Lizenz zum Tanzen

NACHTLEBEN Julian Nevilles Filmessay „Lowlight NYC“ spürt der in der Kontrolle untergegangenen Techno- und House-Szene des Big Apple nach. Tobias Rapps Buch „Lost and Sound – Berlin, Techno und der Easyjetset“ berichtet dafür von einer Blütezeit

Nur ein Flickenteppich kleiner Clubs ist geblieben – und Nevilles Erinnerungen

VON ROBERT MATTHIES

Damit hätte Julian Neville nicht gerechnet. Nachdem er Mitte der 90er als Teenager mit seinen Eltern nach New Jersey gezogen war, war es die Rave-Szene des Big Apple, die ihn gerettet hat. Nur mit den Freunden Pizza essend auf der Couch zu sitzen, wie die amerikanischen Jugendlichen im „spießigen Vorort der Metropole“ ihre schüchternen Abende verbrachten, war dem 16-Jährigen zu langweilig und verklemmt. Aber die Raves in alten Fabrikhallen, die die damals noch Untergrundbewegung gewesene Techno-Szene rund um New York City veranstaltete, beheimateten eine eigene Welt voller magischer Momente, in der man sich, in silberne Turnschuhe und T-Shirts mit leuchtenden Aliens gewandet, gegenseitig respektierte. Eine gemeinsame Lebensweise.

Nach zwei Jahren ging es zurück nach Deutschland: Abitur, Studium audiovisueller Medien an der Kölner Kunsthochschule. Dann 2005 die ernüchternde Nachricht einer Kommilitonin, die gerade in den USA war: Dort gebe es keine echte Partyszene mehr, erst recht keine Raves. Stattdessen Chart-Musik in den Tanzclubs. Ungläubig machte sich Neville auf, dem verlorenen New Yorker Nachtleben nachzuspüren. Daraus sollte sein Abschlussfilm „Lowlight“ werden.

Und tatsächlich: In New York nur teure Clubs mit Türstehern und Chart-Musik. Nur noch um Statussymbole ging es hier, nicht um Abfeiern, Miteinander.

Der House-Tänzer Justin erzählt ihm schließlich vom Ende der Rave-Bewegung unter Bürgermeister Giuliani. Die „drogenverseuchten“ Raves wurden im Zuge von dessen „Quality of Life“-Kampagne verboten. Um den tanzenden, die Sicherheit der Stadt gefährdenden Menschenmassen Herr zu werden, brauchte jeder Club nun eine Lizenz zum Tanzen. Übrig geblieben ist eine Law and Order-Partykultur nach Giulianis Geschmack: stinklangweilig. 2001 kam dann noch der RAVE-Act („Reducing Americans Vulnerability to Ecstasy Act“) dazu, der Raves in den ganzen USA verbietet. Nur noch ein Flickenteppich kleiner House-Clubs ist von der Utopie geblieben – und Nevilles Erinnerungen. Heute Abend zeigt er seinen ernüchternden Film über den Untergang des Nachtlebens im Haus Dreiunsiebzig im Rahmen der Film-Nacht des „Unerhört!“-Musikfilmfestivals, dessen zweite Ausgabe im Dezember stattfindet.

Zu hören sein wird dort auch vom Nachtleben an der Spree. Tobias Rapp, Musikredakteur der taz mit fundierten Kenntnissen der Berliner Technokultur, liest aus seinem Buch „Lost and Sound. Berlin, Techno und der Easyjetset“. Rapp berichtet dabei von etwas ganz anderem: von einer ungemein kreativen und interessanten Subkultur des Ausgehens, von einer konzentrierten Szene und ihren Protagonisten, den Tänzern, DJs, Musikproduzenten und Stadtplanern. Von einer Blütezeit.

■ Do, 2. 7., 20 Uhr, Haus Dreiundsiebzig, Schulterblatt 73