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: Trauerarbeit im Hinterhof

An manchen Autos flattern noch die deutschen EM-Fahnen, aber es sieht nicht so aus, als steckten sie dort aus Trotz, eher so, als habe man sie vergessen, so wie die ganze Fußball-Euphorie lautlos versickert ist. Haben Sie vielleicht jemanden weinen sehen? Ich nicht. Die deutsche Nationalpsyche bleibt ein schwieriges Thema, Niederlagen werden nicht verarbeitet, sondern weggesteckt.

Nicht so in unserem Hinterhof. Dort, im Haus gegenüber, wohnen zwei Männer, die wir „die Alkoholiker“ nennen, weil sie Einkaufswagen zum Supermarkt schieben, die bis obenhin voll sind mit Bierflaschen. So viel Bier kann kein Mensch trinken, und wahrscheinlich sind die beiden Männer gar keine Alkoholiker, sondern verdienen nur ihr Geld mit dem Pfand der Bierflaschen, an die sie auf eine uns unbekannte Weise kommen.

Am Montagabend, einen Tag nach dem Finale, drang aus der Wohnung der Männer ein lautes Geheule, begleitet von Klatschgeräuschen. In einem leeren, von einer Glühbirne erleuchteten Raum, in dem lediglich eine Waschmaschine stand, wiegte einer der beiden Männer seinen Oberkörper. Er trug Fußballstrümpfe in den deutschen Farben, sonst nichts, und klatschte abwechselnd auf seine nackte Haut und die vor ihm stehende Waschmaschine. Es klang durchaus rhythmisch. Dazu sang er ein Klagelied, dessen Worte nicht zu verstehen waren.

Der Mann versuchte, die Niederlage im EM-Finale zu verarbeiten. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für die deutsche Psyche. DANIEL WIESE