Humor ist ein schwieriges Thema

UNTERHALTUNG Die „heute-show“ im ZDF ist ein Riesenerfolg: Die Macher der Politsatire sagen, sie politisiere bildungsferne Milieus. Ihre Kritiker werfen ihr vor, sie verstärke die grassierende Politikerverachtung. Und die große Frage lautet: Ist Aufklärungsfernsehen überhaupt möglich?

■ Die Show: In diesem Jahr feiert die „heute-show“ ihren fünften Geburtstag. Im Mai 2009 ist die Politsatire im ZDF mit dem Anspruch angetreten, „herausragend hohle Politikerphrasen fachgerecht und unterhaltsam“ auseinanderzunehmen. „Wir wollen unterhalten. Aber das Ganze hat einen ernsthaften Hintergrund“, sagte Moderator Oliver Welke damals. Man suche nicht nur nach Verhasplern, Versprechern oder Verkehrsministern, die in Afghanistan über einen Stein stolpern.

■ Die Stars: Im Laufe der Jahre sind nicht nur die Quoten der Sendung kontinuierlich gewachsen; Figuren wie Gernot Hassknecht, dargestellt von Hans-Joachim Heist, entwickelten aus der „heute-show“ heraus eigene Humorkarrieren. Heist tritt mit seiner Show „Das Hassknecht Prinzip – in zwölf Schritten zum Choleriker“ auf und betreibt unterm Dach des ZDF die Seite hassbook.de.

AUS KÖLN PETER UNFRIED

Also, sagt Moderator Oliver Welke beim Warm-up in Studio 3: „Sie lachen, wenn Sie das Gefühl haben, das könnte als Witz gemeint gewesen sein.“ Das Publikum lacht. „Und natürlich, wenn ich FDP sage.“ Das Publikum johlt.

Es ist Freitag, 17.59 Uhr, in Köln-Mühlheim: Die „heute-show“ kann beginnen.

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Die „heute-show“ ist eine Lachsendung des ZDF, die sich im Gewand einer Nachrichtensendung aktuellen politischen Themen widmet. Welke spielt den „Anchorman“, also den Wickert oder Kleber. Es ist eine echte Erfolgsgeschichte. Die Quote ist sehr gut. Das Ansehen im erweiterten Bildungsbürgertum ist erstaunlich ordentlich. Offenbar hat man den Eindruck: Man lacht im Großen und Ganzen nicht unter seinem Niveau.

Anders als bei der Comedy, von der man sich – neben berechtigter Kritik daran – auch billig abgrenzt, indem man sie Menschen mit schlechtem Geschmack zuteilt.

Was bedeutet, dass in der „heute-show“ ein Bedürfnis befriedigt wird, das man für satisfaktionsfähig hält. Aber welches? Darüber gehen die Meinungen auseinander.

Eine Autorin der Wochenzeitung Zeit behauptet: „Die ‚heute-show‘ macht die echte Politikberichterstattung besser.“ Die Kritiker sagen: Das Bedürfnis, das befriedigt wird, ist Politikerverachtung.

Bundesratspräsident Norbert Lammert von der CDU nannte die „heute-show“ exemplarisch für die „grausame Dominanz der Unterhaltung über die Information“. Der Tübinger Medienprofessor Bernhard Pörksen lobte die Sendung als „subversiv“, sieht sie aber auch als „Symptom einer allgemeinen Entpolitisierung und Diskursverweigerung“.

Der Publizist und ehemalige Herausgeber der FAZ, Hugo Müller-Vogg, geht noch weiter und behauptet die „heute-show“ fördere Politikverdruss. Welke kämpfe nicht für eine gerechtere und sozialere Welt (wie er selbst mit seiner Bild-Kolumne?), sondern stelle um der schnöden Quote willen die Politiker als „Deppen der Nation“ hin. Vorwurf: Demokratiezersetzung.

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Nach der Aufzeichnung der Sendung steht Moderator Oliver Welke in einer Art Barraum und trinkt ein Bier mit dem Produzenten und dem Team. Er trägt neuerdings Brille. Haartransplantationen lehnt er ab. Ansonsten hat er etwas Jungenhaftes und Unprätentiöses.

