Retten und gerettet werden

POST-PUNK Von der Außenseiterin zur Stilikone: Beth Ditto und ihr Trio „Gossip“ stellen das aktuelle Album „Music for Men“ vor. Und vertreiben Selbstmordgedanken

Gerettet haben sie damals die Riot-Grrrls. Heute rettet Beth Ditto selbst

VON ROBERT MATTHIES

Beth Ditto hat einen langen und mitunter steinigen Weg hinter sich. Einem bigotten Kaff voller homophober Rednecks im amerikanischen Süden ist sie entflohen, in dem nach einem Verbot der dortigen Behörden sogar MTV eine Zeit lang wegen dessen „Freizügigkeit“ nicht zu empfangen war – und für Ditto und ihre Freunde Kathy Mendoca und Nathan Howdeshell alias Brace Paine als queere Außenseiter nun wirklich kein Platz war. Bis heute wird dort eher wenig Verständnis zu finden sein für die Tatsache, dass die schwergewichtige, lesbische Beth allerorten zum Liebling des Boulevards geworden ist und der internationalen Modewelt als Stilikone sondergleichen gilt. Für Karl Lagerfeld, immerhin ausdrücklich „Fettphobiker“, ist die engagierte Körperpolitikerin mit dem Hang, sich die Klamotten vom Leib zu reißen, eine „neue, so ganz andere Muse“, auf der Pariser Modemesse sind alle Fotoapparate auf die 1,55 Meter große Beth gerichtet und der NME wählt sie 2006 ganz an die Spitze der „Cool List“ – und zeigt sie ein paar Monate später nackt auf dem Cover.

Dass die extrovertierte beste Freundin von Kate Moss nicht nur cool, schwergewichtig und lesbisch ist, sondern vor allem Frontfrau einer Band, landet da meist im zweiten Absatz. „Gossip“ heißt das mittlerweile im liberaleren Portland beheimatete Trio, dessen Sängerin nun dem Namen alle Ehre macht, und spielt von Dittos gewaltiger Stimme getragenen bluesig-souligen Punk-Elektro-Rock, der bei all der Politik vor allem tanzbar sein soll. An Gitarre und Bass steht von Beginn an Nathan Howdeshell alias Brace Paine, am Schlagzeug zuerst Kathy Mendoca: mit beiden ist Ditto damals aus Arkansas weg. Seit 2003 trommelt aber Hannah Blilie.

Die eigentlich ein ähnliches Potenzial zur Stilikone hat wie Ditto. Nicht das Gesicht der unübersehbaren Sängerin nämlich, sondern das der flächendeckend tätowierten Drummerin im Tomboy-Look ziert das Cover des aktuellen Albums „Music for Men“. Produziert worden ist das von Rick Rubin, der „Gossip“ für das erste Album beim Major Sony auf Pop gebügelt hat. Manch Fan wird den knarzenden Gitarren aus „KillRockStars“-Zeiten eine Träne hinterherweinen. Dafür, dass heute Abend im D-Club auf und vor der Bühne genug los ist, wird Ditto auch mit polierterem Sound sorgen. Schließlich hat die professionelle Außenseiterin zeitlose Gründe, kein Deut leiser zu werden. Eine der vordringlichsten Aufgaben: „ein 14-jähriges Mädchen davon abzuhalten, sich von einer Brücke zu stürzen“. Das hätte sie nämlich beinah selbst getan. Gerettet haben sie damals die Riot-Grrrls. Heute rettet Beth Ditto selbst.

■ Do, 9. 7., 21 Uhr, D-Club, Spielbudenplatz 19