Haus nicht leer genug

WOHNUNGSNOT Amtsgericht Altona verurteilt Leerstands-Besetzerin wegen Hausfriedensbruch zu Geldstrafe. Viele Rechtsfragen bleiben jedoch offen

„Eine Hausbesetzung bei systematischem Leerstand ist nicht strafbar“

ANWALT ANDREAS BEUTH

Ist es überhaupt ein Hausfriedensbruch, wenn jemand ein geöffnetes Gebäude betritt und in einer leerstehenden Wohnung verweilt? Ist ein leerstehendes Haus befriedetes Besitztum, wenn ein Eigentümer es vorsätzlich seit Jahren unvermietet lässt – und ist eine vorübergehende Hausbesetzung wegen Wohnungsmangel nicht dann rechtfertigender Notstand? Rechtsfragen, die im Verfahren vor dem Amtsgericht Altona gegen die Leerstands-Besetzerin Claudia Falke eine Rolle spielten und doch dann für Amtsrichterin Katja Stan nicht von Relevanz waren. „Das Haus war ja nicht leer, es gab noch eine Mieterin“, sagte Stan und verurteilte Falke zu 420 Euro (60 Tagesätzen) Geldstrafe wegen gemeinschaftlichen Hausfriedensbruch.

Falke zählte zu einer siebenköpfigen Gruppe, die am 16. Oktober 2010 das leerstehende Haus Juliusstraße 40 im Schanzenviertel wegen der akuten Wohnungsnot demonstrativ besetzten. Das Gebäude gehört dem Spekulanten-Clan um Ernst-August Landschulze, der das Haus – wie zahlreiche andere Objekte – seit vier Jahren entmietet hat. Die letzte verbliebene Mieterin hat er derweil mit drei Räumungsklagen überzogen, die vom Bezirksamt Altona betrieben Ordnungswidrigkeiten-Verfahren wegen Verstoß gegen die Zweckentfremdungsverordnung ignoriert Landschulze beharrlich.

Die Polizei musste damals mit einem Kraftaufwand das Gebäude räumen, weil sich viele Unterstützer eingefunden hatten und der eigentlich frei zugängliche Eingang verbarrikadiert worden war. Eine Aufforderung, das Haus freiwillig zu verlassen, habe es aber nicht gegeben, räumte der Einsatzleiter Dirk Lindberg ein, da zuvor mit Pyrotechnik geworfen worden war. „Das war taktisch überflüssig“, sagte Lindberg. Die Räumung sei aber ruhig und friedlich verlaufen.

In seinem Plädoyer hatte Falkes Verteidiger Andreas Beuth auf Urteile von Gerichten und Aufsätze von Jura-Kommentatoren aufmerksam gemacht, die beschreiben, dass eine Hausbesetzung bei systematischem Leerstand nicht strafbar sei. Nach dem Grundgesetz verpflichte Eigentum, den Gebrauch sogleich dem Allgemeinwohl zu dienen. Ein befriedetes Besitztum sei ein Haus danach nur dann, wenn sich darin etwas abspielt, was geschützt werden müsse. Wer in eklatanter rechtswidriger Weise gegen den Grundsatz der Sozialbindung verstoße, müsse damit rechnen, dass in solchen Situationen Menschen vom rechtfertigenden Notstand Gebrauch machen, sagte Beuth. Spekulanten wie Landschulze fehle es an jeglichem Rechtsschutzbedürfnis.

Trotz Verurteilung zeigte Richterin Stan Verständnis für Falke: „Sie verfolgen keine eigennützigen Motive und es ist richtig, die Stadt Hamburg auf die Missstände aufmerksam zu machen“, sagte Stan. „Aber derartige Maßnahmen waren nicht erforderlich.“ Anwalt Beuth prüft nun Rechtsmittel.  KAI VON APPEN