Er und das Team haben von Montag früh bis Freitagabend an den 30 Minuten Fernsehen gearbeitet. Das machen sie 33 Wochen im Jahr. Jetzt ist es kurz vor 19 Uhr: Wochenende und Das-haben-wir-wieder-gut-gemacht-Stimmung.

Später sitzt Welke in seiner Garderobe. Ist noch etwas blass geschminkt, wirkt aber weder ermattet, weil der ganze Stress vorbei ist, noch auf Adrenalin. Er erzählt, dass er superglücklich ist mit allem. Er ist 47 und kommt aus einem Kaff in Ostwestfalen. Leichter sprachlicher Regio-Einschlag. Er sagt „Spass“, wenn er Spaß meint.

Welke begann als Journalist, machte Ende der 80er bei Radio ffn Comedy mit dem späteren Mattscheiben-Comedian Oliver Kalkofe, wurde Mitte der 90er Fußballmoderator bei Sat.1 und tauchte dann jahrelang in verschiedenen Privatsender-Comedyformaten auf.

Heute ist er das Gesicht zweier ZDF-Prunkstücke. Bei den Champions-League-Übertragungen ist er Hauptmoderator. Und die „heute-show“ hat er mit dem Produzenten Georg Hirschberg und dem ZDF-Comedybeauftragten Stephan Denzer sogar entwickelt, hat das Team zusammengestellt, die Nachrichtenredakteure und Gagschreiber ausgesucht, die Schauspieler gecastet, die als Nachrichtenfiguren „Tina Hausten“ oder „Gernot Hassknecht“ inzwischen Promistatus haben. Alles läuft gut, und „wir sind jetzt so verschworen als Gemeinschaft, dass ich jetzt schon genau weiß, dass ich nach dem Ende dieser Sendung in ein Loch fallen werde“, sagt Welke.

Das ZDF auf dem Weg in ganz neue Galaxien

Noch ist kein Ende abzusehen. 2009 fing man an und steigerte die Wahrnehmung kontinuierlich. 2013 hatte man einen Zuschauerschnitt von 2,7 Millionen, was für 22.30 Uhr sehr gut ist. Zuletzt lag man sogar bei 3,4 Millionen. Nicht zu vergessen: Die „heute-show“ verknüpft den Geriatrie-Sender ZDF mit unbekannten Alters- und Mediennutzungsgalaxien. Eine Sendung hat schon mal knapp 150.000 Digital-Abrufe, das ist zwar weit hinter Formaten wie „Bachelor“, „Superstar“ oder „Topmodel“, aber im ZDF einsame Spitze. Die Sendung ist gut und modern produziert. Es passiert was für das Auge, es kracht, alles geht zack, zack und kann digital auch in einzelne Clips unterteilt werden.

Und dann die ganzen Fernsehpreise. Produzent Hirschberg führt sie im Konferenzraum vor. Ein Grimme-Preis, der jährliche Dingsbumshumorpreis und besonders schön: ein selbst verliehenes Goldenes Mainzelmännchen mit der Aufschrift „50 Jahre ZDF Platz 1: ‚heute-show‘ “.

Hirschberg ist im Grunde der Unternehmer, der das Produkt herstellt und an das ZDF verkauft. Auch ein unprätentiöser Mann in unprätentiösem Jackett, dessen Größe sich nicht in Zentimetern manifestiert.

Also: Was ist der aufklärerische Ansatz der Sendung?

„Ganz schwere Frage“, sagt er lächelnd. „Wir verstehen uns als kluge Unterhaltungssendung.“

Und der gesellschaftliche Bildungsauftrag?

„Wir tragen zu einer Popularisierung von Politik bei der jüngeren Zuseherschaft bei“, sagt er. Bei Leuten, die für Politmagazine und überregionale Tageszeitungen kein Interesse haben. Das sind die meisten.

So ähnlich kontert auch Welke den Vorwurf, dass die „heute-show“ das Land vollends in die Entpolitisierung treibe.

