Firmen langen in Sozialtopf

Die Fördermittel aus dem Europäischen Sozialfonds will Hamburg anders verteilen. Die Stadt spricht von Prävention, Sozialverbände von Wirtschaftsförderung unterm sozialen Deckmantel

Der Europäische Sozialfonds, kurz ESF, bietet Beihilfen in sämtlichen Mitgliedsländern der Europäischen Union für Programme, die die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen entwickeln und die berufliche Freizügigkeit verbessern. Er wurde 1957 von den Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Belgien und Niederlande gegründet und ist einer von vier so genannten „Strukturfonds“. Bereits 1957 wurde der Europäische Sozialfonds im Vertrag von Rom verankert. TAZ

VON ELKE SPANNER

Die Wirtschaftsbehörde hat in der Arbeitsmarktpolitik neue Schwerpunkte gesetzt. In der kommenden Förderperiode des Europäischen Sozialfonds (ESF) wird Hamburg verstärkt auf Projekte setzen, die einerseits die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen stärken, andererseits Arbeitnehmer durch Qualifizierung vor Arbeitslosigkeit schützen sollen.

„Wir stärken den präventiven Bereich, um Arbeitslosigkeit zu verhindern“, sagte Staatsrat Gunther Bonz gestern dazu. Vertreter der Wohlfahrtsverbände finden andere Worte dafür: Unter ihnen ist die Rede von „heimlicher Wirtschaftsförderung“ – mit Mitteln der Europäischen Union, die zur Sicherung sozialer Chancengleichheit bereitgestellt werden.

Insgesamt stehen weniger ESF-Mittel zur Verfügung als im abgelaufenen Förderabschnitt 2000-2007. Während es in dieser Zeit 131 Millionen Euro waren, gibt es für die kommenden acht Jahre nur noch 91 Millionen Euro. Die dürfen immer nur ein Standbein bei der Förderung von Projekten bilden: Für jeden Euro aus dem ESF müssen die Träger selbst einen Euro investieren. So stehen insgesamt rund 180 Millionen Euro für ESF-Projekte zur Verfügung.

Für diese hat die Wirtschaftsbehörde vier Schwerpunkte formuliert: Sie will die „Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Beschäftigten“ fördern. Der Mittelstand als „Rückgrat der Hamburger Wirtschaft“ soll gestärkt werden. Hamburg will mithilfe der EU eine Wirtschaftspolitik betreiben, die auf einzelne strategische Zukunftsfelder setzt, beispielsweise Hafen, Luftfahrt oder Nanotechnologie. Außerdem will die Behörde mit ESF-Mitteln das „Humankapital“ verbessern, wie Staatsrat Bonz es formuliert: Darunter ist zu verstehen, dass Arbeitnehmer an Qualifizierungen teilnehmen und Jugendliche beim Sprung von der Schule ins Erwerbsleben unterstützt werden sollen. Ein dritter Schwerpunkt liegt darauf, „benachteiligten Personen“ den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen: Migranten, ältere Arbeitslose, Langzeitarbeitslose. Auch die Frauenförderung taucht im Konzept der Wirtschaftsbehörde an dieser Stelle auf. Als viertes Ziel hat sich die Wirtschaftsbehörde gesetzt, die Kooperation mit Betrieben im Ausland zu fördern und dadurch etwa Auszubildenden Auslandspraktika zu ermöglichen.

So weit die Theorie. Laut Michael Edele, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, sieht die Praxis so aus, dass gegenüber der letzten Förderperiode „der Bereich Wirtschaftsförderung deutlich in den Mittelpunkt gerückt ist“. Ein starker Vorteil der ESF-Förderung sei, dass durch den Europa-Topf gezielter einzelne Zielgruppen unterstützt werden könnten, als das durch die Mittel der Arbeitsagenturen möglich sei. Gerade die Förderung einzelner Zielgruppen aber sei nun eingeschränkt worden, kritisiert Edele. Das bestätigt auch Dirk Hauer vom Diakonischen Werk: „Die Förderung ist mehr an den Bedarfen der Unternehmer orientiert.“ Die Wohlfahrtsverbände hätten erst durchsetzen müssen, dass etwa Migranten im Behördenkonzept überhaupt Erwähnung finden. Auch die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen komme in dieser Förderperiode zu kurz. Ein wirklicher Schwerpunkt in der Förderung benachteiligter Personengruppen, wie die Wirtschaftsbehörde behauptet, sähe laut Hauer „ganz anders aus“.