Zuckend in die Tonne

DOKU Die ARD strahlt eine Woche lang schwerpunktmäßig Sendungen zum Thema Essen aus. Es geht unter anderem um die Verschwendung von Lebensmitteln und Gentechnik

VON JOST MAURIN

„Der ist ja noch gut, der Kohlrabi“, sagt die Supermarktverkäuferin. Tatsächlich sieht die Knolle schön knackig aus, während die grünen Blätter darüber etwas verwelkt sind. „Aber wenn schon das Grüne ab ist, kauft den keiner mehr“, fährt die Frau fort und schmeißt das Gemüse weg. „Ist das Grüne dran“, erklärt die Verkäuferin, „machen sie’s ab.“ Schließlich essen die meisten Deutschen nur die Knolle.

Mehr als die Hälfte der produzierten Lebensmittel landen laut Welternährungsorganisation FAO im Müll: Jeder zweite Kopfsalat, jede zweite Kartoffel, jedes fünfte Brot – und das, obwohl etwa eine Milliarde Menschen weltweit hungern. Von diesem Wahnsinn erzählt Valentin Thurn in seinem 45-minütigen Dokumentarfilm „Frisch auf den Müll“, den die ARD am heutigen Mittwoch ab 23.30 Uhr ausstrahlt.

Die Sendung ist ein Vorbote der ARD-Themenwoche „Essen ist Leben“, die am Samstag beginnt. Während dieser Zeit werden sich die Fernseh- und Radioprogramme des Anstaltsverbundes in rund 700 Sendeterminen mit den Themen Ernährung und Hunger befassen – sogar in der Krimi-Reihe „Tatort“, in der es am Sonntag um einen Mord mit einer Überdosis Lebensmittelfarbstoff geht.

Wie verbrauchernah und dennoch politisch das Thema Essen ist, zeigt „Frisch auf den Müll“: Jedes Brötchen, das wir wegschmeißen, erhöht unnötig die Nachfrage nach Getreide und verteuert so Weltmarktpreise, die arme Menschen in Entwicklungsländern kaum zahlen können. „Unser Wegwerfen führt damit indirekt zu Hunger auf der Welt“, sagt der Agrarökonom Joachim von Braun in dem Dokumentarfilm.

Die Ursache sieht Regisseur Thurn vor allem im Überfluss in den reichen Ländern. Weil es so viel Gemüse gibt, sortieren die Verbraucher eben den eigentlich einwandfreien Kohlrabi aus, der wegen seiner welken Blätter etwas älter aussieht. Da die Konsumenten auch abends noch eine große Auswahl an Brot erwarten, backen die Bäckereien grundsätzlich 10 bis 20 Prozent über dem Bedarf – das schlucken dann Schweine, Biogasanlagen oder Öfen.

Thurn erzählt all das in lebhaften Bildern: Da werden zum Beispiel teils noch zuckende Fische auf einem Großmarkt in die Mülltonne gekippt. Solche Szenen überzeugen auf der Gefühlsebene. Weil er mit allen Leuten gesprochen hat, die etwas Relevantes zum Thema zu sagen haben, kann der Regisseur auch mit Argumenten überzeugen. Für die Doku „Hunger“ (Montag, 22.45 Uhr) gilt das nur eingeschränkt.

Zwar haben die Bilder dieses 90-Minuten-Stücks Kinoqualität. Wenn eine Haitianerin in einer schlammartigen, zähen Masse aus Erde, Butter und Salz rührt und daraus „Lehmkekse“ formt, löst das Beklommenheit aus. Trotzdem wird nicht klar, was genau die Autoren Marcus Vetter und Karin Steinberger mit „Hunger“ sagen wollten. Denn der Film ist oft zu schwierig zu verstehen.

So erzählen Fischer in Mauretanien, dass sie kaum noch etwas fangen. Dass die Europäische Union dafür verantwortlich ist, weil sie vor dem afrikanischen Land das Meer leerfischt, ist nur in der Beschreibung des Films, aber nicht in ihm selber enthalten. Im Kapitel aus Indien heißt es, dass gentechnisch verändertes Saatgut überflüssig sei, weil es schon traditionelle Pflanzen gebe, die gegen Dürre und Überflutung resistent sind. An einer späteren Stelle des Films erklärt ein Genforscher jedoch, dass die alten Sorten nur schlecht wachsen würden. Wer hat recht? Der Zuschauer bleibt ratlos zurück.

Dass es auch anders geht, zeigt die Episode aus Brasilien: Hier lässt der Film Sojafarmer und Politiker zu Wort kommen, die die Abholzung des Regenwaldes für die Landwirtschaft verteidigen. Doch gleich danach machen Umweltschützer und Kleinbauern deutlich: Das Sojabusiness verdrängt Bauern von ihrem Land. Dabei sind die meisten Hungernden eben solche Kleinbauern. Aber dieser überzeugende Teil macht leider nur ein Fünftel von „Hunger“ aus.