„Das sehe ich genau anders. Die Chance einer Sendung, die Politik völlig anders erzählt, ist, Leuten klarzumachen, warum eine bestimmte Politik auch für ihr Leben relevant ist.“ Er nennt das unsexy Thema EU und Genmais, bei dem er gerade die Position der Union – eine Enthaltung, die eine Zustimmung ist – erklärt und kritisiert hatte.

Stimmt. Aber Tenor der Sendung war: Politikern geht es erstens nur um eigene Interessen. Zweitens sind sie Dilettanten und drittens Lakaien von finsteren Konzernen, die alles bestimmen. Und wer muss alles ausbaden? Wir.

Brüderle wird zum „heute-show“-Opa. Schlimm?

In der Zeit kam es rüber, als bestimme der Gag die Haltung. Nein, sagt Welke: „Die Haltung ist der Ausgangspunkt, aber eine bestimmte Gagdichte muss schon sein.“ Den Montag verbringen sie im Konferenzraum mit dem Goldenen Mainzelmännchen damit, Themen zu finden, zu verstehen und ihr Potenzial zu erschließen.

Running Gag der vergangenen Jahre war, dass man den damaligen FDP-Spitzenpolitiker Rainer Brüderle des Nuschelns überführte. Weshalb man ihn konsequent untertitelte. Das war ziemlich lustig, doch nicht politisch. „Nein“, sagt Welke. „Aber wir haben auch immer gesagt: Wer glaubt, das wäre ein weinseliger, lustiger Luschenopa, der macht einen Riesendenkfehler“. Brüderle gehört zu den wenigen Politikern, die Welke in der Sendung interviewt hat.

Ein aufschlussreicher Auftritt. Brüderle lacht brav mit. Er sondert eine paar FDP-Floskeln ab. „Hauptsache, drin“, sagt er über seine Beziehung zu der Sendung.

Welke sagt, er habe „böse und kritisch“ gefragt, aber man kann auch sagen: Er hatte vollauf zu tun, die Gagdichte hochzuhalten. Ergebnis der Dauerbeschäftigung: Brüderle wurde bei jüngeren Wählern, die ihn vorher nicht kannten, populär. Als „heute-show“-Opa, aber immerhin.

Irrsinn? Das ist beim Talkshow-Inventar aber genauso.

Und schon der selige Rudi Carrell machte in seiner „Tagesshow“ den CDU-Politiker Norbert Blüm richtig bekannt, indem er ihn als netten Trottel darstellte. Selbst bei der bissigsten Satire ist es nicht anders. Man denke an Helmut Kohl. Jahrzehntelange Entlarvung konnte ihm nicht das Geringste anhaben.

Künftig will Welke weniger Personalisierung und mehr Themen. Zum einen habe Merkel „immer mehr Aktenfresser“ im Kabinett, zum anderen will er sich intensiver mit konkreter Politik auseinandersetzen. „Militarisierung der Außenpolitik, Genmais, das ist die Herausforderung“, sagt er. Und zwar offenbar unironisch.

Generell wird er aber nicht von der Sorge nachts wach gehalten, dass die Gesellschaft immer apolitischer wird. Er hat die Sendung ja auch nicht deshalb konzipiert. Oder um das Gute durchzusetzen, also die SPD oder das Linksliberale, wie das klassische Kabarett. Es ist andersherum: Die „heute-show“ hat ihn politisiert. Er setzt sich vertiefter mit Politik auseinander. Manchmal ist er jetzt wirklich empört.

Was ihn besorgt: messbar schlechtere Aufstiegschancen im Vergleich zu seiner Jugend. „Wenn die Leute das Gefühl haben, es ist eh wurscht, ob ich mich solidarisch in das Gemeinwesen einbringe oder nicht, dann bröckelt das. Davor habe auch ich Angst.“

Wenn ihm dann wieder einer vorwirft, dass er mit der „heute-show“ die „Verhältnisse“ nicht ändert, dann ruft er: „Was erwartet ihr denn von einem 30-minütigen Format einmal die Woche? Sollen wir mit Fackeln nach Berlin ziehen?“

