft wurden alle Acts, die allzu professionell und siegesgewiss, ja, eine Spur zu selbstgefällig dem Publikum schienen. Rybak wie auch die Isländerin Yohanna (Platz 2), die Aserbaidschaner Aysel & Arash (Platz 3), die Britin Jade Ewen auf dem fünften und auch Patricia Kaas auf dem achten Platz hatten auratisch eine gewisse Fragilität verkörpert, ein Charisma von Selbstvertrauen und Charme, das vom Publikum goutiert wurde.

Alex Christensen, Kopf des deutschen Songs „Miss Kiss Kiss Bang“, zollte dem Sieger Respekt: „Ein Supertitel. Der Junge ist der Harry Potter der Popmusik, vielleicht haben wir den Beginn einer großen Karriere gesehen.“ Über das eigene Abschneiden sagte er nur lakonisch: „Wir haben alles gegeben – das Ergebnis ist ungeil. Das Rätsel, wie man zwölf Punkte bekommt, haben wir immer noch nicht gelöst.“

Das Mirakel könnte eben darin begründet sein: Man hat keine Chance, wenn man Sternchen oder Stars ins Rennen schickt, die an ihrer eigenen Professionalität zu ersticken scheinen – wobei das im Falle der Deutschen diesmal nicht galt. Christensen wie auch sein Sänger Oscar Loya waren in der Moskauer Proben- und Performancewoche nachgerade undeutsch am Werken. Unentwegt auf Partys, gut gelaunt, keine Spielverderberlaune, kein Klima des landesüblichen „Wenn wir nicht gewinnen, ist Osteuropa oder gleich ganz Europa doof“.

Oscar Loya sagte hinterher, dass er, völlig unabhängig vom Rang, eine wunderbare Zeit hatte, mehr noch: „It was the time of my life“.

Der Gewinner Alexander Rybak, gebürtiger Weißrusse, als Kind mit seinen Eltern nach Norwegen, einer bessere Zukunft wegen, ausgewandert, holte mit dem Folksong „Fairytale“ die beste Wertung in der ESC-Geschichte. Es ist sein persönliches Märchen: „Schon als Kind wusste ich, dass ich gern mal in die Fußstapfen der Bobbysocks treten möchte“. Die Bobbysocks gewannen 1985 den Contest für Norwegen. 20.000 Menschen sahen Rybak in der Moskauer Olympiska Halle zu und geschätzt 130 Millionen Zuschauer in Europa, Australien und Kanada. Rybak triumphierte so sehr wie kein Sieger zuvor. Er hatte am Ende 16 Zwölfpunktewertungen auf seinem Konto, im Durchschnitt schaffte er 9,6 Punkte.

Unter den ersten zehn Acts fanden sich sechs, die bis zum Fall des Eisernen Vorhangs auch schon zur Eurovision gehörten, vier kamen erst nach 1990 hinzu, die Mär von der osteuropäischen Dominanz dementiert. Es gab zwar, wie immer, deutliche Bevorzugungen von Nachbarländern, aber insgesamt einigte sich der Kontinent der Eurovision auf einen Reigen von fünf Liedern, die es irgendwie gemeinsam gut fand.

Deutschland war mit dem 20. Rang fünf Plätze besser als vor einem Jahr, als die „No Angels“ Letzte wurden. „Alex Swings Oscar Sings“ erhielten Punkte aus zwölf Ländern, doch jeweils nur im unteren Punktbereich.

Zumindest schauten viele beim Scheitern zu: Das Erste verbuchte am Sonnabend von 21.00 Uhr bis 0.16 Uhr 7,36 Millionen Zuschauer – das sind rund eine Million Menschen mehr als im vergangenen Jahr. Der Marktanteil lag insgesamt bei durchschnittlich 31,1 Prozent.

Die Show aus Moskau war die größte ihrer Art in der Eurovisionsgeschichte. Ruud Biermann, Mitglied des Generalsekretariats der European Broadcasting Union, sagte nach dem Ende der Show, man werde sich „runterdimmen müssen“, sonst würden die Kosten explodieren, und auch einem reichen Land wie Norwegen würde es nicht möglich, die Veranstaltung (Moskau: 33 Millionen Euro) zu finanzieren.