HAMBURGER SZENE VON JOHANNA LEPÈRE
: Leben lassen

In der S-Bahn von Altona zum Hauptbahnhof lerne ich immer viel über Kindererziehung. Meistens, wie es auf keinen Fall zu machen ist, später mal. Letztens hatte ich aber einen Ausnahmefall – eine coole Mutter.

Ihr etwa zweijähriger Sohn kullerte mit seinem Spielzeugauto quer durch den Waggon, fiel ab und an von einer Sitzbank runter. Das machte ihn wirklich glücklich und er war wunderbarerweise sein eigener Unterhalter. Eine Sitzbankgruppe weiter monologisierte eine spanische Oma lebhaft auf ihre Tochter ein – wegen der viel zu hohen Telefonkosten ihres Mannes.

Plötzlich, das Kind war hinter ihr mit einem dumpfen Geräusch auf seinen Popo zurückgeplumpst, unterbrach sie ihre Tirade mitten im Satz. Provozierend langsam drehte sie sich nach dem Kind um und fragte: „Na, wo ist deine Mama? Warum kümmert sie sich nicht um dich?“ Dabei fixierte sie die junge Mutter, die scheinbar in eine ellenlange SMS vertieft war. Nicht die geringste Reaktion zeigte die an der Kritik ihrer Laisser-faire-Erziehungsmethode. Und auch das Kind schaute der Oma nur verwirrt ins Gesicht.

„Was für ein Kind – was für eine Mutter!“, dachte ich, erfreut über die gefestigten Charaktere. Kurz vorm Aussteigen sagte die Mama mit ruhiger Stimme „Komm, hier müssen wir raus“ – und das aufmerksame kleine Ding war sofort an ihrer Seite.