Wir haben Linien. Darauf bestehe ich

PUDER Im Fernsehen sollen Menschen nicht glänzen. Eine Maskenbildnerin sorgt dafür. Und denkt sich ihren Teil

VON FELIX DACHSEL

Sie dürfen nicht glänzen. Bei all dem Licht kann das schnell passieren. Wenn die Sendung beginnt, nur noch dreißig Sekunden, und ich sehe, wie sich ein Scheinwerfer auf der Stirn unserer Moderatorin spiegelt, dann überlege ich, während der Aufnahmeleiter den Countdown zählt, noch 15 Sekunden, ob ich zu ihr renne, durchs Studio, um nachzupudern. Ich tue das gelegentlich. Und wenn die Kamera angeht? Wenn ich zu langsam bin? Einmal ist mir das passiert. Dann sehen mich meine Freunde im Fernsehen.

Wenn Publikum im Studium ist, dann gehört es zur Show. Während die Maz läuft, und ich zum Moderator renne, um ihn zu pudern, dann genießt er es. Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen? Das ist meine Maskenbildnerin! Applaus. Ich will nicht auf die Bühne, ich bleibe hinter der Kamera.

Ich lasse ein Doppelkinn verschwinden mit dunklem Puder. Ich betone Wangen mit hellem. Ich kenne die Makel. Früher, beim Film, war die Arbeit anders: Ich las viel über die Rollen, um zu wissen, wie ich schminken sollte. Beim Fernsehen muss ich erreichen, dass sich die Menschen gut fühlen und sie selbst sind.

Es gab einen Moderator, ich mochte ihn, ein stiller Mensch, er kommt nicht mehr zu uns. Ich frage mich, warum. Eigentlich wissen wir, was im Haus passiert. Alle schweigen, wenn es um ihn geht oder lenken ab. Immer seltener geht es um ihn. Ich will nicht fragen, ich weiß nicht, wo ich fragen sollte. Im Vierten? Gleich im Neunten? Wir stellen keine Fragen. Wir hören zu.

Sie dürfen nicht glänzen. Das sieht speckig aus und schwitzig. Sie sollen nicht auffallen. Das ist der beste Fall: Der Zuschauer lässt sein Auge über den Moderator wandern, guten Abend, meine Damen und Herren, nichts stört, nichts fällt auf. Dann kann er zuhören. Er hört nicht zu, wenn ihm etwas auffällt. Das heißt: Ich habe meine Arbeit gut gemacht, wenn niemand sieht, dass ich meine Arbeit gemacht habe. So könnte man es sagen.

Meine Arbeit beginnt, bevor die Scheinwerfer angehen, in drei Räumen von jeweils gut zwanzig Quadratmetern. Oder sind es fünfzehn? Die Ruhe, bevor die Kameras angehen. Ich stelle Pflanzen auf. Ich halte die Räume sauber. Sie fühlen sich wohl, denke ich. Wir haben so etwas wie Schweigepflicht.

Es gibt Moden: viel Lippenstift, wenig Lippenstift. Und es gibt die Wünsche der Moderatorinnen. Wir sind kein Modejournal. Wir haben Linien, Kontinuität. Darauf bestehe ich.

Der Moderator der Kultursendung will keine Prinzessin sein, sagt er. Mach weniger, sagt er. Das ist zu viel.

Spiegel sauber? Glänzt er?

Ich gehe durch die Gänge morgens, der Pförtner nickt. Es beginnt, zu schneien draußen, ich nehme Schneeflocken auf meinem Mantel mit, hänge ihn hinter die Tür. Ich mache das Licht an. Ich blicke in den Spiegel; weniger um mich anzusehen, als um sicherzustellen, dass er sauber ist und glänzt. Der Föhn, Mascara, Lippenstifte, Rouge. Ein Glätteisen. Haargel. Ich warte. Ich mache Kaffee. Ich ordne die Dinge. Die Haut reinigen. Ein feuchtes Tuch. Thermalwasser. Ich mache Menschen schön.

Manche schlafen, während wir sie schminken. Manche sprechen über den Tod ihres Kindes, eine Scheidung. Manche schweigen. Die Maske, ein intimer Ort. Wir wissen viel. Wir tratschen nicht. Wir erzählen nicht von unseren Problemen, das ist nicht unsere Aufgabe, wir hören zu. Manche Männer bleiben nur fünf Minuten, die Frauen eine Stunde. Manche Männer wollen brauner sein. Wir sollen sie brauner schminken? Seltsam.