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Humor im Fernsehen ist ein schwieriges Thema, so schwierig wie Humor in der Gesellschaft. Manchmal hat man das Gefühl, dass Humor der einzige Wert ist, den die Grünen den Deutschen nicht anerziehen wollen. Dabei wäre das so bitter nötig, wie man an ihnen selbst sieht. Humor und vor allem Selbstironie ist eine Grundvoraussetzung für Menschlichkeit. Und eine Form, mit der man Inhalte besser transportieren kann. Sie ist dem Humorfreien in jeder Hinsicht vorzuziehen und überlegen. Humor ist eine subversive Bedrohung für alle, die nicht dazu neigen, und genau deshalb wird er von Humor-Unfähigen rituell als etwas Minderwertiges denunziert. Darüber „will ich nicht lachen“, schreibt Publizist Müller-Vogg grimmig. Humor ist für ihn eine Willensentscheidung.

Lachen? Besser gar nicht erst in die Gefahr kommen.

2013 hatte man einen Zuschauerschnitt von 2,7 Millionen, was für 22.30 Uhr sehr gut ist

Das ZDF war seit der Vertreibung des Kabarettisten Dieter Hildebrandt im Jahre 1979 fast drei Jahrzehnte komplett gesäubert von politischer Satire. Das änderte sich erst, als das ZDF den Comedybeauftragten Stephan Denzer holte. 2007 startete mit „Neues aus der Anstalt“ tatsächlich wieder ein Satireformat, in dem diverse Künstler nach dem Tür-auf-Tür zu-Prinzip an den Bühnenrand latschten und dort weitgehend Old-School-Kabarett machten. Gastgeber waren Urban Priol und zunächst Georg Schramm, später Frank-Markus Barwasser. Das lief ganz ordentlich. Im Seniorenstift.

Dadurch wagte man dann 2009 die „heute-show“, die im Grunde nur die Adaption von Jon Stewarts „Daily Show“ auf dem US-Sender Comedy Central ist. Es ist bezeichnend für die Dynamik des klassischen Fernsehens in Deutschland, dass dieses Format jahrelang für diverse Sender konzipiert worden war und man den ersten Piloten bereits vor einem Jahrzehnt produzierte.

Die „heute-show“ war jedenfalls für das ZDF ein echter Lucky Punch, so nennt das ein Eingeweihter, also der Verzweiflungsschlag eines taumelnden Boxers, der den großen Sieg bringt. Obwohl die Sendung von Hirschbergs Prime Productions praktisch schlüsselfertig übergeben wird, hat das in Mainz echte Selbstbegeisterung ausgelöst. Wie locker man geworden ist. Toll. Und dass man sogar über sich selbst lachen kann, wenn Martina Hill als „Tina Hausten“ die real existierende ZDF-Politikjournalistin Bettina Schausten imitiert. Oder wenn Welke „50 Jahre kackdreisten Parteieneinfluss im ZDF“ feiert. Na ja, das gab Augenbrauen und war wohl der Selbstironie doch etwas zu viel.

Jedenfalls hat man die „Anstalt“ sogar verjüngt, hat eine satirische Talkshow mit Frank-Markus Barwasser („Pelzig hält sich“), plant mit dem einstigen Anstaltsleiter Urban Priol ein neues Format und will gar mit zwei jungen Comedians eine fünfte Sendung wagen. Das ist eine Minientwicklung, für das ZDF aber eine Mondlandung.

Die ARD kriegt weiter wenig hin. Statt eine Satiresendung des Weltklassemanns Olli Dittrich als Geschenk des Himmels anzunehmen, beratschlagte man beim NDR jahrelang. Am Ende lief „Frühstücksfernsehen“ ein Mal im Ersten. Unter dem Arbeitstitel „TV-Zyklus“ will der WDR nun acht weitere Teile drehen. Ansonsten gibt es seit 2009 ein Nachfolgeformat von Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“. Es heißt „Satire Gipfel“, aber das ist wohl ironisch zu verstehen.

