Popkulturelles Forschungsschiff

Angeln nach Kultur: Einen Monat lang öffnet der zum „Kunst-Raum-Schiff“ umgewandelte ehemalige DDR-Fischtrawler „MS Stubnitz“ der hiesigen Szene die Laderäume für Konzerte und Parties

Stolz war man anno 1965 beim volkseigenen Betrieb Fischfang Sassnitz auf die zwei neuen Hochseefischfabriken „Stubnitz“ und „Granitz“. Endlich konnte man die für jene Zeit typische Flottillenfischerei auf Hering eröffnen. Bis kurz nach der „Wende“ das Aus kam, fuhren die beiden Schiffe, zuletzt für den VEB Fischfang Rostock, jeden Tag bis zu 120 Tonnen des heute bedrohten Schwarmfisches ein. Doch während die „Granitz“ nur noch auf ostalgischen Postkarten von der Stralsunder „Weißen Flotte“ zu finden ist, bringt die „Stubnitz“ auch heute noch fette Beute ein. Keine Speisefische allerdings, sondern die lokale Musik- und Kulturszene einer Handvoll maritimer Metropolen wie Rotterdam, Amsterdam, Szczecin, Riga und Hamburg.

Denn aus der ehemaligen Hochsee-Fischfabrik ist ein popkulturelles Forschungsschiff geworden. 1992 baute der Verein „Motorschiff Stubnitz“ den Trawler in eine mobile Plattform für Musik, kulturelle Produktion, Dokumentation und Kommunikation um. Dabei versteht die aus rund 15 Ehrenamtlichen bestehende Crew des mobilen Kulturzentrums das Schiff nicht lediglich als ungewöhnliche Location, sondern auch als Dokumentationszentrum. Wer hier auftritt, wird gefilmt, der Film kommt ins Archiv, was herauskommt sind Momentaufnahmen lokaler Kultur.

In den nächsten vier Wochen frischen die schwimmenden Kulturarchivare nun ihre Hamburger-Szene-Datensätze auf. Nachdem im letzten Jahr im Baakenhafen die Netze ausgeworfen wurden, macht die Stubnitz dieses Jahr wieder für vier Wochen an der Überseebrücke fest. Heute öffnen sich zum ersten Mal die Luken für die hiesigen Landratten.

Bevor allerdings die elbansässige Kultur eingebracht wird, hat man sich ein paar Fischköppe von der Weser eingeladen. Die Bremer Punkrockhelden „Die Mimmi’s“ spielen heute Abend ab 21 Uhr zur Nikolaus-Eröffnungsparty und stecken ihr bescheidenes neues Album „Ich will alles und noch viel mehr“ in die hoffentlich hochfrequenzverschweißten Fischerstiefel der Anwesenden. Denn angekündigt sind „30 Stücke in 90 Minuten mit gewohnter 150%-Energie“.

Am nächsten Tag sind dann aber die Hamburger dran. Zumindest ein paar. Denn hier haben sich ordentlich Leute zusammengetan. Die neue Dubstep-Reihe „Wobwob“ bespielt den Laderaum 4, unter anderem mit dem Finnen „Tes La Rok“ , den Laderaum 1 füllen die Labels „Sozialistischer Plattenbau“ und „Schiffbruch“ mit Breakcore, Grindcore und durchgedrehtem Gabba House, unter anderem von Itty Minchesta und der „Atomic Tit Corporation“, „Bruno And Michel Are Smiling“ und Istari Lasterfahrer.

Groß aufgefahren wird auch einen Tag später. „The Life Aquatic“ heißt die Veranstaltung, die verspricht, die „Besessensten“ zusammen zu bringen, um jene zu unterhalten, „denen sowieso alles zu langweilig ist und zu lange dauert“. Und fürwahr, es sind Besessene gefunden worden. Jacques Palminger zum Beispiel ist zum ersten Mal live mit einem eigenem Programm unterwegs und hat sich Rica Blunck von „Die Zimmermänner“ und Viktor Marek („Knarf Rellöm Trinity“, „The Boy Group“) eingeladen. Angedroht werden „Glut, Drastik & Erhabenheit in schwer zu übertreffender Eindringlichkeit und Wucht“, „Extremchansons“, „Redestrudel“, Endlosgedichte, Selbstbeschuldigungsgeschrei, fette Beats und „musikalische Miniaturen, die kleiner kaum sein könnten“. Weitere Besessene sind Nova Huta, die gegen Frau Kraushaar antritt, Mense Reents und Jakobus Siebels als „Die Vögel“ und die Französin Clapsclap.

ROBERT MATTHIES

Do, 6. 12. – 5. 1., Überseebrücke; Infos und gesamtes Programm: www.stubnitz.com