Hirne sind auch nur Menschen

KRIMI Alzheimer und Altersdemenz als Filmstoff der Stunde: „Marie Brand und das mörderische Vergessen“, 20.15 Uhr, ZDF

Wie soll man seriös recherchieren, wenn wichtige Zeugen versichern, sich nicht mehr erinnern zu können?

VON CHRISTIAN BUSS

Der Nebel des Vergessens hat sich bedrohlich über die deutsche Fernseh- und Filmlandschaft gelegt. Im ARD-„Tatort“ am letzten Sonntag stocherte der an temporärer Amnesie leidende Kommissar Batic wie ein Fremder in seinem eigenen Leben herum, nun folgen im ZDF mit den neuen Episoden der Ermittler „Marie Brand“ und „Stubbe“ gleich zwei Täterrätsel, in denen Alzheimer und Altersdemenz im Zentrum stehen.

Kriminalistisch werden die Fernsehpolizisten durch diesen schwierigen gerontologischen Themenkomplex vor besondere Herausforderungen gestellt: Wie soll man denn seriös recherchieren, wenn die wichtigsten Zeugen glaubhaft versichern, sich nicht mehr erinnern zu können?

In „Marie Brand und das mörderische Vergessen“ (Regie: Florian Kern; Buch: Wolfgang Stauch) hat die Chefermittlerin (Mariele Millowitsch) immerhin das Glück, dass die alte Dame, die sie als Zeugin befragt, jede Beobachtung in eine Art Chronik eingetragen hat. Da geht nichts verloren. Anders verhält es sich allerdings bei Brands Ehemann, der ständig unkonzentriert erscheint und ständig seine Sachen verlegt. Ist seine Vergesslichkeit etwa schon pathologisch?

Da trifft es sich ganz gut, dass die Kölner Kommissarin für ihren aktuellen Fall in einem Referenzzentrum für Demenzforschung ermittelt. Ein Neuropathologe ist beim Torso-Aufschneiden vergiftet über der zu untersuchenden Leiche zusammengebrochen. Beim Gespräch mit Klinikleiter Professor Jacobsen (Ulrich Noethen) geht es neben den Morduntersuchungen auch um die privaten Nöte der Kripobeamtin, die besorgt den Experten löchert: „Kann man schon von einer beginnenden Demenz sprechen, wenn man sein unabgewaschenes Geschirr in den Kühlschrank gestellt hat?“

Sicher, die „Marie Brand“-Reihe gehört nicht zu den allersmartesten Krimis des ZDF. Mariele Millowitsch beruft sich auch in dieser Folge viel zu oft darauf, dass sie da gerade so ein Gefühl hat, und der famose Hinnerk Schönemann („Dr. Psycho“) als Kripo-Sidekick darf hier leider nicht seine beängstigend burschikose Feinnervigkeit ausspielen. Trotzdem gelingt es, das Thema in ein paar Zwischenschritten in seiner ganzen Tragik aufzuzeigen – eine Qualität, die der am Samstag folgende „Stubbe“ (siehe auch nächster „Wochenendkrimi“) ebenfalls aufweist: Das Vergessen – hier wie dort wird es zum Sterben auf Raten.

Eine andere Herangehensweise ans Thema hat übrigens Leander Haußmann mit seiner nächste Woche startenden, gar nicht mal so üblen Kinoklamotte „Dinosaurier“ gewählt. Der Film erzählt von einem Trupp klappriger und schusseliger Rentner, die sich an einem Finanzmakler rächen wollen, der sie vorher über den Tisch gezogen hat. Selbst ein Demenzkranker kann es demnach noch locker mit den Schwundhirnen in den Banktürmen aufnehmen. Auch eine Art Weltsicht: Da wird das gerontologische Gimmick doch glatt zum antikapitalistischen Statement.