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Während der Aufzeichnung im Studio 3 beendet Welke mit dem Kollegen Christian Ehring irgendwann auch eine Folge der Rubrik „Aktenzeichen XY eingedöst“, in der sogenannten Blue Box, vor virtuellem XY-Studiohintergrund. Er geht gerade zurück zu seinem Moderatorentisch und will weitermachen, da sagt eine Stimme aus dem Off im Rudi-Carrell-Sound: „Olli, die letzten Schritte musst du noch mal machen.“

Welke setzt seine bewährte Hauptmimik ein, das Augenbrauenrunzeln mit seitlicher Kopfstellung. „Bitte?“, sagt er. „Ich verstehe kein Wort“. Der Regisseur sei Holländer.

Großer Lacher.

Der Regisseur sagt noch mal was. Man versteht jedes Wort. Welke geht noch mal zum Schreibtisch. Das Publikum klatscht noch mal, damit der Übergang stimmt.

Es gibt nur zwei solche Unterbrechungen. Nach 40 Minuten ist die Aufzeichnung vorbei und Welke holt sich sein Bier.

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Wenn es nun in Deutschland politiktheoretisch und praktisch einen Bedarf für richtig beißende Politiksatire und wirklich kritische Politikberichterstattung im Medium Fernsehen gibt, so stellt ihm sich folgende Problematik in den Weg: Die öffentlich-rechtlichen Sender machen Politik. Weil sie es laut Vertrag müssen. Sie sind aber wirtschaftlich von der Politik abhängig.

Die Privatsender hängen nicht von der Politik ab, sondern von Werbung. Aber sie wollen keine Politik. Nicht mal Witze darüber. Außerdem weiß doch kein Privatfernsehkunde, sagen sie, „wer Pofalla ist“. Wer also Politiksatire machen will, muss zu ARD und ZDF gehen – darf aber auf keinen Fall zu „politisch“ sein.

Es ist leider richtig, dass wir Medien den Wahlkampf 2013 noch inhaltsfreier berichtet haben, als ihn die Parteien eh schon führten. Aber würde Bundestagspräsident Lammert es mit seiner Klage über die Oberflächlichkeit des Fernsehens ernst meinen, dürfte er nicht darüber lammertieren, dass die Medien nicht 24 Stunden am Tag Parlamentsdebatten übertragen. Er müsste auf knallhart kritische Politikberichterstattung und knallharte Politsatire drängen, die ihn und seine Kollegen richtig rannimmt.

Und die „heute-show“ loben, weil sie schafft, was die Bundeszentrale für politische Bildung nicht hinkriegt: sogenannte bildungsferne Schichten erreichen. Die Leute, die „heute-show“ schauen statt Mann-Frau-Klischee-Comedy. Die 30-Jährigen, die sagen: Das ist ja wohl das Geilste hier mit Politik und so. Und denen man das nicht übelnehmen kann, denn woher sollten sie wissen, dass das Allergeilste vor zwei Jahrzehnten auslief: Friedrich Küppersbuschs Politmagazine „ZAK“ und später „Privatfernsehen“ in der ARD.

Küppersbusch ist seit vielen Jahren Geschäftsführer der Fernsehproduktionsgesellschaft probono. Vor der Bundestagswahl kehrten er, seine berüchtigten Wortspiele und seine eindeutig linksliberale Haltung in dem 15-Minüter „Tageschaum“ im WDR für ein paar Wochen zurück.

Für ihn ist eine Königsdisziplin des politischen Fernsehens das Interview. Keine Talkshow-„Stuhlkreise“, wie er das nennt, in denen Politikern letztlich nichts passieren kann, sondern eins gegen eins. Mit diesem Interviewformat und einer ntv-Sendung hat er als Produzent das journalistische Renommee von Sandra Maischberger begründet. Auf so ein Interview läuft Stewarts „Daily Show“ zu. Das fehlt ihm an der „heute-show“ – und generell.

Küppersbusch hat einen Punkt. Wenn man sich überlegt, an welche Momente des politischen Journalismus man sich erinnert, dann sind das One-on-One-Interviews. Slomka – Gabriel (nach der Wahl). Kleber – Seehofer (der Röttgen abschießt), Slomka – Cohn-Bendit (zum Libyen-Einsatz). Das ist politisches Fernsehen.

