Auch der Messias verdient kein Geld im Netz

GUARDIAN Chefredakteur Alan Rusbridger hat mit seiner Onlinestrategie Erfolg – bei den Lesern

Eine Zukunft haben für Rusbridger vor allem Zeitungen mit einer sehr emotionalen Leserbindung

Alan Rusbridger, seit 15 Jahren Chefredakteur des britischen Guardian, muss der deutschen Onlinebranche wie der Messias persönlich erscheinen: 37 Millionen Leser erreicht guardian.co.uk monatlich. Die deutschen Marktführer Bild.de und Spiegel Online kommen auf gut ein Viertel davon.

Dementsprechend voll wurde es, als der 56-Jährige am Mittwochabend, gut zwei Monate vor Weihnachten, auf Einladung der Zeit nach Berlin kam, um mit deren Onlinechef Wolfgang Blau über die Zukunft des digitalen Journalismus zu diskutieren.

Rusbridgers frohe Botschaft: Die Möglichkeiten für guten Journalismus seien nie besser gewesen, Geschichten könnten schneller, umfangreicher und tiefgründiger erzählt werden als je zuvor. Seine Devise: „Lasst uns alles ausprobieren.“

Dafür gehört für ihn personalintensiver Datenjournalismus wie die Aufbereitung der Pentagon-Protokolle zum US-Einsatz in Afghanistan genauso wie intensive Lesereinbindung oder Live-Blogging via Twitter – ohne dabei das Printprodukt zu vernachlässigen, versteht sich.

Besonders Twitter werde beim Guardian genutzt, um sich ein Netzwerk aus Laienjournalisten aufzubauen. Sie motiviere weniger Geld als vielmehr das Versprechen weltweiter Aufmerksamkeit.

Deshalb halte er wenig von Bezahlinhalten auf der Guardian-Website: „Ich glaube, dass der Schlüssel zum Erfolg in einer möglichst hohen Leserzahl liegt. Durch Paywalls beraubt man sich aber mindestens 90 Prozent der potenziellen LeserInnen.“

Auch inhaltlich setzt Rusbridger ganz auf Offenheit: Objektivität sei ein im Journalismus schon viel zu lange gepflegter Mythos. Er spreche lieber von „Transparenz“. JournalistInnen sollten nicht nur ihre Quellen möglichst vollständig zugänglich machen, sondern auch Partei- und Verbandszugehörigkeiten offenlegen. Dank des ständigen Leserfeedbacks im Netz gebe es zudem keine Geschichten mehr, die mit ihrer Veröffentlichung abgeschlossen sind.

Trotz aller Fortschrittlichkeit hat das Onlineangebot des Guardian aber eines mit seinen deutschen Verwandten gemeinsam: Es schreibt noch lange keine schwarzen Zahlen. Der Guardian wird nur vom Scott Trust, einer Art privaten Stiftung, über Wasser gehalten. Als Geschäftsmodell funktionieren könnten in Zukunft laut Rusbridger vor allem Zeitungen, die als gemeinnützige Vereine organisiert seien und eine starke emotionale Bindung zu ihren Lesern besitzen, „so wie im Fußball der FC Barcelona“. JULIAN JOCHMARING