„Eigentlich war ich absolut apolitisch“

Delphine Brox-Brochet, eine der vier ersten grünen Abgeordneten in der Bürgerschaft und die erste Ausländerin überhaupt, die in ein deutsches Parlament einzog, wird am Dienstag mit der silbernen Rathaus-Medaille geehrt. Allerdings hat sie in Bremen auch andere Erfahrungen gemacht

Interview: Klaus Wolschner

Am Dienstag kommt eine Bremer Delegation zu Dir.

Delphine Brox-Brochet: Für die Bremer werden die besten Spezialitäten aus Burgund aufgetischt, der beste Wein, das wird ganz toll werden.

Das Dorf empfängt die Bremer mit seinen Schätzen?

Und die Politiker kommen, auch vom Conseil Régional.

Bist du so berühmt im Burgund?

Im Burgund bin ich in der Bürgerinitiative gegen die industriellen Schweinemastbetriebe, die ein Tier in 80 Kubikzentimetern halten.

Dafür wirst Du nicht geehrt.

Nein, das kommt aus Bremen, ich verdanke das Hans Koschnick.

Koschnick war Bürgermeister 1979, als Ihr als grüne „enfants terribles“ in die Bürgerschaft eingezogen seid. Das sieht aus wie eine Versöhnungsgeste: Ausgerechnet Scherfs Staatsrat Christoph Hoppensack kommt ?

Weist du, was ich gesagt habe? (lacht) Das ist die letzte politische Ölung – die Franzosen sagen „extrême-onction“. Ich bin ja schwer krank. Aber wir waren ja in Bremen Nachbarn von Thomas Hoppensack, dem Bruder. Daher kannten wir uns gut.

Von der Bremer SPD habt Ihr damals aber mehr böse Worte als Orden bekommen?

Klar. Das ist Politik. Schweinerei. Das ist so. Ich war ja die erste französische Abgeordnete in einem deutschen Landtag in der Bundesrepublik. Sie haben erklärt: Ich darf gar nicht in die Bürgerschaft, weil ich gar keine Deutsche Staatsbürgerin bin. Aber sie haben feststellen müssen, dass ich in Dortmund, als ich einen Deutschen geheiratet hatte, die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hatte. Dann mussten sie es endlich akzeptieren.

Olaf Dinné und Peter Willers von der Bremer Grünen Liste kamen aus der SPD. Olaf ist ein großer Taktiker, der hat die alle in die Mütze gesteckt. Die waren stocksauer. Damals kämpfte die Werft AG Weser um ihr Überleben. Ich war bei den Arbeitern sehr beliebt, ich habe denen Suppe gebracht zu essen. Die Bremer Nachrichten haben ein Foto vom Tor bei der Werft gedruckt und meinen Kopf auf diesem Foto geschwärzt. Das sind die Bremer Kleinigkeiten und Spezialitäten.

Ich hatte 1983 zum Beispiel den Antrag in der Bürgerschaft gestellt, dass man ausnahmsweise im Ratskeller ein Glas französischen Weins trinken dürfte, auch als Zeichen unserer Versöhnung. Die ganze SPD-Fraktion ist damals aus Protest aus dem Saal gegangen. Die CDU hatte damals gesagt: Wenn es Ihnen gelingt, Kohl und Pinkel bei „Maxim“ in Paris zu servieren, dann stimmen wir zu. Und stell Dir vor: „Maxim“ hat es gemacht! Ich war unschuldig daran, das hatte Koschnick eingefädelt.

Olaf Dinné hat sich damals heftig mit den Scherfisten gestritten?

Klar, gleichzeitig kannten wir uns auch gut. Henning war oft bei uns zu Hause. Wir haben ihn auch mitgenommen zu der Demonstration gegen das Rekrutengelöbnis 1980. Wir kennen doch unseren Henning, einer rechts, einer links, dass er nicht flüchten konnte. Als er später gesagt hat, er sei ein Gegner der Demonstration gewesen, habe ich im Parlament erklärt: Das stimmt doch nicht, du warst doch mit uns da. Das hat mich geärgert, diese Lügerei. Sehr protestantisch und sehr verlogen.

Du sollst für Deinen Beitrag für die deutsch-französischen Beziehungen geehrt werden.

Ich habe begonnen, ein Buch zu schreiben: „Deutsch-französische Beziehungen, worüber niemand spricht“. Ich habe zum Beispiel damals in meinem Dorf ein Fest organisiert, mit vielen aus Bremen. Und plötzlich ist ein Bauer aufgestanden, der nie redete, und hat den deutschen Gästen erklärt, dass er als Kriegsgefangener bei Düsseldorf auf einem Hof gewesen war, nie sei es ihm so gut gegangen wir dort. Wir waren alle sehr bewegt.

Sechs Monate später hat derselbe Bauer einen Anruf aus Deutschland bekommen, der Anrufer hat ihn gefragt, ob er auf dem Hof eine Isabel kennengelernt habe, er sagte „ja“ und der Anrufer meinte: „Ich bin Ihr Sohn.“ Der Bauer musste seine Frau informieren, was für einen Besuch er erwartete. Solche Geschichten könne ich hunderte erzählen.

Wie bist Du nach Bremen gekommen?

Das war 1975, mein Mann war ja Lehrer und wurde nach Bremen versetzt. Wir haben uns sofort in der Bürgerinitiative gegen das Atomkraftwerk in Esenshamm engagiert und das verbunden mit der Forderung, dass der deutsche Atommüll nicht in die Wiederaufbereitungsanlage nach La Hague geschafft werden soll.

Über den Prozess von La Hague hatten wir die geheimen Dokumente über die Verträge zwischen Deutschland und La Hague, die haben wir übersetzt und veröffentlicht. Das gab einen großen Skandal damals.

Aber eigentlich war ich absolut apolitisch damals, ich verstand von Politik nichts. Für die Brokdorf-Demo habe ich viel organisiert, und die Demonstration gegen den schnellen Brüter in Kalkar, und dann gegen die Endlager-Pläne für Gorleben. Olaf Dinné war auch in der Esenshamm-Bürgerinitiative, so bin ich zu den SPD-Leuten um Olaf und Peter Willers gestoßen.

Als wir dann 1979 als Grüne gewählt wurden, kamen viele und haben uns gratuliert. Innerhalb von fünf Sekunden fühlte ich mich als wichtige Person. Wir waren die ersten Grünen weltweit in einem Parlament. Da kam Olaf und sagte: Bilde dir nix ein. Du bist derselbe Idiot wie vorher. Es war köstlich.