Nach der Befreiung

LESUNG Zukunftsfantasie voller Anspielungen: Jochen Schimmang liest aus „Neue Mitte“

Nein, in Jochen Schimmangs neuem Roman geht es nicht um jene „Neue Mitte“, die sich vor Jahren – erinnert sich noch irgendwer? – die deutsche Sozialdemokratie herbeifantasierte. Richtiger liegt, wer ans Berlin nach dem Mauerfall denkt: Als plötzlich im Herzen der geteilten Stadt Brachen und Nischen offen standen, alles möglich zu sein schien – wovon das Stadtmarketing ja bis heute zehrt.

Schimmang legt seiner Handlung einen ganz anderen geschichtlichen Bruch zugrunde: 2029 hat Deutschland neun Jahre Militärdiktatur hinter sich, und in den Bunkern und Kommandanturen, die nun IT-Firmen, Restaurants oder werdende Bibliotheken beherbergen, residierten kurz zuvor noch die Granden des abgeschafften Systems. Wobei – sind sie wirklich weg vom Fenster?

Hatte er zuletzt ein wenig melancholisch die Bonner Republik besungen, dient Schimmang Berlin nun als Folie für ein von Anspielungen gesättigtes Gedankenspiel. Der Plot ist da geradezu Nebensache. Und so wenig es Schimmang gelingt, den zurückliegenden Terror über bloße Behauptung hinaus zum Leben zu erwecken, so schön sind andererseits viele seiner Beobachtungen im ganz Kleinen.

Nicht zuletzt ist der Roman eine Liebesgeschichte – und eine Hommage ans Buch an sich. Kein schlechtes Programm für einen (mutmaßlich) grauen Sonntagnachmittag. ALDI

■ So, 11. 12., 17.30 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38