hamburg heute
: „Fast demoralisiert“

Die Kulturbehörde verleiht sechs Förderpreise für NachwuchsautorInnen

taz: Frau Carl, Sie haben zweimal den Förderpreis gewonnen. Verpflichtet Sie das zur Mitarbeit in der Jury?

Verena Carl: Nein, aber es hat mich gereizt, mal auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen und selbst Kritikerin zu sein. Auch um andere Herangehensweisen kennen zu lernen. Frank Keil, ein Literaturkritiker in der Jury, war es beispielsweise nicht gewohnt, unlektorierte Texte zu lesen und war ungnädiger.

Gab es viele unfertige Texte?

Ich war erstaunt von der Qualität, fast demoralisiert. Ich habe fast 60 Texte gelesen, von denen nur zwei amateurhaft geschrieben waren.

Was waren die bevorzugten Themen?

Viele haben über Altwerden, Krankheit und Wahnsinn geschrieben – Themen mit Potenzial für ambivalente Figuren. Andere haben, passend zur Finanzkrise, Abstieg und Prekariat thematisiert.

Ist die Zeit der Selbstbespiegelung vorbei?

Der Vorwurf, dass die AutorInnen unpolitisch sind, muss fallengelassen werden. Ein Text, der heute prämiert wird und mein Favorit ist, beschreibt das jüdische Leben im heutigen Hamburg. Der Autor versucht mit brüllend komischen und traurigen Episoden zugleich an eine Tradition anzuknüpfen, die nach dem Holocaust abgebrochen ist.

Auch die circa 224 Abgewiesenen sind zu einem Umtrunk geladen. Ein Frust-Besäufnis?

So viel spendiert die Kulturbehörde dann doch nicht. KEE

19.30 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38

VERENA CARL, 38, Jurorin und freie Autorin.