Bildungspolitikerin Christa Goetsch über ein Jahr Primarschul-Niederlage: "Eine große Enttäuschung"

Die große politische Niederlage der Christa Goetsch jährt sich am 18. Juli. Im Interview erzählt die Bildungspolitikerin, was sie damals hätte besser machen können.

Könnte sich auch vorstellen, wieder als Lehrerin zu arbeiten: Christa Goetsch. Bild: dpa

taz: Frau Goetsch, Ihre größte politische Niederlage jährt sich am 18. Juli. Wie denken Sie ein Jahr später über den verlorenen Volksentscheid zur sechsjährigen Primarschule?

Christa Goetsch: Es war eine große Enttäuschung für alle, die sich jahrelang für das längere gemeinsame Lernen engagiert haben. Hamburg hat eine Chance verpasst, bildungspolitisch Vorreiter zu sein.

Haben Sie zu viel auf einmal gewollt?

58, war von 2008 bis 2010 Zweite Bürgermeisterin in Hamburg. Als Schulsenatorin machte sie sich für die Primarschulreform stark, die im Juli vergangenen Jahres durch einen Volksentscheid gekippt wurde.

Unsere Reform war in sich stimmig, aber sehr komplex. Das hat sie vielleicht angreifbar gemacht. Der eigentliche Wunde Punkt war aber das Elternwahlrecht. Es war unser Fehler als Grüne, dass wir bei den Koalitionsverhandlungen mit der CDU nicht auf dessen Beibehaltung bestanden haben.

Die Grünen hätten Primarschule und anschließendes Elternwahlrecht gut gefunden?

Es entspricht den Prinzipien der Grünen, Wahlfreiheit zu gewähren. Die CDU hatte aber Sorge, dass mit Elternwahlrecht zu viele ans Gymnasium strömen. Ohne das Thema Elternwahlrecht hätten die Gegner der Primarschule nicht so viele Ängste schüren können. Ein weiterer Fehler war, dass wir die regionalen Schulentwicklungskonferenzen, über die bis zum Sommer 2009 an die 2.000 Menschen in die Planung einbezogen wurden, beendet haben. Wir hätten diese Gremien gleich in regionale Bildungskonferenzen überführen sollen. So aber war der Prozess unterbrochen. Es entstand eine Lücke, die die Gegner ausgenutzt haben.

Ist die Chance für längeres gemeinsames Lernen für alle Zeit vertan?

Fest steht: Durch den Volksentscheid wurde kein Problem gelöst. Es geht weiter darum, ein Auseinanderdriften der Lebenswelten und Bildungschancen der Kinder in dieser Stadt zu verhindern. Gerade Menschen, die von außerhalb kommen, fallen diese Kontraste in Hamburg sehr auf. Mein Ziel, für längeres gemeinsames Lernen zu kämpfen, bleibt nach wie vor bestehen. Das ist für mich keine machtpolitische Frage, sondern eine pädagogische. Schule kann nicht alle Probleme lösen. Aber es ist für die Entwicklungschancen der Kinder besser, wenn sie nicht schon mit zehn Jahren getrennt werden.

Aber was tun, wenn Strukturveränderungen politisch nicht durchsetzbar sind?

Da muss man einen längeren Atem haben, ähnlich wie beim Atomausstieg. Es wird in Hamburg wieder Zeiten geben, in denen über dieses Thema gesprochen wird.

Wie sollte das gehen?

Was es jetzt schon gibt, ist die Entwicklung von Grundschulen und Stadtteilschulen zu so genannten Langformschulen. Da haben wir gemeinsames Lernen von Klasse 1 bis 13. Das ist ein Weg, der auch für Eltern attraktiv sein wird.

War es ein Fehler, eine Strukturreform flächendeckend zu planen?

Ich sehe es im Nachhinein so, dass wir Struktur und Qualität gemeinsam denken müssen. Da brauchten wir Mut zur Gleichzeitigkeit. Es ist aber auch so, dass wir durch die Primarschule bei den inhaltlichen Reformen des Unterrichts - wie Team-Bildung, individualisiertes Lernen mit Lernentwicklungsgesprächen, Sitzenbleiben abschaffen - einen großen Schritt nach vorn machen konnten. Hier habe ich Sorge, dass aus populistischen Gründen vieles wieder zurückgenommen wird. Mit den Themen Sitzenbleiben, Schönschrift, Noten und Diktaten lassen sich wahrscheinlich Volksentscheide gewinnen.

Wie stehen Sie zum aktuellen Streit um die Schreibschrift?

Von meiner Zeit als Lehrerin weiß ich, dass es sinnvoll sein kann, Kinder, die schon gut Druckschrift können, nicht zur Schreibschrift zu zwingen. Der Konflikt wird aufgebauscht. Es gibt wirklich wichtigere Fragen.

Wie beurteilen Sie die Politik ihres Nachfolgers?

Zur Hamburger Schulpolitik sollte man sich als ehemalige Schulsenatorin nicht äußern. Das gehört zum Fair Play.

Gibt es überhaupt noch die Schulpolitikerin Christa Goetsch? Viele fragen sich, was tut die so?

Ich habe mein Bürgerschaftsmandat gerne angenommen und freue mich auf das spannende Ressort Kultur. Und ich halte außerhalb Hamburgs Vorträge zu bildungspolitischen Fragen.

Sie sind Lehrerin. Wollen Sie irgendwann wieder unterrichten?

Warum nicht. Es ist ein wundervoller Beruf.

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