Wirbelnder Klangwellenstrudel

NEUE MUSIK Den gewaltigen Mahlstrom hat das multimediale Neue-Musik-Festival „klub katarakt“ zum Motto gemacht: Vier Tage lang soll auf Kampnagel ein musikalischer Gezeitenstrudel aus Resonanzen, Obertönen und psycho-akustischen Effekten materialisiert werden

An der Oberfläche Wellen zu schlagen, ist erklärtes Ziel des „klub katarakt“-Festivals

VON ROBERT MATTHIES

Ungefährlich ist der Moskenstraumen vor den norwegischen Lofoten auch heute tatsächlich nicht. Mit einem Durchmesser von bis zu 50 Metern zieht der größte Wasserwirbel des Mahlstrom-Systems die Fluten nach unten, bis zu einem Meter hoch schlägt er dabei an der Oberfläche die Wellen. Etliche Kilometer breit ist der Tiden-Strom mitten im offenen Meer, kleine Fischerboote können dort inmitten der zahlreichen größeren und kleineren Wirbel und Kehrwasser schon mal kentern.

Einzigartige Umstände sind der Grund für das außergewöhnliche Naturphänomen: kräftige Tiden und Winde zwischen den Inseln, die eine ungewöhnlich starke Unterwasser-Strömung hervorrufen, die schließlich auf einen nur 20 Meter tiefen Grat am Meeresboden trifft und an die Oberfläche drängt. Aber nicht nur gefährlich ist der Mahlstrom, sondern auch ungeheuer nährreich: wie ein Keil ragt er in den Golfstrom und entzieht ihm ununterbrochen Mikroorganismen – ein idealer Ort für den Laich unzähliger Fischschwärme.

Die Phantasie beflügelt und zahllose Legenden genährt hat der beeindruckende Gezeitenwirbel nicht nur in Skandinavien. Die isländische Lieder-Edda erzählt von zwei Riesinnen, die an seinem Boden mit gewaltigen Mühlsteinen auf ewig das Salz der Meere mahlen müssen, der schwedische Bischof und Kartograph Olaus Magnus zeichnete einen gewaltigen Wasserwirbel in seine Carta Marina und war überzeugt, dass der Mahlstrom größer sei als der mythische Charybdis. Auf der anderen Seite des großen Teichs machte Edgar Allen Poe ihn in seiner Kurzgeschichte „Ein Sturz in den Mahlstrom“ zum alles ringsum verschlingenden Meeresschlund und Symbol für den Kampf zwischen Mensch und Elementen. Melvilles Ahab schwört, den weißen Wal auch bis in den Mahlstrom hinein zu verfolgen. Und bei Jules Vernes verschluckt er schließlich Nemos Unterseeboot „Nautilus“: das Ende des Abenteuers „20.000 Meilen unter dem Meer“.

Zum Motto hat den ewigen Wasser-Wirbel nun auch die 32. Ausgabe des multimedial-experimentellen Neue-Musik-Festivals „klub katarakt“ gemacht, das ab nächsten Mittwoch auf Kampnagel vier Tage lang einen musikalischen Gezeitenstrudel aus Klängen materialisieren will, „die keinen Ursprung mehr zu haben scheinen, und aus Klangwellen, die aus Resonanzen, Obertönen, Rückkopplungen und psycho-akustischen Effekten bestehen“.

Dabei ist der Mahlstrom auch in anderer Hinsicht ein angemessenes Symbol für das unter ebenso einzigartigen Umständen entstehende und ebenso außergewöhnliche Festival. Seit fünf Jahren schon versteht sich der von einem Netzwerk Hamburger Komponisten, Interpreten und Bands, Videokünstlern, Literaten und Theaterleuten organisierte „klub katarakt“ als „Strom von Klängen, Texten und Bildern“ und wirbelnde Zusammenkunft verschiedener Stilistiken und Gattungen. Und auch an der Oberfläche Wellen zu schlagen ist dabei sein erklärtes Ziel: Die grundsätzliche Multimedialität ist ihm ein Mittel, die zu oft gleichsam unter dem Hauptstrom zeitgenössischer Musik verborgen bleibende Strömung der Neuen Musik an ein Publikum zu vermitteln, das eher daran gewöhnt ist, bildende Kunst oder Popmusik zu rezipieren. Und überrascht sein dürfte, als wie nahrhaft sich das musikalische, von allen Seiten herabstürzende Wasser – denn nichts anderes bedeutet das Wort „Katarakt“ ursprünglich – dabei herausstellt.

Eröffnet wird das „das kleinste aber feinste“ Hamburger Neue-Musik-Festival am Mittwochabend mit dem Konzert „Into the Maelström“ vom Improvisations-Quartett „Nordzucker“, das seit sechs Jahren unter anderem mit Wäscheklammern, Metallobjekten und Dämpfern einen ganz eigenen Klangraum erkundet, dem experimentellen KomponistInnenkollektiv „Nelly Boyd“, und dem diesjährigen Composer in Residence Rhys Chatham, dessen Trompeten-Performance im Mittelpunkt der drei Szenen steht. Im Anschluss daran präsentiert das Ensemble „Manufaktur für Aktuelle Musik“ Gérard Griseys „Vortex Temporum“ für Klavier und fünf Instrumente, in dem 35 Minuten lang Töne und bisweilen die ganze Obertonreihe um jeweils einen Viertelton verschoben werden, was zu famos komplexen Zusammenklängen führt.

Am Donnerstag führt Rhys Chatham, seines Zeichen seit den 70ern Multi-E-Gitarrenpionier an der Grenze zwischen Rock und experimenteller Avantgarde zusammen mit „Boyd’s Elektro Gitarren Orchester“ Stücke für E-Gitarren, Bass und Schlagzeug auf. Nach einem Podiumsgespräch gibt es zudem mit „Two Gongs“ ein selten aufgeführtes, radikal minimalistisches frühes Stücks Chathams zu hören.

Freitag ist dann zum ersten Mal der Tanztheaterabend „Blob – Schrecken ohne Namen“ der avantgardistischen italienischen Tanzcompanie ESPZ über einen aggressiven Weltallschleim und irdische Ängste zu sehen, das vom vor kurzem gegründeten Hamburger Trio „Nyx“ mit E-Gitarre, E-Bass und zwei Overheadprojektoren unterstützt wird. Im Anschluss führt das Klavierduo Hymer/Fograscher vier Stücke für zwei Klaviere und Live-Elektronik auf, die sich auf Stockhausens 1970er-Schlüsselwerk „Mantra“ beziehen.

Den Abschluss des Festivals macht dann am Samstag die „Lange Nacht“ mit neuen Produktionen des „katarakt“-Netzwerks und aktuelle Filmkunst vom 26. Internationalen KurzFilmFestival Hamburg.

■ Mi, 19. 1. bis 22. 1., Kampnagel, Jarrestraße 20; www.klubkatarakt.net