Wenn Schauspieler im Haus sind, zu Gast in einer Sendung, und in die Maske kommen, dann lassen sie ihren Blick über unser Make-up wandern: Was haben Sie für Puder hier? Profis sind oft schwierig. Wenn Unerfahrene im Haus sind und kleinkarierte Hemden tragen oder einen Pullover mit dünnen Streifen, dann wissen sie noch nicht, dass es flimmern wird. Es darf nicht flimmern. Wir sind vorbereitet.

Es gibt wenige, die nicht in die Maske wollen, bevor sie ins Studio gehen. Wir überreden nicht. Wenn sie bleich aussehen und müde vor der Kamera, dann ist es ihre Wahl. Wir beruhigen, wenn jemand in Hektik ist und zu uns kommt, Moderationen schreibt, während wir schminken, gerade dann, wenn es Grund zur Hektik gibt. Sie schaffen das. Sie können das. Wir sagen diese Sätze nicht. Wir strahlen sie aus.

Der Moderator, der nicht mehr zu uns kommt, wir wissen nicht, wieso, hat ein blaues Hemd vergessen bei uns, er hatte Kaffee verschüttet, als er in der Maske saß. Ich habe das Hemd gewaschen und gebügelt. Es hängt neben meinem Mantel, an der Tür. Ob er noch in der Stadt wohnt? Ob er wieder kommt? Ist er beurlaubt? Ich sollte in den Neunten gehen und fragen. Wenn ich schlecht gelaunt war, dann sah er das und fragte nach meinem Befinden, obwohl wir versuchen, zu lächeln, egal wie schlecht es uns geht. Auch Moderatoren lächeln, die meisten erst, wenn sie vor der Kamera stehen.

Ich hatte bei einer Sendung, zehn Jahre ist das her, geschminkt. Eine Aufzeichnung im Freien. Die Moderatoren turnten und spielten, warum auch immer: eine Unterhaltungsshow. Dann kam plötzlich der große Regen. Jemand warf den Moderatoren Handtücher zu, sie wischten sich über ihre Gesichter. Die Schminke war weg, alles. Wir brachen die Aufzeichnung ab.

Matte Stirn, tote Fläche

Was kommt? HD. Sie nennen es: die größte Revolution seit Einführung des Farbfernsehens. Vor zwei Jahren habe ich das erste Mal davon gehört. Tatsächlich: Wenn sich eine Strähne aus den Haaren löst, oder eine Wimper am Nasenflügel klebt, dann wird es der Zuschauer sehen. High Definition. Viel wird sich ändern. Zwei Jahre noch. Es gibt neue Produkte, einen neuen Markt: perfekte Mikrofeinheit, grenzenlose Verteilbarkeit, kontrollierte Reflexion. Wir schminken uns gegenseitig zum Üben, wir sehen das Ergebnis auf einem Kontrollmonitor. Ich bin alt geworden.

Wenn ich zu Hause sitze und unseren Sender gucke, dann sehe ich, wie meine Kolleginnen gearbeitet haben, ich sehe den Schminkansatz am Hals der Moderatorin, dann rolle ich den Dienstplan aus und sehe nach. Wer arbeitet? Machmal rufe ich an: Interessant, wie du geschminkt hast heute. Ich versuche, freundlich zu bleiben.

Ich versuche, Fernsehen zu schauen ohne professionellen Blick: Die strenge Sprecherin hat Gloss auf den Lippen, weshalb? Die Stirn ist matt gepudert, tote Fläche. Es gelingt mir nicht.

Welche Fehler mache ich? Es gab das eine Mal. Ich hatte vergessen den Studiogast am Hals zu pudern. Ein kleine Stelle, groß genug. Die Sendung begann, er drehte sein Kopf. Er wurde rot, bekam hektische Flecken, weil er aufgeregt war. Jeder sah, wie er rot wurde am Hals, weil ich vergessen hatte, zu pudern. Ich versank. Warum wechselt die Regie nicht das Bild? Wir vergessen mitunter, Hände zu schminken. Der Studiogast gestikuliert. Nimm die Hand herunter, nimm sie doch bitte herunter. Ich stehe in der Maske und schaue Fernsehen. Meine Knie sind weich.

Ich gehe durch die Gänge abends, der Pförtner nickt. Ich ziehe meinen Mantel an, vergrabe meine Hände in den Taschen. Ich habe einen guten Beruf.

Der Autor sprach mit der Maskenbildnerin eines ARD-Senders und entwickelte danach dieses fiktive Gedankenprotokoll