Aber das Konsensbedürfnis ist so groß, dass Marietta Slomka ausgerechnet dann attackiert wird, wenn sie ihre Arbeit macht. Und über Markus Lanz kann man viel sagen, aber dass 230.000 Leute ihn ausgerechnet für ein insistierendes 30-Minuten-Interview über Sahra Wagenknechts EU-Positionen abgesetzt sehen wollen? Es war Lanz, und trotzdem hochspannendes Inhaltsfernsehen. Von Uli Deppendorf, dem Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, hat man das leider noch nicht gesehen.

„Der Krieg beginnt, wenn du ein Interview machst, das den Brüderle nicht in der Clownsnase zeigt, sondern ihn in eine politische Konfrontation bringst, in der er etwas zu verlieren hat“, sagt Küppersbusch. Deshalb bevorzugten Politiker Stuhlkreise. Küppersbuschs These: Sie würden ein One-on-One verweigern. Und genau deshalb sollte Lammert – der sich ja bei Lanz selbst einmal ein One-on-One ausbat – sich öffentlich dafür aussprechen, so ein Format einführen. Damit Küppersbuschs These vielleicht doch falsifiziert werden kann.

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Für den Mainzer Rechtsphilosophen Uwe Volkmann herrscht in der deutschen Gesellschaft mehrheitlich ein Gefühl der Abneigung gegen Parteipolitik und gleichzeitig enorme Staatsgläubigkeit. Der Staat soll alles machen, aber man möchte mit den politischen Prozessen nicht behelligt werden, es soll keinen Streit geben, sondern Konsens. „Politik als Idyll“ heißt sein wegweisender Aufsatz. „Es dominiert eine „unpolitische Lebenshaltung“, sagt er am Telefon. „Die ‚heute-show‘ bedient diese unpolitische Lebenshaltung.“

Während die USA politisch immer konfliktorientiert waren, war Deutschland nach 1945 in der Regel konsensorientiert. Die Frage ist, ob beide ihr Prinzip nun nicht übertreiben. „Politik heißt, dass man wählen kann zwischen Gegensätzen“, sagt Volkmann. Wie es in früheren Zeiten (Brandt vs. Barzel, Kohl vs. Schröder/Fischer) auch der Fall war. Das ist vorbei.

Die Koalition der Volkspartei, Union, und der zweitgrößten Partei, SPD, ist die konsequente Folge der deutschen Befindlichkeit. Fast alle sind einbezogen, die Grünen über den Bundesrat auch, es werden breite Einigungen gesucht und also schwache Entscheidungen getroffen. Echte Zukunftsentscheidungen, und damit Gegenwartsverlierer, werden tunlichst vermieden – zumindest unter jenen, die wählen gehen.

Dahinter steckt die Sehnsucht nach unpolitischer Politik („Yes, we can“, Piraten) und ein Desinteresse an echter Politik, also Parlamentarismus mit seinen unausweichlichen Prozessen. Weil die Parteien das Bedürfnis sehr ernst nehmen und ihre Politik auf symbolische Ersatzhandlungen reduzieren, kann sich der Bürger getrost abwenden: Er verpasst nichts oder nichts Entscheidendes. Wer gegen das unausgesprochene Arrangement zwischen beiden Seiten auch nur ansatzweise verstößt, kriegt einen Veggie-Day-Schwinger an den Latz. Dann rast der Wutbürger.

Und daran ist jetzt die „heute-show“ schuld?

DIETER HILDEBRANDT, KABARETTIST, 2007

Die Welt ändert sich jeden Tag, ganz ohne das Zutun von Kabarettisten

BRUNO JONAS, KABARETTIST, 2012

Die Grünen haben keinen Humor, die nehmen Politik zu ernst

RUDI CARRELL, SHOWMASTER, 1987

Der Kanzler hat Wichtigeres zu tun, als „Rudis Tagesshow“ zu sehen

HELMUT KOHLS PRESSESPRECHER, 1987

Ich glaube, es ist schon so, dass sich ein gewisser Artikulationsstil totgelaufen hat, diese kämpferische Stellung gegenüber der Politik. Auf die Politikverdrossenheit folgte eine Politikkritikverdrossenheit – und damit war das politische Kabarett in der Schusslinie der deutschen Feuilletonisten

WERNER SCHNEYDER, KABARETTIST, 2000

Volkmann lacht. Man habe es mit grundlegenden Veränderungen von Gesellschaft, Medienlandschaft und politischer Kultur zu tun.

