Posieren für die Kameras

BANDEN Seit einer Woche berichten Medien über kriminelle Banden in der Siedlung Sonnenland. Viele Bewohner fühlen sich falsch dargestellt

Eigentlich heißt die Soko „Besondere Aufbauorganisation Sola“ (BAO). Sie wurde Ende April gegründet, um gegen eine Gruppierung aus 40 Mitgliedern verschiedener Banden vorzugehen.

■ Die BAO verbindet die Zentraldirektion 66, in der gegen Intensivtäter ermittelt wird, mit den Zivilfahndern und Kriminalbeamten des Reviers 42 in Billstedt.

■ Sie wurde eingesetzt, als systematisch Zeugen eingeschüchtert wurden, sagt Polizeisprecherin Sweden. „Eine veränderte Kriminalitätslage war nicht der Grund, die BAO zu gründen.“ HES

Die JournalistInnen packen ihre Kameras und Mikrofone ein, da kommt der 15-jährige Kevin angestürmt und ruft: „Ich will auch ins Fernsehen“. Vielleicht ist es besser für ihn, dass es nicht geklappt hat. Nachdem ein Gleichaltriger vergangene Woche mit Machete und Totschläger für die Titelseite der Hamburger Morgenpost abgelichtet worden ist, bekam er eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und muss nun mit einer Hausdurchsuchung bei seinen Eltern rechnen, wie Polizeisprecherin Ulrike Sweden bestätigte.

Seit einer Woche berichten die Hamburger Medien über „multi-ethnische kriminelle Banden“, die die Siedlung Sonnenland in Billstedt angeblich in „Angst und Schrecken“ versetzen würden. Anlass war die von der Polizei eingesetzte Sonderkommission (Soko) „Sonnenland“. Die Arbeit dieser Soko sollte eigentlich verdeckt bleiben, sagt Sweden. Und das hat auch einen guten Grund: „Nur wenige Verdächtige kommen aus der Siedlung Sonnenland“, so Sweden. Für die Öffentlichkeit hätte man einen anderen Namen gewählt, die Schlechtschreibung eines Viertels sei kontraproduktiv.

Der Leiter des ehrenamtlichen Stadtteilprojektes Sonnenland, Anatol Herold, findet den Titel „Soko Sonnenland“ diskriminierend. Er hält die Berichterstattung für übertrieben. „Das Sonnenland ist kein Hort des Terrors. Es ist nicht so, dass man sich nachts nicht auf die Straße traut.“ Jetzt würden Eltern aber überlegen, ob sie ihre Kinder überhaupt in die Siedlung lassen. „Die Jugendlichen, die hier leben, werden zu Unrecht stigmatisiert“, so Herold.

Die 23-jährige Cindy Selini findet die Berichterstattung erschreckend. Sie lebe seit 23 Jahren in Sonnenland und sei immer gut von der Disco nach Hause gekommen. Für sie ist es etwas besonderes, in Sonnenland zu leben: „Es ist hier wie in einem Dorf. Jeder kennt sich und man hilft einander.“

Dem Projekt Sonnenland, das sich um Familien und Jugendliche kümmert, wurde 2007 die staatliche Förderung entzogen – vermutlich, weil die Einrichtung einige kriminelle Besucher im Haus nicht denunzieren wollte. Seit Mai wird die Jugendarbeit wieder vom Bezirk gefördert.

Die Journalisten, die seit Tagen in der Siedlung rumlaufen, seien für die Jugendlichen eine Attraktion, sagt Jürgen Wolff, ehrenamtlicher Sozialarbeiter im Projekt Sonnenland. Minderjährige würden zu Posen verleitet. Und auch Polizeisprecherin Sweden sagt: „Auf Jugendliche hat das eine herausfordernde Wirkung.“ HELGE SCHWIERTZ