Desy-Bauarbeiten: Der Rummel um den Tunnel

Anwohner stört der Baulärm, ein Mädchen versackt im Boden: Im Hamburger Westen graben Forscher einen Tunnel - und niemand weiß so recht, was los ist.

Soll Röntgenblitze nach Schenefeld schicken: das Deutsche Elektronen-Synchrotron. Bild: dpa

Die Kirschen sind reif in der Flurstraße. Eine Frau steht in ihrem Garten und spuckt Kirschkerne neben einen zu groß geratenen Maulwurfshügel: Das Areal ist großflächig mit rot-weißem Absperrband gesichert. "Schade, dass die Mädchen nicht mehr hier spielen können", sagt die Frau mit den Kirschkernen bedauernd. Sie ist um die 80 und möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen - nicht schon wieder: Zu oft, erzählt sie, habe man ihr seit dem vergangenen Wochenende falsche Worte in den Mund gelegt.

Am Wochenende hatte sich gleich neben den Kirschbäumen der Boden aufgetan unter der neunjährigen Sina: ein etwa 50 mal 70 Zentimeter großes Loch, das bald darauf wieder zugeschüttet wurde. Warum der Boden unter Sina abgesackt ist, wird noch erforscht. Nein, "Sorgen mache ich mir keine", sagt die Frau. "Der Tunnel verläuft ja nicht unter meinem Haus."

Der Tunnel wird seit Januar 2009 unter dem Hamburger Westen vorangetrieben, im Auftrag des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy). Er soll von Bahrenfeld bis nach Schenefeld führen, unter den Stadtteilen Lurup und Osdorf hindurch - und unter dem Kirschgarten, der dazwischen liegt. Bereits im November 2010 brach in Osdorf der Boden ein: ein 1,20 Meter tiefes und 15 Quadratmeter großes Loch - direkt über dem Tunnel.

Elke Sombrowski, Sinas Mutter, ist entspannt: "Letztendlich ist ja nichts passiert." Sina habe von den Desy-Leuten einen Sack Süßigkeiten bekommen - gegen den Schock. Vermesser kontrollierten regelmäßig, ob der Boden unter dem Haus noch so liege, wie er liegen solle. Elke Sombrowski ist selbst bei Desy angestellt und sieht die größten Mängel derzeit in der Kommunikationspolitik der Forscher: "Die machen gerade keine gute Arbeit."

Das finden auch andere Anwohner. Hanna etwa, die seit 66 Jahren in der Flurstraße wohnt und nicht mit Nachnamen genannt werden möchte - auch sie verweist auf den Medientrubel der vergangenen Tage. "Viele wissen gar nicht, was hier gebaut wird", sagt sie. Informiert habe man nur diejenigen, deren Grundstücke bis zu 50 Meter vom Tunnel entfernt liegen. Bis Mitte Juni gab es einen Informationsstand im örtlichen Altersheim. Jetzt können die Anwohner eine Hotline anrufen.

"Ganz schön veräppelt" würden die Leute, sagt Hanna. 10.000 Euro Schadensersatz bekämen die direkt Betroffenen ausgezahlt, 2.000 Euro diejenigen, bei denen der Tunnel nicht unter dem Haus verläuft, sondern nur unter dem Grundstück. "Viel ist das nicht, wenn man die Wertminderung bedenkt."

Für sie ist der Baulärm das Schlimmste: "Das Brummen klingt als käms gleich aus dem Haus", erzählt sie. "Unheimlich irgendwie." Mit der Hotline ist Hanna nur scheinbar zufrieden: "Der Herr Meier vertröstet alle ganz reizend. Aber verändern kann er auch nichts." Ende August sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Ob der Lärm dann aufhört, bleibt abzuwarten.

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron (Desy) erforscht seit fast 50 Jahren Teilchenphysik sowie Bau und Entwicklung von Beschleunigeranlagen.

Im Tunnel vom Desy-Gelände von Hamburg-Bahrenfeld nach Schenefeld soll der europäische Freie-Elektronen-Röntgenlaser (XFEL) Laser-Lichtblitze im Röntgenbereich erzeugen. Diese sollen mit ihrer besonders kurzen Wellenlänge neue Forschung in allen Naturwissenschaften ermöglichen.

Seit Januar 2009 wird an dem 3,4 Kilometer langen Tunnel gebaut.

Zu der Frau mit den Kirschbäumen ist eine Freundin hinzu getreten. "Jetzt sprichst du ja doch wieder mit Journalisten", sagt sie kopfschüttelnd. Und blickt wieder auf den zu groß geratenen Maulwurfshügel.

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