Aber dass die „heute-show“-Macher unpolitische Milieus anpolitisieren, wie sie behaupten, das glaubt Volkmann nicht. Der Erfolg ist für ihn Folge der grassierenden Politikerverachtung. Und Treiber: „Die ‚heute-show‘ verstärkt die unpolitische Lebenshaltung durch diese Art der Präsentation von Politik.“

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Alfred Dorfer ging ins Fernsehen, um wirklich eine „aufklärerische Satiresendung“ zu machen. Der Wiener Dorfer ist mit Josef Hader der wichtigste deutschsprachige Satiriker und Postkabarettist. Wer nichts kennt von ihnen, kennt vielleicht den Kinoerfolg „Indien“. In „Dorfers Donnerstalk“ wollte er zeigen, was man aus Nachrichten erfährt und was man nicht erfährt, und den Leute die Möglichkeit eines „zweiten Standpunktes“ geben. Die Sendung lief sechs Jahre im ORF, parallel zu den Nachrichten („Zeit im Bild“). Ende 2010 machte er Schluss.

Den Abend zuvor ist Dorfer, 52, mit seinem hochklassigen Soloprogramm „bis jetzt“ in den „Wühlmäusen“ aufgetreten. Jetzt sitzt er in einem orange leuchtenden Kreuzberger Sojamilch-Café. Kränkelt etwas, wirkt aber grundsätzlich gut erhalten: blaue Augen, graumeliertes Haar, postjugendliches Flair.

Das Aufklärungsfernsehen hat er sich abgeschminkt. Als er anfing, sei er noch sehr naiv gewesen, obwohl gar nicht mehr so jung. Er war sicher, „dass das eine wertvolle Aufgabe ist“. Missstände recherchieren, den eigenen Sender „von innen überfallen“ wollte er, und das alles mit einer spektakulären Pointenqualität. Ergebnis: großer Erfolg, auch für den ORF. Die Empörung über die aufgedeckten Zustände blieb indes marginal. Nur als Josef Hader mal einen Fress-und-Kotz-Witz machte, gab es einen riesigen Shitstorm. Die Anklage: Verhöhnung Bulimiekranker. Empörung kommt nach Dorfers Erfahrung nur von Empörungsprofis, also von Tierschützern und anderen Lobbys. Aber nicht aus der sogenannten Zivilgesellschaft. Die will sich allenfalls über das Fernsehen empören, aber nicht durch das Fernsehen.

Politische Satiresendungen im Fernsehen nennt er „Stoffwechsel-Satire“. Ein „Ventil“, ein Ort der Läuterung. Man verschaffe sich kurzfristige Erleichterung. Am Ende fühle man sich besser, aber die Ursache werde nicht therapiert.

Das wäre auch viel zu viel verlangt. Wer anderes erwarte, müsse grundsätzlich darüber nachdenken, wie Fernsehen funktioniere.

Nämlich wie?

In der Kürze des Fernsehens, in einer schnellen 30-Minuten-Sendung könne man keine strukturelle Aufklärung über politische oder soziale Problemstellungen erwarten.

Es gebe sehr wohl Unterschiede in der Oberflächlichkeit, also partielle Inhalte oder nur „flockig“, aber sehr viel mehr sei nicht drin, als die Art und Weise der politischen Berichterstattung zu thematisieren und über Politiker und andere Menschen zu spotten, die in der Öffentlichkeit stünden.

Am Ende saß er in der Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Falle: Er musste in jeder Sendung immer genau dieselben Missstände anprangern, nie änderte sich was.

„Der Stern, dem ich nachgelaufen bin, war nicht erreichbar“, sagt Dorfer.

Weil das Fernsehen so ist, wie es ist, oder weil die Welt so ist, wie sie ist?

„Weil ich so bin, wie ich bin“, sagt Alfred Dorfer.

Peter Unfried, 50, ist taz-Chefreporter. Er hat während der „heute-show“-Aufzeichnung mehrfach und freiwillig gelacht