Fischen nach Kultur

FORSCHUNGSSCHIFF Am Dienstag öffnet der zum „Kunst-Raum-Schiff“ umgewandelte Fischtrawler MS Stubnitz wieder seine Laderäume für Konzerte und Parties

Nicht nur ungewöhnliche Location, sondern auch Kultur-Dokumentationszentrum

VON ROBERT MATTHIES

Stolz war man Mitte der Sechzigerjahre beim VEB Fischfang Sassnitz auf die neuen Hochseefischfabriken Stubnitz und Granitz. Endlich konnte man die Flottillenfischerei auf Hering eröffnen. Bis zu 120 Tonnen des heute bedrohten Scharmfischs fuhren die beiden Schiffe jeden Tag ein – bis kurz nach der „Wende“ das Aus kam. Die Granitz kann man heute nur noch auf ostalgischen Postkarten finden, die Stubnitz aber bringt als einziges erhaltenes Schiff der Flotte wieder fette Beute ein, wenn sie vom Heimathafen Rostock in See sticht. Keine Speisefische allerdings, sondern die lokale Musik- und Kulturszene einer Handvoll maritimer Metropolen wie Rotterdam, Amsterdam, Szczecin, Riga und – wegen der lebendigen Artenvielfalt eines ihrer liebsten Fanggebiete – Hamburg.

Denn statt Fischfang betreibt die Crew der Stubnitz heute pop- und subkulturelle Forschung. Vor zwanzig Jahren hat der Verein Motorschiff Stubnitz den Trawler in eine schwimmende Plattform für Musik, kulturelle Produktion, Dokumentation und Kommunikation umgebaut. Denn die ehrenamtliche Besatzung des mobilen Kulturzentrums versteht das Schiff ausdrücklich nicht nur als ungewöhnliche Location für Konzerte, Parties oder Installationen, sondern auch als Dokumentationszentrum. Wer hier auftritt, wird gefilmt, der Film kommt ins Archiv, heraus kommen Momentaufnahmen lokaler Kultur.

In den nächsten drei Wochen frischen die schippernden Kulturarchivare nun wieder ihre Hamburger-Szene-Datensätze auf. Anders als im letzten Jahr muss dafür diesmal niemand die weite Reise durch die Wüste jenseits der Hafencity-Baustellen bis in den Baakenhafen antreten. Direkt am Strandkai öffnen sich am Mittwoch die Luken für die hiesigen Landratten.

Zum Auftakt aber gehören die Kühl- und Laderäume erst einmal für einen Abend zwei anderen, für ihre reiche Kulturlandschaft berühmten Hafenstädten: Aus St. Petersburg ist das Gangster-Jazz-Sextett La Minor zu Gast und lässt die Atmosphäre der Sowjetunion der 30er bis 50er Jahre wieder aufleben. Alte russische Chansons und Ganovenlieder zwischen Ausgelassenheit und Schwermut, die wie ein Soundtrack guter, alter Filme dieser Zeit klingen: verrauchte Spelunken, Kleinkriminelle und tragische Liebesgeschichten. Klassischen russischen Folk mischen La Minor dabei mit Jazz und viel Klezmer. Und nennen das Ergebnis entsprechend „Odessa Beat“: Die Hafenstadt am Schwarzen Meer ist bis heute stark jüdisch geprägt und eines der Zentren für Klezmermusik in Osteuropa. Mehr über den Hintergrund kann man vor dem Konzert erfahren, in Peter Rippls aktuellem Dokumentarfilm „No trust. No fear. Ask nothing“ über die Musik der russischen Gangster und Gefangenenlager.

Auch das weitere Konzertprogramm kann sich hören lassen: Am 28. Mai präsentiert der Berliner Technoproduzent Mark Ernestus mit der 12-köpfigen Band Jeri-Jeri das Ergebnis der gemeinsamen Zusammenarbeit im letzten Jahr: Ernestus ist ins senegalesische Dakar gereist und hat mit den wichtigsten Mbalax-Interpreten der Stadt zusammengearbeitet. Einen Tag später ist dann das Jazzgrenzgänger-Trio um den belgischen Pianisten und Keyboarder Jozef Dumoulin zu Gast: mit Trevor Dunn am Bass (unter anderem Mr. Bungle, Fantômas, Secret Chiefs 3). Und all das lang Bewährte gibt es dieses Jahr auch wieder: Konzerte des Elbjazz-Festivals und Parties mit dem Gängeviertel, dem Freien Sender Kombinat oder dem Golden Pudel Club.

■ Di, 15. 5. bis Sa, 2. 6., am Strandkai, ms.stubnitz.com